Textland - Made in Germany. Группа авторов

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Alter von zehn Jahren ungebrochen im Geiste des Nationalsozialismus und in fließendem Übergang mit den Vertreibungsnarrativen der Nachkriegszeit sozialisiert worden war, als ‚Flucht‘ bezeichnete, obwohl wir an seinem Ende, ohne auch nur ein einziges Formular ausfüllen zu müssen, in die Bundesrepublik Deutschland einreisen durften? Ging es um die Erfahrung, dass ich bereits am Morgen nach diesem Flug in einer deutschen Grundschule eingeschult werden konnte, nicht nur weil ich Staatsbürgerin dieses Landes bin, sondern weil Deutsch meine Muttersprache ist? War ich deshalb mitgemeint? Oder trotz dessen? Gar wegen beidem? Vor allem aber: Was hatten, was haben all diese Dinge mit Literatur zu tun?

      Auch wenn diese Auszeichnung im Jahr 2006 und die mit ihr einhergehende weiterführende und wunderbar großzügige Förderung einen nicht unwesentlichen Einfluss hatten auf meinen anschließenden Weg als freie Schriftstellerin – das heißt als Schreibende, die es sich leisten kann, ganz von ihrer literarischen Arbeit zu leben –, verlässt mich das dumpfe Gefühl nicht, dass seither von meinem literarischen Schaffen ein Beitrag zur sogenannten Integration (wessen und worein?), ein Beitrag zur Öffnung des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses (wohin exakt und welchen Selbstverständnisses genau?) und eine vorbildhafte Anreizfunktion zum ordentlichen Spracherwerb für Kinder und Jugendliche erwartet wird, deren Groß- oder Urgroßeltern einmal zum Arbeiten nach Deutschland kamen. Neuerdings selbstredend auch für Kinder und Jugendliche, die schwerst traumatisiert nicht nur aus dem syrischen Krieg und von grauenerregenden Fahrten übers Mittelmeer kommend in Deutschland Zuflucht suchen.

      Ich aber schreibe, weil ich mich gern in Sprache aufhalte. Weil ich für mein Leben gern Luftschlösser aus Silben und Rhythmen und Fragen aufbaue, nur um sie schließlich begeistert und mit einem gezielten Einwortstreich niederzureißen. Ich schreibe, weil ich Sprachen und unter ihnen bevorzugt die deutsche unendlich gern modelliere. Ich schreibe, weil ich es liebe, genau das zu sagen, was ich meine, und vorher so lange darüber nachzudenken, bis ich wirklich präzise verstanden habe, was ich meine. Ich schreibe, weil mir das Schreiben selbst ein beglückender Aufenthaltsort ist und weil es meine Art ist, von dieser Welt zu sein und an ihr teilzuhaben.

      Hätte ich eine Botschaft oder wäre es meine Absicht, Jugendlichen ein Vorbild oder Kindern eine Unterstützung zu sein, ich wäre Politikerin geworden, Gewerkschafterin, Aktivistin oder schlicht in meinem Erstberuf der Pädagogik geblieben. Ich habe keine Botschaft. Ich habe keine Antworten. Weder eigne ich mich dazu, die Verantwortung eines Vorbilds zu tragen, noch habe ich um sie gebeten.

      Dass ich mehrsprachig lebe in einer Zeit, in der Rassismus, Antisemitismus und all die anderen altbekannten Abwertungs- und Ausgrenzungsverfahren in Deutschland wieder besorgniserregend zunehmen und wieder erschreckend hoffähig geworden sind, ist Zufall. Dass ich gegen diese Tendenzen die Stimme erhebe, ist meine persönliche Haltung. Wenn es um mein Schreiben geht, wünsche ich mir aber, wie vermutlich alle Literaturschaffenden, dass es seiner literarischen Qualität halber gelesen, gelobt oder gescholten wird, nicht aufgrund einzelner – zutreffender oder fantasierter – Aspekte meiner Biografie. „Die Wahrheit ist, daß ich schreibe, um mich auszudrücken. Ich schreibe für mich. Die Gesellschaft ist nicht mein Dienstherr. Ich bin nicht ihr Priester oder auch nur Schulmeister.“ Besser als Max Frisch kann ich es gar nicht auf den Punkt bringen. Welche als deutsch wahrgenommene Autorin müsste darauf heutzutage noch hinweisen, gar um das Recht darauf kämpfen?

      Entgegen meinem eigenen Standpunkt wahrgenommen als eine, die sich literarisch zu Fragen der Migration und der sogenannten Integration äußern kann und möchte, wurden aber von dem Moment an, in dem ich als Schriftstellerin in Erscheinung trat, Auftragsarbeiten zu genau diesen Themenkomplexen an mich herangetragen. Auftragsarbeiten, für die ich gut bezahlt wurde. So ist ein ganzes Korpus aus Texten entstanden, die ich meinem eigenen literarischen Interesse folgend vermutlich niemals verfasst hätte. Im Laufe der Jahre sind es so viele geworden, dass sie seit Kurzem als eigenständiger Erzählband vorliegen. Es sind gute Texte. Texte, zu denen ich mühelos stehen kann und die ich mag. Texte, deren Niederschrift mich abgehalten hat von jenen literarischen Projekten, die mich mit größerer Dringlichkeit umtreiben, für die ich aber keine Aufträge erhalten habe.

      Da ist er wieder, der schrille Ton der Rückkopplung. Die allermeisten meiner Versuche, auf der Bühne der Literatur im deutschsprachigen Raum ein Eckchen zu finden, in dem die Techniker und Produzentinnen den Verstärker nicht ganz so nah an mich heranschieben können, waren bis jetzt vergeblich. Es scheint, als sei ich in einer Möbiusschleife gefangen, in einem System ohne Ausgang, einem Hamsterrad, in dem ich mich nur so bewegen kann, dass von all dem Vielen, das ich bin, nur Weniges und immer Gleiches sichtbar wird.

      Irina Bondas spricht von der „großen emanzipatorischen Freiheit … [die] es ist, sich nicht zwanghaft identifizieren zu müssen.“ „Auch das“, sagt sie, „ist es, wofür Menschen in mehr oder weniger freiheitlichen Gesellschaften kämpfen: … für das Recht, nicht Geisel einer Position oder Positionierung zu werden.“ Ihre Sätze im Ohr, sage ich:

      Ja, ich singe gern ein Hohes Lied auf mehrsprachige Literatur von Schreibenden egal welcher biografischer Provenienz, sofern dieses Label auf unsere Texte zielt, nicht auf unsere Biografien, und solange es uns nicht in unsere Fremde verweist und in unseren Heimaten verwaist.

       Literatur

      Bondas, Irina: „Wir sind andere“. Unveröffentlichte Keynote für das Parataxe Symposium OSTPOL BERLIN am 23.11.2017 am Literarischen Colloquium Berlin

      Campbell, Paul-Henri: nach den narkosen. Heidelberg 2017

      Frisch, Max: Montauk. Frankfurt am Main 1975, S. 29.

      Köhler, Barbara: 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss. Wien 2017, S. 64.

      Mohafez, Sudabeh: Gespräch in Meeresnähe. Hamburg/Zürich 2005

      dies.: brennt. Köln 2010

      dies.: Behalte den Flug im Gedächtnis. Dresden 2017

      Seel, Daniela: was weißt du schon von prärie?, Berlin 2015

      Saša Stanišić: „Three Myths of Immigrant Writing. A View from Germany“.

      Words without Borders Magazine 2008

      Steiner, George: „Von Nuancen und Skrupeln“. In: ders.: Im Raum der Stille: Lektüren. Berlin 2011, S 199.

      Stolterfoht, Ulf: Neu-Jerusalem. Berlin 2015

      Wolf, Uljana: „meine schönste lengevitch“. Berlin 2013

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       Dramolett in einem Akt

Marjana Gaponenko image

      Foto: Ekko von Schwichow

       MARJANA GAPONENKO (*1981 in Odessa). Studium der Germanistik in Odessa, lebt heute in Mainz und Wien. Für den Roman Wer ist Martha? (Suhrkamp Verlag) wurde sie mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Im September 2018 erschien ihr Roman Der Dorfgescheite bei C. H. Beck.

      Irgendwo in Europa. Eine antikisierte Gartenlaube in der Mitte der Bühne. Rundherum Blumenbeete, allerlei Pflanzen.

      FREIFRAU VON SWIPSMALHEUR: (mit dem Gesicht zum Publikum) Meine Damen, ich heiße Sie willkommen. Ihre Aufgeschlossenheit dem heiklen Thema unseres heutigen Kulturabends gegenüber spricht für Ihre menschliche Größe. Viele von Ihnen werden so wie ich Herrin eines prächtigen Gartens sein und vielleicht auch einen Garteneremiten haben. Den Anblick unserer sinnierenden und so herrlich weltentrückten Streuner wollten schon unsere Vorfahren nicht missen. Haben Sie aber jemals darüber nachgedacht, woher diese Sitte kommt? Sie hat ihren Ursprung im fernen 18. Jahrhundert in einem Land, das den wenigsten von Ihnen etwas sagen wird. England. (Raunen) Völlig richtig, untergegangen. Es ist total bedauerlich,


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