Challenge Ironman. Frank-Martin Belz

Challenge Ironman - Frank-Martin Belz


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Lebensbereichen stellen. Was dem Einzelnen wichtig ist, entscheidet er letzten Endes selbst: Das können das Aussehen, soziale Beziehungen zu Familie und Freunden, intellektuelle oder sportliche Leistungen sein.18 Für manche Menschen hat indes der Ironman eine besondere Bedeutung. Er führte zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls und brachte vielen eine positive Wendung im Leben. So ging es auch mir.

       SCHAFFENS- UND LEBENSKRISE

      Im Jahr 1998 hatte ich eine Schaffens- und Lebenskrise. Mit meiner wissenschaftlichen Arbeit und der Karriere kam ich nicht recht voran. Ausgestattet mit einem Stipendium vom Schweizerischen Nationalfonds hatte ich alle Freiheiten, die man sich als Forscher wünschen kann. Doch anstatt an eine renommierte Universität in die USA zu gehen, um mir neue Impulse und Ideen für meine Arbeit zu holen, blieb ich wegen einer neuen Beziehung in St. Gallen in der Schweiz. Ich genoss die Lebensfreude meiner damaligen Partnerin, aber gleichzeitig machte mir ihre Sprunghaftigkeit zu schaffen. Das Hin und Her in der privaten Beziehung brachte meine innere Ruhe und Stabilität aus dem Gleichgewicht. Hinzu kam, dass sie als erfolgreiche Geschäftsfrau meine Tätigkeit herabsetzte. Sie hatte keinerlei Verständnis für Wissenschaft: „Wann willst du denn mal was Richtiges in der Wirtschaft arbeiten?“, fragte sie mich manchmal in sarkastischem Ton. Darüber hinaus hatte ich ein Jahr zuvor mit dem Tennis aufgehört und trieb keinen regelmäßigen Sport mehr, der immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens war. Anstatt mich auf dem Tennisplatz auszutoben oder im Wald zu laufen, aß ich nun am Abend häufig Schweizer Rösti mit Zürcher Geschnetzeltem und trank guten Wein. Der Lebenswandel und die allgemeine Unzufriedenheit führten unweigerlich zu einer Gewichtszunahme.

      In dieser schwierigen Phase meines Lebens meldete ich mich für den Ironman Schweiz an. Ich hatte in der Zeitung davon gelesen und einen kurzen Bericht im Schweizer Fernsehen gesehen. Warum ich das gemacht habe? Damals wusste ich es selbst nicht so genau. Erst im nachhinein lieferte mir meine Kollegin und Freundin Minna eine gute, tiefer gehende Erklärung: Weil es um mein Selbstwertgefühl ging. Normalerweise wäre es sinnvoll gewesen, sich über einen kürzeren Triathlon an dieses große Abenteuer zu wagen, aber die Olympische Distanz über 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Rad und 10 Kilometer Laufen schien mir im Bereich des Möglichen. Ich suchte eine Herausforderung, die jenseits meiner Vorstellungskraft lag und an der ich ebenso scheitern konnte. Meine Ansage lautete daher: Ein Ironman ist der Mount Everest, den ich erklimmen will!

      Der Zeitpunkt meiner Anmeldung und der Überweisung des Startgeldes war im Oktober 1998. Damals war Triathlon über die Langdistanz noch nicht so bekannt, und daher gab es keinen Run auf die vorhandenen Startplätze, wie das heute bei manchen Rennen der Fall ist. Ich hätte also mit der Anmeldung problemlos noch ein paar Monate warten können, aber ich wollte mich festlegen. Mit dieser Selbstverpflichtung war der erste Schritt getan. Doch wie konnte ich mich am besten auf die lange Reise vorbereiten? Im persönlichen Freundeskreis kannte ich niemanden, der Triathlon, geschweige denn einen Ironman, machte. Glücklicherweise erschien in diesem Jahr ein Buch, das mich sofort ansprach und heute noch in meiner Bibliothek steht. Der Titel lautet „Ironman: Das 8-Stunden-Triathlon-Programm“.19 Das Buch richtet sich nicht an Leistungssportler, die um Zeiten und Platzierungen kämpfen, sondern vielmehr an Freizeit- und Hobbysportler, die einem Beruf nachgehen und sich den Traum vom Ironman erfüllen wollen. In der Einführung spricht der Autor Ole Petersen von den Barrieren, einen Ironman zu absolvieren („Gründe, es nicht zu tun“). Er beschreibt die Vorurteile, die Fakten und präsentiert mögliche Lösungen. Er spricht von sich selbst und all den Fehlern, die er als Anfänger im Training und bei Wettkämpfen gemacht hat. Diese schonungslose Offenheit bezüglich seiner eigenen Unzulänglichkeiten finde ich mutig und macht ihn als Autor sehr glaubwürdig. Das Buch von Ole Petersen beschäftigt sich mit Zielsetzung, Leistungsdiagnose sowie Trainingssteuerung und -planung für einen Ironman. Es verfolgt das Pareto-Prinzip, das besagt: 80 % der Ergebnisse können mit 20 % des Gesamtaufwandes erreicht werden. In meinem Fall hießen 80 % des Ergebnisses das Finish beim Ironman. Die 20 % Aufwand bezifferte ich mit rund acht Stunden Training pro Woche. Dieser Ansatz schien mir sinnvoll, wenn ich neben dem Ironman auch meine wissenschaftliche Arbeit nicht vernachlässigen und einen Ausgleich im Leben finden wollte.

      Ausgestattet mit dem neuen Wissen, ging ich meine persönliche Mount-Everest-Besteigung an. Zunächst galt es, das Basislager einzurichten, sprich, die Grundlagen für den Ironman zu legen. Da es in der Schweiz während der Wintermonate sehr kalt ist und in St. Gallen viel Schnee liegt, kam Radfahren zunächst nicht in Frage. Um das zu ändern, meldete ich mich bei einem Fitness Center in unmittelbarer Nähe an. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der Schweiz einen regelrechten Spinning-Boom. Im Fitness Center, dem ich beitrat, wurden fast jeden Tag Spinning-Kurse angeboten. Mit der Zeit fand ich viel Spaß an der Sache. Neben der Bewegung, der Gruppe und der animierenden Musik spielte auch das Mentale eine große Rolle. Unter Anleitung der ausgebildeten Master Instructors stellte ich mir vor: Wir fahren uns locker in der Gruppe auf der Ebene ein. Wenn wir warm sind, stehen wir auf und machen ein paar kurze Sprints. Nun sehen wir eine Steigung vor uns. Wir sehen einen Pass und fahren in gleichmäßigem Tempo den Berg hinauf. Das Spinning, die Fitnesskurse und das Laufen im Wald führten dazu, dass die überflüssigen Pfunde wie Schnee in der Sonne dahinschmolzen. Innerhalb weniger Monate hatte ich bei einer Körpergröße von 1,82 Metern wieder mein altes Idealgewicht von 70 Kilogramm erreicht. Das hatte jedoch auch Nachteile: Soweit ich mich erinnern kann, habe ich vorher und nachher nie mehr so viel gefroren wie in jenem Winter. Mein Körperfettanteil sank innerhalb kürzester Zeit erheblich, und mein Körper reagierte auf die Kälte mit Frösteln und Zittern der Muskeln, unabhängig davon, welche Jacke ich trug und wie viele Schichten ich anzog.

      Der regelmäßige Sport und der schlanke Körper steigerten allerdings eines: mein Selbstwertgefühl. Das gab mir Kraft, und ich fand den Mut, mich von meiner damaligen Partnerin zu trennen und aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Ich zog in eine Studenten-WG, in der gerade ein Zimmer frei geworden war. Anstatt einer großen Luxuswohnung mit Ausblick auf die St. Galler Altstadt und die umliegenden Berge, fand ich mich in einem kleinen Zimmer wieder. Doch das störte mich nicht im Geringsten – ich war innerlich befreit und gelöst. Nach der Trennung zog ich mir im Frühjahr 1999 eine schwere Virusinfektion zu, die über mehrere Wochen ging und mein Ironman-Projekt ernsthaft gefährdete. Mein Körper war vollkommen entkräftet. Ich konnte kaum zehn Treppenstufen gehen, ohne außer Atem zu geraten. Die junge Ärztin, die mich im Gesundheitszentrum behandelte, war ratlos. „Vielleicht ist es Pfeiffersches Drüsenfieber“, vermutete sie aufgrund der Symptome. Entsprechende Tests blieben allerdings negativ. Da ich neben der Abgeschlagenheit auch eine starke Schwellung der Lymphknoten am Hals hatte, befürchtete sie das Schlimmste: „Möglicherweise handelt es sich um Lymphdrüsenkrebs“, sagte sie in der nächsten Sprechstunde. Daraufhin wurde mir abwechselnd heiß und kalt. Glücklicherweise stellte sich auch das als Fehldiagnose heraus. Als sie nicht mehr weiterwusste, überwies sie mich an einen älteren Kollegen. Er war aufgrund der Befunde wesentlich gelassener: Das sei eine Virusinfektion infolge körperlicher Belastung und werde sich bestimmt bald wieder geben. So war es dann glücklicherweise auch. Nach drei Wochen kam ich langsam, aber sicher wieder zu Kräften. Ich vermute, dass meine Erkrankung körperliche und seelische Ursachen hatte: Einerseits war sie eine Reaktion des Körpers auf das viele Training, das er zu jenem Zeitpunkt noch nicht gewöhnt war. Andererseits war sie aber auch eine Reaktion der Seele, die sich nach der unglücklichen Partnerschaft und der anstrengenden Zeit der Trennung mit den Symptomen Ausdruck verschaffte. So nahm ich nach Ostern langsam wieder das Training auf und machte meine ersten Radausfahrten im Freien. Anstatt viel Geld in ein neues Rad zu investieren, kaufte ich ein gebrauchtes von einem Kollegen. Es war ein klassisches Rennrad aus Stahl. Am Anfang fuhr ich noch mit normalen Sportschuhen in den Körbchen, bevor ich mir zwei Monate vor dem Wettkampf auch ein paar Radschuhe mit Klickpedalen besorgte. Um wenigstens einmal das Gefühl für einen Triathlon zu bekommen und die Wechsel zu üben, nahm ich im Juni an einem kleinen Triathlon in der Nähe von St. Gallen teil. Trotz einer Reifenpanne, die mich gut und gerne zehn Minuten kostete, landete ich auf dem sechsten Platz von insgesamt 42 Teilnehmern. Das kam vollkommen überraschend für mich, und ich war stolz auf die gute Platzierung. Neben allen Urkunden und Medaillen des Ironman bewahre ich


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