Fettnäpfchenführer Neuseeland. Rudi Hofer
liegt an der Wellesley Street mitten in Aucklands CBD. Es gibt drei weitere Campusse: im Norden Aucklands (AUT North Shore), in Süd-Auckland (AUT South) und das Millennium Institute of Sport and Health (AUT Millennium Campus).
Riqi unterbrach Peters Fragestunde: »Wir sind jetzt in Takapuna, es ist also nicht mehr weit bis zu Malcoms Haus!« Er bog mit dem schweren Wagen vom Motorway ab und mitten hinein in ein Wohngebiet.
Peter fiel sofort auf, dass hier alles ganz anders aussah als in Deutschland. Es waren nicht allein die stattlichen Palmen in vielen Vorgärten, die den großen Unterschied ausmachten. Peter war sehr gespannt darauf, wie wohl Malcolms Haus aussehen mochte, in dem er von heute an voraussichtlich für längere Zeit wohnen würde. Dann sah er auch schon das grün-weiße Straßenschild der Sanders Avenue und Riqi bog kurz darauf in die Einfahrt eines strahlend weiß getünchten Hauses ein. Es war offensichtlich komplett aus Holz im Viktorianischen Stil gebaut, hatte eine überdachte Veranda und ein grünes Dach, vermutlich aus Metall.
»Peter, we have arrived! – wir sind da! Das ist Malcolms Haus. Was sagst du zu deinem neuen Quartier und Arbeitsplatz?«
Peter öffnete die Wagentür, stieg aus und ließ den Blick schweifen – einmal die Straße rauf, einmal runter, schließlich musterte er das Haus, vor dem sie standen. Riqi legte nach: »Na los – ganz spontan. Wie findest du die Hütte?«
Peter war begeistert: »Wow! Das hat Stil! Wenn ich da an meine Apartmentanlage in Frankfurt denke ... Wirklich, das Haus ist super! Überhaupt begeistert mich das ganze Wohngebiet: Hier sind die unterschiedlichsten Baustile versammelt. Das erinnert mich ein bisschen ans Amerikanische, wenn ich das so sagen darf.«
»Du darfst alles sagen, mate, es gibt in Neuseeland keine Zensur! Aber hier wie bei den Amis handelt es sich größtenteils um denselben Ursprung – nämlich der Architektur aus dem Angelsächsischen.«
»Und es ist wohl alles aus Holz gebaut – gemauerte Häuser sehe ich gar keine. Na gut, es wird schon nicht durch die Ritzen ziehen ...« Peter fand sich selbst sehr amüsant.
Siobhan kommentierte: »Ich kam zwar schon im Alter von 8 Jahren nach Neuseeland, kann mich aber noch an die Steinhäuser in Irland erinnern. Ich denke, die Bauweise wird in Deutschland ähnlich sein, nicht wahr? So etwas kannst du hier weitgehend vergessen. Fast alle Wohnhäuser sind aus Holz in klassischer, handwerklicher Zimmermannsarbeit aufgebaut. Die Wohngebiete sind auch tatsächlich oft eine Ansammlung der unterschiedlichsten Stilrichtungen – Einheitsbauten findest du selten. Nur, ob es durch die Ritzen zieht oder nicht, das musst du schon selbst herausfinden.«
HAUSORDNUNG
Es gibt auch in Neuseeland Behörden, die Bauprojekte auf ihre Genehmigungsfähigkeit hin prüfen und gelegentlich auch Änderungen fordern oder Pläne ablehnen. Allerdings sind Spezialitäten wie Vorschriften zu Dachneigungswinkeln, Balkontiefen und Dachfarben praktisch unbekannt. Den Zwang zur stereotypierten Einheitsoptik gibt es nicht. Die Wohngegenden im Reich der Kiwis haben daher ein recht lebendiges Erscheinungsbild, und schablonenhaft gerasterte Anlagenstrukturen sieht man nirgendwo.
Je nach Alter und Entwicklungsverlauf einer Wohngegend findet man mitunter eine ziemlich bunte Mischung von Bauten. Im Wesentlichen unterscheidet man bei neuseeländischen Häusern die folgenden Stilrichtungen:
Traditional – gebaut in Ständerbauweise mit einem Grundgerüst aus Holz und einer Außenverkleidung aus sogenanntem weatherboard. Letzteres besteht aus langen Holzpaneelen, die schuppenartig überlappend (zum besseren Wasserablauf bei Regen) auf den Außenwänden des Hauses angebracht werden. Das Dach ist meistens aus Blech.
Colonial – ebenfalls gebaut in Ständerbauweise, jedoch mit einer konventionellen Paneelverkleidung der Außenseiten. Diese Häuser sind äußerst anfällig für Schäden durch Feuchtigkeit. Das Dach ist auch hier meist aus Metall.
Modern – allgemein kubusförmige Häuser mit großen Glasflächen und unterschiedlichen Dachformen (z. B. Pultdach, Flachdach). Da in Neuseeland praktisch keine Doppelverglasung verbaut wird, haben Häuser mit hohem Glasanteil und riesigen Fensterflächen oft ein erhebliches Isolationsproblem. Das Dach kann mit Schindeln oder auch nur mit einfacher Teerpappe gedeckt sein. Auch bei modernen Häusern überwiegt Holz als Hauptbaustoff. Manche der Bauten haben eine Steinplattenverkleidung der Außenwände, aber nur extrem wenige werden mit einem richtigen Mauerwerk aufgebaut.
Mediterranean – Diese Bauart versteht sich durch den eindeutigen Namen von selbst. Der Mittelmeer-Stil ist bei neuen Häusern in Neuseeland derzeit sehr beliebt. Die Außenwände tragen oft Strukturputz, und zur Eindeckung werden häufig solide Dachpfannen aus gebranntem Ton verwendet.
Contemporary – bedeutet vom Wort her »zeitgemäß, gegenwärtig« und wird von Maklern immer dann zur Beschreibung eines Haustyps verwendet, wenn alle vorangegangenen ihrer Meinung nach nicht richtig zutreffen. Meistens wird die Bezeichnung jedoch allgemein mit »modern« gleichgesetzt.
Riqi ging zur Eingangstür und kramte eine Weile sämtliche Hosen-und Jackentaschen durch. Als Peters Ankunft in Neuseeland sicher war und der Termin feststand, ist Malcolm sofort nach London abgereist und hat Riqi einen Schlüssel übergeben. Das war es, wonach Riqi gerade suchte, und schließlich auch fand. Er hielt den Schlüssel Peter feierlich entgegen und schlug ihm vor, doch selbst die Tür zu öffnen und einzutreten: »Alternativ kann ich dich natürlich auch über die Schwelle tragen ...«
Peter freute sich über den Schlüssel, lehnte Riqis Angebot dankend ab und betrat wenige Augenblicke später das Haus. Im vestibule (Vorraum, Diele, Windfang) roch es ein bisschen nach abgestandener Luft, aber der Eindruck, den das Haus im Inneren machte, war äußerst positiv. Peters unterschwellige Erwartung, die Einrichtung könnte vielleicht sehr britisch und dementsprechend etwas verstaubt im übertragenen Sinne sein, erfüllte sich überhaupt nicht – fast im Gegenteil: alles wirkte frisch und modern.
Riqi, der ins Haus gefolgt war, schob Peter von hinten an den Schultern in die Mitte des Raumes: »I’m off, mate! – Ich bin dann mal weg! Ich muss dringend noch ein paar Sachen erledigen und lass’ dich jetzt erst mal alleine. Ich würde dich ja gründlich einweisen, so wie man das bei der Übergabe eines Hauses im Allgemeinen wohl macht, aber ich sage dir ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Klar, ich war schon oft hier, und ich weiß auch, wo der Kühlschrank mit dem Bier steht, aber das war es dann auch schon. Kiss, sagt man hier in solchen Fällen. Also sieh die Sache ganz unkompliziert. Du wirst dich schnell zurechtfinden. In Malcolms Telefon sind alle meine Nummern eingespeichert. Ruf mich an, wenn du etwas brauchst, oder besser noch: etwas unternehmen willst – egal wann, noch heute oder morgen, jederzeit. Ach ja, nur falls etwas passieren sollte: Die Notrufnummer in NZ ist 111.«
NICHT KUSSECHT
In diesem Fall hat Kiss weder mit dem Kuss noch mit der amerikanischen 70er-Jahre-Rock-Band irgendetwas zu tun. Vielmehr stellt Kiss als Kurzwort das Konzentrat eines besonders ausgeprägten Teils der Kiwi-Mentalität dar.
Es heißt in Langschrift »keep it simple, stupid«, also wörtlich »Halte es einfach, Dummkopf« oder freier »Warum kompliziert, wenn’s auch einfach geht?«
Die Floskel wird im besten Kiwisinne immer dann verwendet, wenn sich jemand mit viel Aufwand an eine Sache heranmacht, bei der auch eine Einfachlösung mehr als ausreichend wäre. Kiss ist als »KISS-Prinzip« auch in manchen Bereichen der deutschen Wissenschaft bekannt.
Peter blieb weder Zeit zu antworten noch eine wirklich Wahl – Riqi hob seine Handflächen und Peter schlug reflexartig ein, womit die Hausübergabe wohl besiegelt war. Siobhan setzte zum big hug an und sagte: »Bye for now, Peter. It was nice to meet you!«
Ohne zurückzusehen rief Riqi auf dem Weg zu seinem Wagen: »Der Hinweis auf den Notruf war ein Scherz. Aber 111 ist trotzdem richtig. See ya!«
EINS, EINS, EINS!
Die landesweite Notrufnummer in Neuseeland