Textland - Made in Germany. Группа авторов

Textland - Made in Germany - Группа авторов


Скачать книгу
gründlich zu Berge stehen – und das ganz abgesehen von den Exotismen, die hier bemüht werden.

      Näher an meiner Wirklichkeit war nach einer Lesung in Coburg eine Dame, die mich warnend bat, ihre Wortmeldung nicht persönlich zu nehmen. Ich müsse ihre tiefe Enttäuschung aber bitte verstehen. Ich sei als iranische Autorin angekündigt worden. Sie habe einen Roman über den Iran erwartet. Was ich da nun aber eben gerade vorgelesen hätte, sei doch „nichts weiter als deutsche Literatur von heute“. Mit dieser Einschätzung war ihr meine vehemente Zustimmung sicher.

      Die Enttäuschung, für die mit mir nicht abgesprochene Ankündigung verantwortlich war – denn ich selbst bezeichne mich nicht als iranisch-deutsche und erst recht nicht als iranische Autorin –, die Enttäuschung also, die ich gut nachempfinden kann, zielte allerdings ebenfalls auf die Biografie. Auch hier zeigte sich eine klare Erwartungshaltung, der gemäß eine „iranische Autorin“ in ihrem Werk Einblicke in den Iran zu vermitteln habe. Wieder kein literarisches Kriterium. Saša Stanišić sagt dazu in einem Essay, der mir nur in einer englischen Fassung vorliegt:

      „Any ‚good‘ author should, at any time, be able to write ‚good‘ fiction about a child suffering from cancer, a dog with three legs, or a dogleg telling a story about an immigrant author … Writing fiction also means inventing worlds which are not part of the writer’s own world.“

      Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass für mich Themen, die außerhalb des Konnotationsfeldes ‚Iran‘ angesiedelt sind, fremd seien. Aber die Coburger Dame, die so gern etwas über den Iran erfahren hätte, hat es mir, wie viele andere Zuhörer und Leserinnen, von denen ich im Laufe der Jahre Vergleichbares gehört habe, übel genommen, dass ich ihr mit dem Buch, aus dem ich an jenem Abend las – es war mein zweiter Roman, brennt – nicht dienen konnte. Für das literarische Anliegen, das ich in diesem Text verfolge, und die von mir in ihm erschaffene Welt interessierte sie sich vor, während und nach der Lesung nicht. Eine unschöne Rückkopplung war die Folge – für uns beide.

      Bei diesem elektrotechnischen Effekt handelt es sich um die „Rückführung eines Teils der von einer Verstärkeranlage abgegebenen Energie auf die Anlage selbst, die“, wie der Duden in Klammern hinzufügt, „in einem angeschlossenen Lautsprecher einen schrillen Ton erzeugen kann“. Wir sprechen also von einem (teilweise) geschlossenen System, das durch die Anordnung einzelner Teile im Raum unter Umständen Störgeräusche produziert.

      Welche Art von Sound, um nun gleichzeitig im Bild zu bleiben und wieder zu meinen Fragen zurückzukommen, erzeugen wir, wenn wir die Arbeit von Autorinnen, wie beispielsweise ich eine bin, als „mehrsprachig“ bezeichnen? Aus welchem Anliegen speist sich unsere Bereitschaft, jene Rückkopplungen in Kauf zu nehmen, die geschaffen werden, wenn meine Texte durch die Rezeption auf der Bühne der Literatur entsprechend positioniert werden? Wo genau auf dieser Bühne werden sie (und ich mit ihnen) platziert? Was wird zu nah an sie herangeschoben, was von ihnen entfernt? Wer richtet sie aus? Handelt es sich bei den auftretenden Rückkopplungen unter Umständen sogar um gewollte Effekte, wie zum Beispiel in der Rockmusik? Sind wir uns der vielfältigen Wirkungen bewusst, welche die Subsumierung eines Werks unter das Label der Mehrsprachigkeit haben kann, wenn diese Zuordnung aufgrund biografischer oder angenommener, zugewiesener, fantasierter, erwarteter biografischer Merkmale erfolgt? Welche Auswirkungen hat dies auf das Schreiben und die Rezeption zahlreicher durch Auszeichnungen wie den Hohenemser Literaturpreis oder den mittlerweile eingestellten Adelbert-von-Chamisso-Preis und durch Einladungen in Veranstaltungsformate wie Europa|Morgen|Land geehrter Autoren und Autorinnen? Wer begrüßt sie? Wer fürchtet sie? Und warum?

      Es sind sehr viele und sehr unterschiedliche Wirkungen, von denen wir sprechen müssten. Einige würden wir uns vermutlich wünschen, andere, einmal bewusst gemacht, würde ein großer Teil sicher nicht befürworten. Auch dafür ein Beispiel aus der Praxis oder, wie es im Englischen so schön heißt: from the receiving end of the line:

      Im Rahmen einer Ausstellung zum Thema „Frauenpower unter dem Tschador“ erhielt ich eine Leseanfrage. Erstaunt teilte ich mit, dass ich keinen Tschador trüge. Das sei, bekam ich zur Antwort, kein Problem (!), ich solle einfach aus meinem Buch lesen. Vorsichtig erkundigte ich mich, aus welchem meiner Bücher der Vortrag denn gewünscht sei. Das sei ganz egal, kam die Antwort ohne jedes Zögern. Aber keins meiner Bücher, warf ich ein, behandle in irgendeiner Weise das Thema. Jetzt stutzte der Herr am anderen Ende der Telefonleitung, und es stellte sich heraus, dass die Veranstalter meine Bücher samt und sonders nicht kannten. Mein Name, teilte er mir mit, habe auf einer Liste mehrsprachiger Autoren gestanden, auf der ich die einzige Iranerin (!) gewesen sei – ergo die Einladung. Welche Liste er zu Rate gezogen hatte, habe ich nicht überprüft. Es könnte gut diejenige im Wikipedia-Eintrag zur Europa|Morgen|Land-Lesereihe gewesen sein oder, wahrscheinlicher, einfach die Namensliste zum Chamisso-Preis.

      Nun gibt es natürlich Autoren und Autorinnen, deren Literatur unter der Bezeichnung „mehrsprachig“ gehandelt wird und deren Bücher auf der Ebene der Handlung hauptsächlich in Ländern außerhalb Deutschlands angesiedelt sind oder sich mit Minderheitenerfahrungen innerhalb Deutschlands beschäftigen. Doch daraus lässt sich kein Automatismus ableiten, dem gemäß eine Deutsche mit persischem Namen zwangsläufig über den Iran schreibt oder über Erfahrungen von Iranern und Iranerinnen (!) in Deutschland.

      Die Rede von der „mehrsprachigen Literatur“ kann für die Rezeption der betreffenden Autoren und Autorinnen sowie ihres Werks dann zur Gefahr werden, wenn sie nicht deutlich macht, dass sie Texte meint, nicht Biografien, und zwar auch dann weiterhin Texte meint, wenn in einem Buch von Verhältnissen oder Erfahrungen außerhalb Deutschlands berichtet wird. Will man einem literarischen Werk und seinen Verfassern und Verfasserinnen gerecht werden, muss es unabdinglich auf der Sprachebene beurteilt werden. Mitteilungen, Ankündigungen, Besprechungen, die diesen Aspekt ausklammern und in der Hauptsache auf eine womöglich „fremdländische“ Handlung oder die Biografie des Autors oder der Autorin fokussieren, laufen Gefahr, dazu beizutragen, dass mehrsprachige Schreibende, unabhängig davon, ob ihre Literaturen einem mehrsprachigen Interesse gewidmet sind oder nicht, (im doppelten Sinne) problematisch gelesen, stigmatisiert und zumindest für Exotismen benutzt und diesen ausgesetzt werden.

      Dass eine saubere Trennung zwischen Biografie und Werk bei Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die mit mehreren Sprachen aufgewachsen sind, häufig gar nicht und noch häufiger zu Ungunsten des Werks vollzogen wird, zeigte sich zu Beginn meiner literarischen Karriere, als ich den Anruf von der Robert Bosch Stiftung erhielt. Ich wurde gefragt, ob ich den mir zuerkannten Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis annehmen wolle. Gleichzeitig wurde ich darüber informiert, dass es sich dabei um einen Preis handle, der an Deutsch schreibende Autoren und Autorinnen vergeben werde, deren Muttersprache nicht Deutsch sei. In späteren Jahren wurde diese Definition geändert, und so liest man heute auf der entsprechenden Seite, dass es um „das Werk“ gehe, welches von einem „Kulturwechsel“ geprägt sein solle. 2006 lagen diese Justierungen noch weit in der Zukunft.

       „Ich schreibe, weil ich Sprachen und unter ihnen bevorzugt die deutsche unendlich gern modelliere.“

      Die genannten Vorgaben treffen auf mich nicht zu. Ich habe zwei, eigentlich sogar drei erste Sprachen gehabt. Und unter ihnen war die deutsche jene, die vom Elternhaus am intensivsten gefördert wurde.

      Aufrecht und, wie ich immer noch finde, wenn ich daran zurückdenke, geradezu tapfer schluckte ich meine Enttäuschung hinunter und wies darauf hin, dass Deutsch leider (!) meine Muttersprache sei. Ich war überzeugt, die Vergabe werde nun postwendend rückgängig gemacht. Stattdessen erhielt ich zu meiner bis heute anhaltenden Irritation die Antwort: „Ja, ja, das macht aber nichts. Sie sind mitgemeint.“

      Warum war ich mitgemeint? Weil es doch nicht ums Schreiben jenseits der Muttersprache ging? War ich mitgemeint, weil es vielleicht doch zumindest auch um die Biografie ging? Um die Erfahrung eines Länder- oder Kulturwechsels? Der allerdings ist in meinem Fall im klassischen Sinne überhaupt nicht gegeben, denn ich bin in Teheran mit Weihnachten, Ostern, evangelischer Taufe, Thüringer Räuchermännchen und Europa-Schallplatten voller deutscher Volkslieder und Karl-May-Hörspielen aufgewachsen. War die Erfahrung jenes fünfstündigen Fluges mit regulär erworbenen Tickets gemeint, der


Скачать книгу