Auf dem rechten Weg?. Aiko Kempen

Auf dem rechten Weg? - Aiko Kempen


Скачать книгу
bei der Polizei alsbald die nächste. Bis zum Jahresende gibt es nahezu gleich lautende Meldungen aus allen Teilen Deutschlands. Es geht um rechtsextreme Chat-Nachrichten, Verbindungen zu organisierten Neonazis und Vorwürfe rassistischer Polizeigewalt.

      Mitte Dezember 2020 laufen allein in Nordrhein-Westfalen mehr als 200 entsprechende Ermittlungsverfahren gegen Polizisten. In einigen Fällen wurden Suspendierungen aufgehoben, weil sich die Vorwürfe nicht bestätigt hatten; in anderen Fällen waren die Taten der Beamten bereits verjährt. Manche Polizisten blieben also unbehelligt, obwohl sie anscheinend genau das getan hatten, was ihnen vorgeworfen wurde. Bei einigen Polizisten kamen durch die Ermittlungen auch neue Vorwürfe hinzu. In weit über tausend Fällen steht der Straftatbestand der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Raum, also Hakenkreuze, SS-Runen oder Hitlergrüße. Hinzu kommen Hunderte Fälle mutmaßlicher Volksverhetzung. Auf beschlagnahmten Computern und Handys finden die Ermittler Rechtsrock von indizierten Bands und mehrfach das verbotene Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne der NSDAP. Bei zwei Beamten sollen allein mehr als 400 strafrelevante Bilder gefunden werden. Ein Polizist ließ sich fotografieren, wie er in Uniform auf zwei Streifenwagen mit dem Hitlergruß posierte; ein anderer legte ein Hakenkreuz aus Dienstmunition. Bei einem Beamten ergab die Auswertung seines Telefons deutliche Hinweise, dass er Mitglied der rechten Hooligangruppe »Alte Garde Essen« ist.

      Als Einzelfälle könne er das nicht mehr bewerten, sagt Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul deutlich. Zugleich verweist er darauf, dass Tausende Polizisten ihren Job gut machen und »eine vernünftige Haltung« haben. Ein strukturelles Problem in der Polizei sehe er daher nicht.

       Chats machen sichtbar, was seit Jahren ignoriert wird

      Ohne Zweifel betreffen die bekannt gewordenen Fälle rechter Polizeichats nur einen Bruchteil der rund 300000 Polizistinnen und Polizisten in Deutschland. Aber wer entscheidet, ab wann aus diesem Bruchteil ein signifikanter Teil wird? Ab wann sind es zu viele Fälle, um darin nicht zumindest ein Muster zu erkennen? Denn die moderne flächendeckende Nutzung von Messengern und Gruppenchats konserviert eine Alltagskommunikation, die vorher im Dunkeln blieb. Und die bekannt gewordenen rassistischen Polizeigruppen dokumentieren etwas, das vor allem People of Color in Deutschland seit Jahren berichten: rassistische Ansichten und rechtsextreme Einstellungen unter Teilen der deutschen Polizei.

      Am 10. November 2020 verurteilt das Amtsgericht Köln einen Polizisten zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten. Er hatte auf Facebook dazu aufgefordert, nordafrikanischen Straftätern in die Geschlechtsteile zu schießen. | An Heiligabend 2018 beleidigt ein Polizeioberkommissar einen Nigerianer im Polizeigewahrsam als »dreckige Negersau« und »Tier«. Er wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Worte seien im Eifer des Gefechts gefallen, »nicht als Ausdruck einer rassistischen Gesinnung«, erklärt der Richter. | Am 23. September 2014 verurteilt das Amtsgericht Berlin-Tiergarten zwei Polizisten zu Geldstrafen. Sie hatten ein Jahr zuvor betrunken und außer Dienst Jagd auf angebliche Dealer gemacht und dabei eine Schwarze Person zusammengeschlagen. | Bei einem Polizeieinsatz in Frankfurt nach einer Fahrscheinkontrolle im Oktober 2012 wird ein Deutsch-Äthiopier so schwer verletzt, dass er drei Tage im Krankenhaus behandelt werden muss. Ein Polizist, der ihn geschlagen und getreten haben soll, wird erst zu einer Geldstrafe verurteilt, dann in zweiter Instanz freigesprochen. Das Opfer habe sich beim Einsteigen in das Polizeiauto selbst verletzt, heißt es schließlich.

      Wie groß der Anteil von Polizisten mit rechtsextremen und rassistischen Einstellungen ist, bleibt unklar. Nicht jeder Polizist schreibt in einer rechten Chatgruppe. Nicht jede rechte Chatgruppe wird öffentlich. Und nicht jeder Polizist, der rechtsextreme oder rassistische Nachrichten verschickt, ist zugleich organisierter Neonazi oder rassistischer Schläger. Dennoch weisen die zahlreichen aufgedeckten Gruppen auf ein bedrohliches Potenzial hin, das in dieser Deutlichkeit nie zuvor dokumentiert war. »Es wäre natürlich naiv zu glauben, dass die jetzt dieses Gedankengut nur in sich tragen und in Chats zum Ausdruck bringen«, kommentiert Sebastian Fiedler, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), die Chat-Protokolle einer Dienstgruppe der Polizei Berlin.22 »Diejenigen, die sich hier auf derart menschenverachtende Weise geäußert haben, müssten ja eine völlig andere Gedankenwelt an den Tag legen, wenn sie jetzt polizeiliche Maßnahmen ergreifen«, sagt Fiedler. Die Gefahr sei groß, dass das unprofessionell, falsch oder rechtsverletzend geschehe.

      Tatsächlich berichten seit Jahrzehnten Menschen bundesweit über diskriminierende Behandlungen bis hin zu rassistischer Gewalt durch einzelne Polizeibeamte. Auch in den Fällen aus Nordrhein-Westfalen, die 2020 Schlagzeilen machen, sollen sich die rassistischen Einstellungen beteiligter Polizisten nicht nur in Chat-Nachrichten niedergeschlagen haben. Einer der führenden Köpfe der »Alphateam«-Chatgruppe in Essen soll mehrmals auf einen albanisch-stämmigen Mann eingeschlagen haben, der gefesselt am Boden lag. Eine Kollegin schilderte den Fall ihrem Vorgesetzten, doch Konsequenzen folgten zunächst nicht. Und schon bevor der Chat-Skandal den bundesweiten Blick auf die Polizei Essen lenkte, waren dort mehrfach Vorwürfe wegen mutmaßlich rassistischer Polizeigewalt und einer Nähe zur rechten Szene aufgeworfen worden. Fotos zeigen einen Essener Polizisten, der in Uniform mit einer rechten Bürgerwehr posiert. Eine libanesischstämmige Familie aus Essen berichtete im April 2020, Polizisten hätten sie bei einem Einsatz wegen Ruhestörung mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Fäusten attackiert und verletzt. Wenige Wochen zuvor soll eine Schwarze Familie auf einer Polizeiwache in Essen rassistisch beleidigt und geschlagen worden sein. »Wenn’s dir nicht passt, dann geh aus unserem Land und sei froh, dass wir nicht in den USA sind, da würde es dir noch schlimmer ergehen«, sollen die Polizisten einem der Verletzten gesagt haben. Die Essener Polizei wies in allen Fällen Rassismusvorwürfe zurück.

      Berichte und Meldungen über deutsche Polizisten, die gegenüber People of Color besonders gewalttätig agieren, sind keineswegs neu. Die »Chronik rassistisch motivierter Polizeivorfälle für Berlin von 2000 bis 2020« der Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt umfasst allein 300 Seiten. Einen bundesweiten Überblick gibt es nicht – erst recht keinen eindeutigen. In den meisten Fällen steht die Aussage der mutmaßlichen Opfer gegen die der Polizisten. Viele Vorfälle werden gar nicht erst angezeigt, in anderen Fällen sehen Gerichte keine eindeutigen Beweise für ein Fehlverhalten der Polizei. Auf dieser Basis konnte über Jahrzehnte hinweg im öffentlichen Diskurs an der These der »Einzelfälle« festgehalten werden. Vor allem weil die Berichte über rassistische Polizeiübergriffe von Menschen kommen, deren Stimme in Deutschland noch immer sehr viel weniger wahrgenommen wird als die der weißen Mehrheitsgesellschaft. Doch wie viele Einzelfälle ergeben eine Struktur?

       Rassistische Polizeigewalt und ungeklärte Todesfälle

      Im Sommer 2020 treibt der brutale Mord an dem Schwarzen US-Amerikaner George Floyd durch einen Polizisten vor laufenden Kameras auch in Deutschland Zehntausende Menschen auf die Straßen. Unter dem Motto »Black Lives Matter« wird erstmals in einer solchen Dimension in Deutschland über rassistische Polizeigewalt diskutiert – und von Betroffenen daran erinnert, dass auch in Deutschland Schwarze Menschen durch die Polizei verletzt werden oder im Polizeigewahrsam ihr Leben lassen.

      Kein anderer Fall steht so sinnbildlich für den Vorwurf, die Polizei weigere sich, rassistische Gewalt in den eigenen Reihen konsequent aufzuarbeiten und werde dabei noch von Justiz und Politik unterstützt, wie der bis heute ungeklärte Tod des Sierra-Leoners Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle.

      Seine Hände und Füße sind an der Betonpritsche unter ihm angekettet, als er verbrennt. Mehrmals an diesem Januarmorgen löst der Feueralarm im Gewahrsamstrakt des Polizeireviers Dessau aus. Ein Polizist stellt ihn ohne weitere Kontrolle ab. Doch davon bekommt der Mann auf der Betonpritsche längst nichts mehr mit. Später findet sich in seiner Lunge kaum Ruß, auch keine Hinweise auf die Ausschüttung von Stresshormonen im Blut. Als die Flammen in der Zelle hochschlagen, muss er bewusstlos sein – oder bereits tot. Gegen 12:10 Uhr am 7. Januar 2005 melden Polizisten der Frühschicht, dass sie den verkohlten Leichnam von Oury Jalloh in Zelle 5 der Polizeiwache Dessau entdeckt haben.

      Noch bevor die Aufarbeitung des Todesfalls beginnt, haben sich die Behörden bereits auf die offizielle Version der Ereignisse festgelegt. »Ich begebe mich jetzt in den Keller, in dem sich ein


Скачать книгу