Auf dem rechten Weg?. Aiko Kempen

Auf dem rechten Weg? - Aiko Kempen


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die Staatsgewalt kein Selbstzweck. Angesichts der gehäuften Vorwürfe rassistischer Umtriebe in der Polizei im Jahr 2020 verwiesen viele – allen voran die Polizeigewerkschaften – darauf, dass die deutsche Polizei laut Umfragen ein ungebrochen hohes Vertrauen in der Bevölkerung genieße. Doch wie viel ist das Vertrauen in eine Institution wert, die sich nach außen abschottet? Wie viel zählt das Vertrauen in eine Gewalt, die sich keiner Debatte stellen muss? Vertrauen entsteht durch die Möglichkeit zur Kontrolle. Und wirksame Kontrolle kann nur von außen passieren.

      Hinzu kommt: Längst nicht alle gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland nehmen die Polizei gleichermaßen wahr. In Befragungen gaben Menschen mit Migrationshintergrund signifikant häufiger an, von der Polizei ungerecht behandelt worden zu sein.6 Diese Werte stiegen in den letzten Jahren zudem sichtbar an. Relevante Teile der deutschen Gesellschaft haben demnach kein ungetrübtes Vertrauen in die Polizei. Vor allem weil sie das Gefühl haben, dass ihre Kritik, die sie immer wieder vorbringen, nicht gehört wird. Seit Jahren berichten Schwarze Menschen in Deutschland über rassistische Polizeikontrollen und exzessive Polizeigewalt. Seit Jahren werden rechtsextreme Umtriebe in der deutschen Polizei aufgedeckt. Dem entgegen steht eine Polizei, die sich als unfehlbar inszeniert – und von Politikern als unfehlbar inszeniert wird. Die unsägliche Floskel der »Einzelfälle« wird seit Jahrzehnten wie ein Mantra wiederholt. Doch wenn Vertrauen fehlt, weil sich eine Gewalt nicht fortwährend rechtfertigen muss, sondern zum Selbstzweck wird, entlädt sich die Wut im schlimmsten Fall auf der Straße. Auseinandersetzungen und Angriffe auf die Polizei, wie im Sommer 2020 in Stuttgart oder Frankfurt, zeugen von einem Klima, das nicht über Nacht entstanden ist.

      Der Umgang mit der Frage nach Rechtsextremen und Rassisten in der deutschen Polizei ist daher zugleich eine Frage nach dem Umgang mit der Polizei an sich. Wenn wir der Polizei nicht misstrauen dürfen, verspielen wir das Vertrauen in die Demokratie.

      8 Minuten und 46 Sekunden sind es, die dafür sorgen, dass 2020 weltweit Menschen über Rassismus und Polizeigewalt diskutieren. 8 Minuten und 46 Sekunden, in denen der Schwarze US-Amerikaner George Floyd um Luft ringt, während ein Polizist auf seinem Hals kniet; währenddessen sogar direkt in die Kamera blickt, die das Geschehen festhält. 8 Minuten und 46 Sekunden, die tödliche Polizeigewalt so eindrücklich dokumentieren wie wohl nie zuvor in der Geschichte.

      Auch in Deutschland gehen daraufhin Zehntausende Menschen unter dem Motto »Black Lives Matter« auf die Straße. Und auch in Deutschland werden Vorwürfe von Rassismus und Gewalt bei der Polizei lauter – genauer gesagt: bei den Polizeien. Denn »die deutsche Polizei« ist keine einheitliche Masse und nicht nur eine einzige Behörde. Deutschland hat gleich 19 verschiedene Polizeien. Jedes Bundesland verfügt über seine eigene Landespolizei. Hinzu kommen Bundespolizei, Bundeskriminalamt und die Polizei beim Deutschen Bundestag. Jede dieser Organisationen hat unterschiedliche Aufgaben und Befugnisse, separate gesetzliche Grundlagen ihrer Arbeit und eine eigene Ausbildung.

       Warum Deutschland nicht identisch mit den USA ist und trotzdem ein Problem hat

      Fürsprecher der Polizei betonen in jenen Wochen im Sommer 2020 unentwegt, es gehe an der Realität vorbei, Vorwürfe gegen die Polizei in den USA auf Deutschland zu übertragen. Tatsächlich ist die Situation in vielen Aspekten kaum zu vergleichen. Wer in Deutschland Polizist werden will, muss eine mehrjährige Ausbildung absolvieren. In einigen Bundesländern führt sogar nur noch ein Studium in den Polizeidienst. In den USA dürfen Polizisten im Schnitt bereits nach 19 Wochen bewaffnet und mit hoheitlichen Rechten ausgestattet auf die Straße. Auch greifen deutsche Polizisten nicht annähernd so häufig zur Schusswaffe wie ihre amerikanischen Kollegen. Berichte wie über den Tod des unbewaffneten Amadou Diallo, der in New York bei einer Polizeikontrolle von 41 Kugeln niedergestreckt wurde, gibt es aus Deutschland nicht. Und doch greift es zu kurz, die Diskussion über die Polizei damit für beendet zu erklären, dass Deutschland kein Teil der Vereinigten Staaten ist.

      Es war der Tod von George Floyd in den USA, der das Thema rassistische Polizeigewalt im Sommer 2020 in die deutsche Öffentlichkeit trug, eine Welle von Protesten auslöste und eindrückliche Berichte über rassistische Polizeigewalt nach sich zog. Doch diese Berichte handelten von Situationen in Deutschland. Und es waren deutsche Polizisten, deren rassistische und rechtsextreme Chat-Nachrichten in diesem Jahr dutzendfach bekannt wurden (→ Kapitel 1.2).

      Es war in Deutschland, wo an Polizeicomputern Daten von Personen abgefragt wurden, die kurz darauf rassistische Todesdrohungen erhielten. Und es waren Beamte der deutschen Polizei, die sich mit zigtausend Patronen gestohlener Dienstmunition für einen politischen Umsturz wappneten (→ Kapitel 1.3). Neu ist all dies nicht. Berichte über rassistische Gewaltexzesse und rechtsextreme Vernetzungen von deutschen Polizisten gibt es seit Jahrzehnten (→ Kapitel 1.1).

       Struktureller Rassismus in der deutschen Polizei

      Wie groß das Problem von Rassismus und Rechtsextremismus in der deutschen Polizei ist, bleibt bis heute unklar. Ein Grund dafür besteht darin, dass Sicherheitsbehörden und Politiker Rassismus oft erst dann erkennen wollen, wenn er als manifester Rechtsextremismus daherkommt (→ Kapitel 2.2). Dann also, wenn Polizisten ganz offensichtlich antipluralistische und antidemokratische Einstellungen vertreten. Doch Rassismus geht nicht allein von jenen aus, die sich das Dritte Reich zurückwünschen, ganze Bevölkerungsgruppen auslöschen wollen oder aus Hass gezielt Schwarze Menschen misshandeln. Rassismus beginnt, wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder durch die Zuordnung vermeintlich typischer Merkmale abgewertet und diskriminiert werden. Rassistisches Handeln ist sogar ohne explizit rassistische Haltung möglich – und in der Polizei weit verbreitet. Denn Rassismus wird durch Strukturen polizeilichen Handelns begünstigt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die offiziellen Vorschriften und internen Lagebilder der Institution dafür sorgen, dass Polizisten sich rassistisch verhalten, auch wenn sie keineswegs überzeugte Rassisten sind (→ Kapitel 2.1). Oder wenn Sicherheitsbehörden rassistische Gewalt nicht angemessen verfolgen und stattdessen die Opfer ins Visier nehmen (→ Kapitel 3.3).

      Von Bedeutung für dieses Problem ist auch, dass die deutsche Polizei entgegen regelmäßiger Beteuerungen kein Spiegelbild der Gesellschaft ist (→ Kapitel 3.1), sondern vorwiegend eine bestimmte Klientel anzieht und ausbildet (→ Kapitel 3.2). Hinzu kommen mangelnde interne Kontrollmechanismen, die dafür sorgen, dass sich Rechtsextreme oder Rassisten in den Reihen der Polizei sicher fühlen können (→ Kapitel 4) und fehlende externe Instanzen, die Fehlverhalten von Polizisten aufarbeiten und die ausführende Gewalt adäquat kontrollieren (→ Kapitel 5).

      All diese Aspekte lassen sich nicht allein an den Besonderheiten einzelner Polizeien in Deutschland festmachen – auch wenn einige Landespolizeien im Umgang mit ihren strukturellen Problemen bereits weiter sind als andere. Sofern auf den folgenden Seiten von »der deutschen Polizei« die Rede ist, ist dies als entsprechender Hilfsbegriff zu verstehen.

       Die Grenzen dieses Buchs

      Was dieses Buch nicht leisten kann, ist, Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem und in all seinen Facetten zu erklären. Was Rassismus alles bedeutet und in welchen Erscheinungsformen er noch immer Teil unseres Alltags ist, haben in den letzten Jahren mehrere Autorinnen und Autoren hervorragend ausgeführt. Exemplarisch sei auf die Werke von Tupoka Ogette und Alice Hasters verwiesen, die zudem deutlich machen dass dieses Thema problemlos ganze Bücher füllt.7 Auch kann dieses Buch keine der viel diskutierten und eindringlich geforderten wissenschaftlichen Studien über


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