Fettnäpfchenführer Neuseeland. Rudi Hofer
aus dem Auto steigen, sie wird jeden Moment in der Tür erscheinen.«
Keine zehn Sekunden später stand eine fröhliche junge Frau vor Peter und sagte: »Hi there! – Na du! Na ihr! Ich bin Aroha. Und du musst Peter aus Deutschland sein. How are you?«
Arohas direkte Art war Peter nicht unangenehm, und so konnte er ohne Umschweife sein Anliegen ansprechen, was wiederum für Aroha nicht das geringste Problem war. Sie führte ihn schnellen Schrittes durch die anderen Räume, während sich Kwan wieder seinen Studien widmete. Peter war erleichtert, dass er außer in Kwans Raum keine weiteren Anzeichen für eingedrungenes Wasser feststellen konnte, was er darauf zurückführte, dass der Anbau um einiges neuer sein musste als das Haupthaus.
Peter ging übers deck zurück und überlegte die Alternativen: Kwans Vorschlag aufgreifen und auf trockene Zeiten warten? Unmöglich. Die Feuerwehr anrufen? Vielleicht noch nicht in diesem Stadium. Dennoch musste etwas geschehen! Durch seinen Kopf rasten Gedankenfetzen wie ›Schadensmeldepflicht‹, ›Unterlas-sung‹, ›Teilschuld‹ und andere beunruhigende juristische Begriffe. Sollte er versuchen, Malcolm in London zu erreichen, um mit ihm die Lage zu besprechen? Er verwarf die Idee, aber seine Sorgen blieben bestehen.
›Falls ein zweiter Schauer die gleiche Ladung Regen bringt, dann habe ich ein wirklich ernstes Problem‹, dachte er vor sich hin, während er einen Eimer oder ein sonstwie geeignetes Gefäß suchte, um wenigstens dort, wo es von der Decke tropfte, die Ausweitung des Schadens zu verhindern. In der Küche, wo er glaubte, am ehesten fündig zu werden, fand er nichts dergleichen. Bei der weiteren Suche betrat er schließlich die Garage, die nur durch einen kleinen Zwischenraum vom Haus getrennt war.
Für einen Moment war seine Nervosität wie ausgeblendet: Peter stand in einem fast fünfzig Quadratmeter großen Miniuniversum. Diese Garage war eine faszinierende Kombination aus Holzlager, Werkstatt, Stauraum, Waschküche, Bier- und Weinkeller, Bootshaus (mit einer unterm First hängenden Optimisten-Jolle) und Automuseum – unter einer Plane stand inmitten dieses kunterbunten Arsenals ein verwitterter Geländewagen vom Typ »Trekka«. Doch Peter konnte sich nicht mit langen Betrachtungen der üppigen Szenerie aufhalten. Es roch auch hier etwas modrig. Wasser sammelte sich in Pfützchen auf dem Boden. Natürlich war ein Eimer in diesem Allzweckgerätemagazin schnell gefunden.
QUERFELDEIN
Der Trekka ist ein Geländewagen, der von 1966 bis 1973 in Neuseeland gebaut wurde. Er ist überhaupt das einzige Auto, das je in diesem Land produziert wurde. Motor und Getriebe stammten von Skoda. Es gab zwei Ausführungen des Fahrzeugs, eine mit 1.000 ccm Hubraum und 42 PS Leistung sowie eine mit 1.200 ccm und 47 PS. Der Wagen wurde in Versionen mit geschlossener Kabine und als Pickup produziert. Mit einiger Fantasie erinnert die Form ganz entfernt an einen Landrover, konnte jedoch dessen Fahrleistungen nicht einmal annähernd erreichen.
Immerhin 2.500 Exemplare des Trekka wurden hergestellt und einige davon nach Australien und Indonesien exportiert.
Der Trekka zählt ganz klar zu den großen technischen Ikonen des Landes und ist das Sinnbild der sogenannten »Kiwi-can-do-Haltung« im Neuseeland der Sechziger Jahre.
Peter platzierte den Eimer unter der triefenden Stelle im Wohnzimmer und stellte bald halbwegs zufrieden fest, dass der Takt, in dem die Tropfen im Gefäß aufschlugen, allmählich langsamer wurde. Draußen war inzwischen keine Wolke mehr am Himmel zu sehen.
VIER JAHRESZEITEN
Aucklands Einwohner verstehen unter dem typischen Auckland Wetter (typical Auckland weather) eine Wetterlage, die man am besten als »durchwachsen« beschreibt: Es herrscht klare Sicht mit vielen schneeweißen, aber riesigen Cumuluswolken vor tiefblauem Himmel, von denen sich hin und wieder eine gewaltig auftürmt und in einem starken Schauer entlädt; es ist die Rückseite einer nachts zuvor durchgezogenen Kaltfront. Das sieht zusammen mit dem dunkelgrünen Meer fantastisch aus.
Peter wischte, so gut es ging, Decken und Wände mit einem Wischmopp und ein paar Tüchern ab. Kwan kam kurz herein und bedankte sich für Peters Einsatz, auch in Arohas Namen. »No worries! – Keine Ursache! Gern geschehen! Kein Problem! Ihr seid beide übrigens ausgesprochen freundlich«, rief Peter, der sich nun langsam wieder entspannte.
Dann lief er nochmals durch alle Räume und rückte einige Schränke und Kommoden eine Handbreit von den Wänden weg. Die Luft sollte zirkulieren können. Mehr konnte er wirklich nicht tun. Bis er nun endlich Riqis Nummer wählen konnte, zeigte der Blick auf die Uhr fünf vor zwölf.
»Hoffentlich ist diese Uhrzeit nicht im übertragenen Sinne zu verstehen«, murmelte Peter, als er bereits Riqis Stimme im Telefon hörte.
Riqi war bester Laune: »Heya bro! Hast du deinen Jetlag kuriert? Der Uhrzeit nach zu urteilen, hast du lange und hoffentlich auch gut geschlafen. Don’t get me wrong – versteh’ mich nicht falsch –, das wäre ja auch ein gutes Zeichen dafür, dass dich dein neuer Job nicht überfordert.«
Peter lachte und erzählte sofort, welchen abenteuerlichen Arbeitseinsatz er gerade hinter sich gebracht hatte, und fragte Riqi, was er an seiner Stelle getan hätte.
»Weißt du, Peter, als Kiwi und Maori kann ich ganz klar sagen, dass ich den praktischen Teil der Aktion genauso abgewickelt hätte. Aber die vielen Sorgen und Gewissensbisse – die hätte ich mir auf keinen Fall gemacht. That’s for sure! – So viel ist sicher! Das steht fest!«
Anschließend erfuhr Peter von Riqi, dass Malcolms Haus eines von knapp 90.000 undichten Gebäuden, leaky buildings, in Neuseeland ist, was man wie eine unheilbare Krankheit der Bauten betrachtet könnte. Er brachte das feuchte Problem auf den Punkt: »Malcolm hat, soviel ich weiß, im letzten Jahr rund 30.000 Dollar in Ausbesserungsarbeiten investiert, was aber nur wenig gebracht hat. Wenn er Pech hat, wird er in einigen Jahren das Haus abreißen und neu aufbauen müssen, so gut es auf den ersten Blick auch dasteht.«
STETER TROPFEN
Neuseeland hat ein sehr ernst zu nehmendes Problem mit leaky buildings. Undichte Häuser und Wohnungen, aber auch Firmengebäude und selbst Hochhäuser sind epidemisch. Eine Studie der Otago University stellt fest, dass Wasser und Feuchtigkeit in 75 Prozent aller Wohnhäuser Neuseelands dringt.
Daraus folgt im nächsten Schritt, dass 38 Prozent der feuchten Wohnungen Schimmel- und Fäulnisbefall zeigen, woraus sich wiederum für die Bewohner eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit ergibt, von Atemwegskrankheiten befallen zu werden.
Es ist müßig, auf dieses Phänomen näher einzugehen, die Ursachen zu suchen oder abzuwägen, was dagegen getan werden könnte. Man muss die Fakten akzeptieren, wie sie sind. Wer das Pech hat, in einem leaky building zu wohnen, kann als Mieter immerhin jederzeit ausziehen. Das echte Problem hat tatsächlich der Eigentümer, dessen Gebäude unaufhaltsam verrottet, bis nur noch der Grundstückswert übrig bleibt.
Das Stadtparlament von North Shore City hat den aktuellen Gesamtschaden der verfaulenden Häuser auf landesweit mindestens zwei Milliarden Dollar beziffert.
Da es keine Versicherung für leaky buildings gibt, und auch die Bauunternehmer, die die betroffenen Häuser möglicherweise schlampig errichtet haben, nicht in Regress genommen werden können, bleibt den Gebäudebesitzern nur die Chance einer staatlichen Finanzierungshilfe, bei der ein Viertel der Reparaturkosten von der öffentlichen Hand übernommen wird und der Staat eine Darlehensbürgschaft für die verbleibenden 75 Prozent gewährt.
Während Riqi ihm die Problematik der undichten Häuser erklärte, ließ Peter den Blick über die Wände und Decken wandern und fand es geradezu ironisch, dass neben der nassesten Stelle an der Decke ausgerechnet ein Rauchmelder installiert war. Immerhin war er froh, dass die Tropfenbildung mittlerweile zum Erliegen gekommen war.
Riqi sagte: »Peter, ich glaube es ist höchste Zeit, dass du auf andere Gedanken kommst. Kaum bist du in Neuseeland angekommen, wirst du schon mit dem Problem Nummer eins der Hausbesitzer konfrontiert – das reicht erst mal für den Anfang. Sag mal, möchtest du nicht mit