Fettnäpfchenführer China. Anja Obst
Und scheuen Sie sich nicht davor, auch mal Manager zu sein. Je hochgestochener Ihre Position, desto mehr Eindruck machen Sie. Natürlich muss dies im Rahmen der Wahrheit sein – ein Student der Sprachen forscht ja aber auch so manches Mal nach dem richtigen Wort. Warum soll er sich dann nicht Wissenschaftler nennen?
Um dem Mysterium auf den Grund zu gehen, bleibt Peter nichts anderes übrig, als zu fragen.
Xiao Li steht ihm gern Rede und Antwort und erklärt: »In China steht der Nachname immer zuerst. Ich heiße also Li und mit Vornamen Caibo. Das xiǎo ist ein oft benutzter Zusatz. Es bedeutet klein. Es gibt auch lǎo, das bedeutet alt – oder besser ehrwürdig. Aber ich bin noch nicht so ehrwürdig, also nennen mich alle Xiao Li, Kleiner Li.«
Jetzt ist Peter noch beschämter. So eine leichte Vokabel wie klein hat er natürlich schon längst gelernt. Dass er da nicht von selber drauf gekommen ist!
»Sie können die Leute auch mit ihrem Titel anreden«, fährt der Kleine Li fort, »wie Meister, shīfu, oder Lehrer, lǎoshī. Davor steht der Nachname, nicht wie im Deutschen danach. Also Wang shīfu, Meister Wang. Vornamen benutzt man nur im Familien- und ganz engen Freundeskreis.«
Nach dem Schreck einer Vollbremsung des Fahrers, weil sich ein anderes Auto ohne zu blinken bei voller Fahrt direkt vor sie gesetzt hat, nimmt der Kleine Li das Thema wieder auf. »Ich war so frei, mir für Sie auch schon mal einen Namen auf Chinesisch zu überlegen. Was halten Sie von Ai Hua? Es klingt ja so ähnlich wie Auer.«
Peter wiegt den Kopf überlegend hin und her. Oder wackelt der wegen des schnellen Zickzack-Kurses des Fahrers?
»Es bedeutet ›China lieben‹«, übersetzt der Kleine Li ungerührt der Schaukelei. »Viele Ausländer übersetzen ihre Namen einfach nur phonetisch, aber sie achten nicht auf die Bedeutung. Die ist genauso wichtig wie ein guter Klang. Viele Namen sind ja richtig kompliziert für Chinesen, wie Schmitz zum Beispiel.«
Peter schaut verwundert auf den Kleinen Li und stößt sich, dank einer plötzlichen Bewegung, den Kopf am Haltegriff. Schmitz ist doch so ein simpler Name!
»Um Schmitz phonetisch zu übersetzen, braucht der Chinese vier Zeichen: She mi te se.«
ÜBRIGENS
Im Chinesischen gibt es keine Silben, die einen mehrfachen Konsonanten hintereinander haben. Außer bei der Endung ›ng‹, wie z.B. bei ming oder bang, werden alle Konsonanten von einem Vokal begleitet. Diese Endung ist neben ›n‹, wie z.B. bei lan oder wen, auch die einzige Variante, die nicht mit einem Vokal abschließt. Darum erfordern phonetische Übersetzungen, wie bei dem Namen Schmitz, mehrere Silben, also auch Schriftzeichen. Es gibt zudem keine Silbe, die länger als sechs Buchstaben ist.
Und schön klingt es auch nicht, denkt Peter.
»Und schön klingt es auch nicht«, sagt der Kleine Li. »Und dann fehlt ja noch der Vorname! Ihr Name klänge phonetisch übersetzt auch eher seltsam. Eventuell so was wie: Peite’er Aoer. Oder Bide Aoer. Bide ist praktisch die chinesische Übersetzung von Peter.«
Und hört sich an wie Bidet, fügt Peter im Stillen hinzu. Nein, nein, er braucht keine weitere Überredungskunst. Ob er es tatsächlich tun wird, stellt sich zwar erst irgendwann heraus, aber sein chinesischer Name soll es ruhig schon prophezeien: Er wird ›China lieben‹ heißen.
Namen sind nicht Schall und Rauch
Ganz im Gegenteil! Da die Anzahl der Nachnamen sehr begrenzt ist – es gibt nur rund siebenhundert – legen die Eltern großen Wert darauf, ihren Sprösslingen sowohl wohlklingende als auch bedeutungsschwangere Namen zu geben. Einige gehen so weit, einen Wahrsager aufzusuchen, der sie bei der Namensgebung beraten soll. Dieser versucht dann, anhand der Geburtszeit und des Sternzeichens etwas Passendes zu finden. Glück soll es verheißen und große Dinge herbeizaubern. Auf dem Namen kann also eine große Last liegen: Die Zukunft soll vielversprechend sein, dem Reichtum die Türen geöffnet werden oder das Kind eine wünschenswerte Eigenschaft entwickeln.
Auf dem Land werden Töchter zum Beispiel gerne Zhaodi, ›einen kleinen Bruder suchen‹, genannt. Kinder in der Stadt sollen durch ihre Namensgebung reich und intelligent werden, wie zum Beispiel auch der Kleine Li. Sein Vorname, Caibo, bedeutet ›Reichtum und Welle‹. Seine Eltern hoffen, dass er irgendwann auf der Woge des Geldes dahin schwimmt.
ÜBRIGENS
Kinder und damit auch die frühere Ein-Kind-Politik Chinas sind ein langes, eigenständiges Thema, siehe dazu auch Kapitel 15 ›Jié Wài Shēng Zhī‹. Daher nur kurz: Bauern auf dem Land, aber auch noch viele Menschen in der Stadt, hofften darauf, dass ihr einziges Kind ein Sohn sein wird. Töchter verlassen mit der Heirat das Haus der Eltern, Söhne bleiben, bringen sogar mit der Eheschließung eine weitere Arbeitskraft nach Hause und sichern somit den Lebensabend der Eltern. War das Erstgeborene eine Tochter und durfte die Familie aufgrund einiger Ausnahmeregeln ein zweites Kind bekommen, war kein Name besser für die Tochter als ›den Kleinen Bruder suchen‹.
Früher, als China in verschiedenen politischen Turbulenzen steckte, waren entsprechende Vornamen aktuell. Kinder, die um 1949, zur Gründungszeit der Volksrepublik China, geboren wurden, hießen oft Jiefang, Befreiung, oder Guoqiang, Landesverteidigung. Zugegeben, keine sehr liebevolle Namen. Während der Kulturrevolution, die 1966 begann, waren dann Namen wie Hong, rot, oder Geming, Revolution, sehr beliebt. Später, mit der wirtschaftlichen Öffnung Chinas Anfang der 1980er-Jahre, nahmen westlich klingende Namen wie Mali in Anlehnung an Mary zu.
Irgendwann kam die Idee auf, den Kindern auch sehr spezielle Namen zu geben, was sich vor allem auf die Schreibweise bezog. Dieser Kreativitätsschub warf allerdings ein unvorhergesehenes Problem auf: Bei der Umstellung der Behörden auf elektronische Datenverarbeitung fehlten ihnen diese ungewöhnlichen Zeichen in ihrem Schreibprogramm. Ihre Computer waren nur mit den gebräuchlichsten Zeichen ausgerüstet, die Ausstellung eines Personalausweises wurde somit zu einem unmöglichen Vorhaben. Bei der Frage nach der Problemlösung zuckten die Beamten meist nur mit den Schultern. Sie empfahlen, den Namen zu ändern. Umsonst war somit die Mühe, einen verheißungsvollen Namen gefunden zu haben.
Darüber, ob sich deswegen das Schicksal des Trägers zum Schlechten gewendet hat, gibt es aber keine Informationen.
2
YÌ KǑU TÓNG SHĒNG
WIE AUS EINEM MUNDE
异口同声
Obwohl es bitterkalt ist, entschließt sich Peter, den Campus und die nähere Umgebung der Universität zu erkunden.
Dick eingemummelt stapft er los und ist schon nach wenigen Metern überrascht, wie viele Chinesen trotz der Kälte draußen ausharren, anscheinend ohne eine bestimmte Aufgabe. Meist sind es Pärchen, die sich einen windstillen und sonnigen Platz gesucht haben und miteinander tuscheln. Zwei kichernde, Arm in Arm eingehakte Chinesinnen kommen ihm entgegen.
ÜBRIGENS
Im Gegensatz zu Peters luxuriösem Zweibettzimmer wohnen die meisten chinesischen Studenten in Mehrbetträumen mit bis zu zehn Bewohnern. An Privatsphäre ist dort natürlich nicht zu denken. Um den Liebsten zu sehen oder auch nur mal in Ruhe mit der Freundin zu quatschen, bleibt den meisten nichts anderes übrig, als sich draußen zu treffen.
»Hello«, sagt die eine schüchtern, was einen erneuten Kicheranfall bei ihnen auslöst.
Höflich grüßt Peter zurück, worauf die beiden stehen bleiben und auf Englisch