Auf dem rechten Weg?. Aiko Kempen

Auf dem rechten Weg? - Aiko Kempen


Скачать книгу
vollständig und das Dunkelfeld groß. Und doch sind sie Teil eines Gesamtbilds.

      Dieses Buch soll eine Diskussionsgrundlage liefern. Es ist eine Bestandsaufnahme dessen, was seit Jahren berichtet, viel zu oft ignoriert und immer wieder vergessen wird. Wir müssen über die Polizei reden dürfen. Und wir müssen über die deutsche Polizei reden.

1.

      Scheinhinrichtungen von ausländischen Tatverdächtigen, Polizisten, die festgenommene Afrikaner im Keller ihrer Wache mit Tränengas und Desinfektionsmittel misshandeln, und Beamte, die ihre rechtsextreme Gesinnung im Dienst offen zur Schau stellen. Als Hamburgs Innensenator Werner Hackmann an jenem Montagmorgen um halb acht den Bericht eines seiner Polizisten der Hamburger Wache 11 auf dem Schreibtisch liegen hat, übersteigen die Schilderungen alles, was der oberste Dienstherr der Hamburger Polizei schon immer befürchtet hatte: Polizeibeamte reizten festgenommene Schwarze so lange, bis sie sich wehrten. Dann schlugen die Polizisten auf sie ein. Vorgesetzte seien im Bilde gewesen und trotzdem untätig geblieben. Der eifrigste Schläger sei sogar auf eigenen Wunsch zum Staatsschutz versetzt worden – in die Abteilung Rechtsextremismus. Seine eigenen rechtsextremen Ansichten seien offen erkennbar gewesen.

      Hackmann zieht Konsequenzen. Bei der Polizei habe »das Ausmaß von Übergriffen gegen Ausländer eine Dimension angenommen, die ich nicht für möglich gehalten habe«, stellt der Innensenator fest, als er noch an diesem Montag seinen Rücktritt erklärt. Er wolle damit zugleich ein Zeichen setzen »gegen Korpsgeist und rassistische Übergriffe der Hamburger Polizei«, verkündet er. Ein gesamter Zug der Polizei wird umgehend suspendiert, 27 Beamte werden nach Hause geschickt, bei drei von ihnen stehen Kontakte zu rechtsradikalen Gruppierungen im Raum. Es ist September 1994 – und der Anfang dessen, was als »Hamburger Polizeiskandal« bekannt werden wird. »Prügelszenen, Ausländerhass und rechtsradikales Gedankengut: Die zunehmende Gewaltbereitschaft von Polizisten ängstigt Politiker« schreibt der Spiegel sieben Tage später.8 CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble warnt vor einer »pauschalen Diffamierung« der Polizei;9 Polizeiführer betonen, bei den suspendierten Beamten handele es sich lediglich um einige »schwarze Schafe« in ihren Reihen. Polizeikritiker wie der Berliner Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland sprechen hingegen von »schwarzen Horden«, die in Uniform ihre rassistische Gesinnung ausleben.

       Vertraute Berichte, vertrauter Umgang

      Mehr als ein Vierteljahrhundert alt sind diese Schilderungen und Schlagzeilen. Zugleich scheinen sie beängstigend aktuell und vertraut. Denn die Geschichte der Polizei im wiedervereinigten Deutschland ist auch eine Geschichte rechtsextremer und rassistischer Skandale in den Reihen derer, die den Rechtsstaat schützen sollen. Hamburg, Berlin, Köln, München, Frankfurt: Es gibt kaum eine deutsche Metropole, die nicht ihren eigenen Polizeiskandal zu verzeichnen hat. Und auch abseits der Großstädte gibt es Vorwürfe rassistischer Polizeigewalt, ungeklärte Todesfälle im Polizeigewahrsam und Verbindungen von Polizisten zu rechtsextremen Organisationen. Doch der Blick in die Vergangenheit zeigt nicht nur, dass die Diskussion um Rechtsextreme und Rassisten in der Polizei keineswegs ein neues Phänomen ist. Er zeigt auch vertraute Mechanismen, wie Behörden und Politiker mit dem Problem in den Reihen der Ordnungshüter umgegangen sind – und offenbart damit Parallelen zur Gegenwart.

      Weil sie in der Kantine der Bereitschaftspolizei Rechtsrock abgespielt und »Heil Hitler« gebrüllt haben sollen, werden im Dezember 1993 drei sächsische Polizisten suspendiert. | In seinem Jahresbericht 1994 nennt der Verfassungsschutz Schleswig-Holstein den »Arbeitskreis für deutsche Politik«, der in den zwei Jahren seines Bestehens zu einem »Kristallisationspunkt in der rechtsextremistischen Szene« geworden sei. Kopf der Gruppierung ist ein Oberkommissar und stellvertretender Hundertschaftsführer des Bundesgrenzschutz. | Im November 1994 sucht Hamburgs Innensenator das Gespräch mit Politiklehrern der Polizeischule. Ein interner Aktenvermerk der Innenbehörde dokumentiert das Ergebnis: Bei den jungen Polizeischülern sei »eine Zunahme ausländerfeindlicher Einstellungen« und »latenter Antisemitismus« zu bemerken. Alarmierend sei, dass in der Klasse rechtsradikalen Parolen immer seltener widersprochen werde. | In der Damentoilette der Landespolizeischule Berlin werden im Dezember 1996 Hakenkreuzschmierereien entdeckt. Polizeiliche Ermittlungen werden nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Es habe sich »kein Anzeichen für rechtsradikales Gedankengut ergeben«.

      Als der Hamburger Polizeihauptmeister Uwe Chrobok sich 1994 im Rahmen einer Weiterbildung zum Kriminalbeamten erst seinem Ausbilder anvertraut und sein Bericht über die Zustände in Wache 11 wenig später auf dem Schreibtisch des Innensenators landet, löst er eine Kettenreaktion aus. Sechs Monate nach dem Rücktritt des Innensenators wird gegen insgesamt 85 namentlich bekannte Polizeibeamte ermittelt. Auch auf anderen Hamburger Polizeirevieren sollen vor allem Schwarze von Polizisten schikaniert und gequält worden sein. Die Staatsanwaltschaft wirft den Polizisten Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung und Nötigung vor. Chrobok, der zum Kronzeugen der Ermittlungen wird, sagt mehr als zwanzig Stunden lang aus. Er berichtet von Kollegen, die sich damit brüsteten, mit festgenommenen afrikanischen Dealern zu abgelegenen Orten zu fahren und dort Scheinhinrichtungen zu inszenieren. Ein Dealer habe sich dort nackt ausziehen müssen, dann hätten sie dem Mann eine »Kanone an die Birne gehalten«, zitiert Chrobok seine Kollegen.10 Vor allem im Keller der Wache 11 in der Hamburger Lerchenstraße sei es immer wieder zu Gewalt gegen Schwarze gekommen. In einem von zahlreichen Vorfällen, die Chrobok schildert, seien sechs Schwarze nackt in eine Sammelzelle gesperrt und anschließend misshandelt worden. »Ich sah, wie der Kollege mit einer Tränengasspraydose in die Zelle hineinsprühte, bis die Dose leer war«, erzählt er dem NDR.11 Eine Mitarbeiterin einer anderen Wache berichtet von Polizisten, die Festgenommene verletzten und ihre Taten anschließend vertuschen wollten. »Ich hörte und las in den Berichten, dass die Festgenommenen ständig über die Schwelle zur Wache stolperten«, schildert die Mitarbeiterin.12 Zudem seien zahlreiche Beschwerden gegen die Beamten aus den Unterlagen der Wache entwendet und vernichtet worden. Ein vertrauliches Schreiben aus dem April 1994 dokumentiert, wie der Leiter der Polizeischule Hamburg die Polizeiführung schon Monate vor dem öffentlichen Skandal informierte, dass es sich »offensichtlich nicht um wenige Einzelfälle handelt, sondern um ein scheinbar recht großes problematisches Dunkelfeld«.13 Man habe die Vorwürfe intern selbst klären wollen, heißt es dazu später aus der Führungsetage der Polizei.

      Hochrangige Polizeibeamte treten in diesen Monaten zurück oder werden versetzt. Am 14. Oktober 1994 nimmt der Parlamentarische Untersuchungsausschuss »Hamburger Polizei« seine Arbeit auf, der die Vorwürfe aufarbeiten soll – jedoch nicht ohne Widerstand. Das Hamburger Verwaltungsgericht entscheidet, dass der Senat die Herausgabe von Polizeiakten an den Ausschuss verweigern darf. Gleichzeitig beginnt die juristische Aufarbeitung der bekannt gewordenen Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft leitet auch Ermittlungsverfahren gegen führende Beamte wegen Strafvereitelung im Amt ein, weil sie Meldungen und Gerüchte über Fehlverhalten ignoriert oder prügelnde Kollegen gedeckt haben sollen. Doch juristische Folgen gibt es am Ende für kaum einen Hamburger Polizisten. Nur wenige Beamte werden überhaupt angeklagt. Vor Gericht steht in vielen Fällen die Aussage Chroboks gegen die seiner Kollegen. Jener Hauptkommissar, der Gefangene mit Reizgas malträtiert haben soll, wird mit dem Hinweis auf die angebliche Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen freigesprochen. Auch die Praxis, festgenommene Dealer am Stadtrand auszusetzen, erklären Richter als »Verbringungsgewahrsam« für rechtens.

      Die geringe Zahl der Verurteilungen reiht sich ein in ein Gesamtbild: Insgesamt werden zwischen Januar 1989 und September 1994 in 3324 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Hamburger Polizeibeamte nur rund zwei Dutzend Polizisten verurteilt. Mehr als 95 Prozent der Verfahren werden bereits von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Dabei waren insgesamt 70 Polizisten gleich fünfmal oder noch häufiger Beschuldigte in einem Strafverfahren – ein Polizist allein ganze 16 Mal.14 Hamburgs Polizeidirektor Richard Peters, der ignorierte, dass Whistleblower Uwe Chrobok ihm schon Monate vor dem Skandal über rassistische Gewaltexzesse seiner Kollegen berichtete, wird 1997 schließlich wegen Strafvereitelung im Amt verurteilt. Er muss 1000 DM an den Polizeiverein Hamburg zahlen, in dem er selbst


Скачать книгу