Auf dem rechten Weg?. Aiko Kempen
diesem Thema seit Jahren fast nur Fälle bekannt, die von den Sicherheitsbehörden selbst öffentlich gemacht oder durch journalistische Recherchen aufgedeckt werden. Manch andere Verstrickung von Polizisten in die rechtsextreme Szene kommt hingegen erst mit jahrelanger Verzögerung ans Licht.
2012 wird beispielsweise im Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erstmals öffentlich bekannt, dass Polizisten aus Baden-Württemberg zehn Jahre zuvor zeitweise Mitglied im deutschen Ableger des Ku-Klux-Klan waren. In ihren Mitgliedsanträgen versicherten die Polizisten etwa, dass sie nicht jüdischer Abstammung seien und weltweit für die »weiße Rasse« eintreten würden. Obwohl ein V-Mann schon früh dafür sorgte, dass die Mitgliedschaft der Polizisten bekannt war, folgten keine Konsequenzen. Das Verfahren gegen einen Beamten wurde wegen Zeitablaufs eingestellt. Er erhielt lediglich eine Rüge. Ein Polizeimeister, der während seiner Klan-Mitgliedschaft noch Beamter auf Probe war, durfte ebenfalls im Dienst bleiben und kam mit einer »Zurechtweisung« davon.
Am 9. Oktober 2020 erscheint ein Kölner Zivilbeamter zur Gedenkveranstaltung des antisemitischen Anschlags auf die Synagoge in Halle in Kleidung der Marke »Thor Steinar«, einem Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene. | In München wird 2019 ein Polizist fotografiert, der ein Verbandsabzeichen der Wehrmacht an seinem Rucksack trägt. | Ein Kriminalkommissar aus Saarbrücken wird im Juni 2016 wegen Volksverhetzung verurteilt. Er hatte auf Facebook öffentlich den Holocaust bezweifelt. | Im Mai 2014 fotografieren Passanten in einem Einsatzfahrzeug der bayerischen Eliteeinheit USK zwei Aufkleber mit den Botschaften »Good Night Left Side« und »Anti-Antifa organisieren – Den Feind erkennen. Den Feind benennen«. Die Motive stammen aus der Neonaziszene.
Bundesweit werden immer wieder Verbindungen einzelner Polizisten in die rechte Szene bekannt. Einige sind Teil der rechten Reichsbürgerszene. Reichsbürger glauben daran, dass das Deutsche Reich weiterhin fortbestehe, und stellen die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland infrage. Das heißt, sie lehnen auch die Gesetze und demokratisch festgeschriebenen Grundwerte ab, die Polizisten durchsetzen sollen. 2019 liefen allein in Bayern 18 entsprechende Disziplinarverfahren gegen Polizisten. Andere pflegen freundschaftliche Verbindungen in die rechtsextreme Hooligan- und Neonazi-Szene: Bei Ermittlungen gegen die rechtsextreme Freie Kameradschaft Dresden (FKD) stießen Ermittler auch auf einen Dresdner Polizisten, der sich mit Beschuldigten in einem Gruppenchat austauschte. Bei einer Gerichtsverhandlung gegen drei Rechtsextreme im Oktober 2020 erklärte der Beamte im Zeugenstand, der Hauptangeklagte sei ein Freund von ihm. Kein Einzelfall in diesem Umfeld: Schon bei den Ermittlungen gegen die rechtsterroristische Gruppe Freital, die teilweise gemeinsam mit der FKD agierte und Sprengstoffanschläge auf Wohnungen von Geflüchteten und Kommunalpolitikern verübte, stand der Verdacht im Raum, dass drei Polizeibeamte mit den Rechtsextremen in Kontakt standen und dienstliche Interna weitergeleitet hatten. Polizisten, die organisierte Rechtsextreme und Neonazis unterstützen oder sich offen als Freunde jener bezeichnen, die den Rechtsstaat ablehnen?
Es ist bei Weitem nicht der einzige Fall, in dem interne Informationen der Polizei bei Neonazis auftauchen. Im Januar 2016 werden interne Dokumente der sächsischen Polizei über eine Kontrolle von Linken nur Stunden später auf Social Media Accounts der NPD verbreitet. 2015 sucht die Polizei Dresden nach einem »Maulwurf«, der interne Informationen an das völkisch-nationalistische Bündnis Pegida weitergegeben hat. Und auch bei den Ermittlungen zum rechtsextrem motivierten Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 stoßen Ermittler auf dem Handy eines Mitangeklagten auf ein internes Polizeidokument. Das Papier war als »Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch« deklariert und behandelte Fahndungsstrategien in Fällen terroristischer Gewaltkriminalität von bundesweiter Bedeutung. Schon als ein Neonazi 2003 beim Landeskriminalamt Sachsen gegen seine Kameraden aussagte, kursierte eine Kopie des Protokolls bereits wenig später in der rechtsextremen Szene. Doch auf welchen Wegen die internen Daten und Dokumente der Polizei bei Menschen landen, die den demokratischen Rechtsstaat ablehnen, ihn meist sogar offen bekämpfen, wurde in keinem dieser Fälle aufgeklärt.
Andernorts nutzen Polizisten ihre dienstlichen Privilegien, um selbst aktiv gegen jene zu werden, die sie als politische Gegner ausmachen. In Berlin speicherte ein Polizeikommissar Fotos und Daten von Linken aus dem internen Polizeisystem und verschickte Drohschreiben an die Ausgespähten. Er arbeitete in der Vergangenheit als verdeckter Ermittler in der linken Szene und später als Auswerter beim Staatsschutz in Berlin. 2018 erhielt der Beamte einen Strafbefehl über 3500 Euro – wegen eines Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz. In Greifswald soll ein Polizist im Februar 2019 die Daten vermeintlicher Linker abgefragt und in rechtsextreme Kreise weitergegeben haben. »Wir haben deine Daten, wir kennen deine Telefonnummer, vielleicht wissen wir auch, wo du wohnst« lautete eine Nachricht, die eine der Betroffenen wenig später erhielt.
Bundesweit liefen 2020 mehr als 400 Verfahren wegen unberechtigter Datenabfragen durch Polizisten. Auch die Daten des Autors wurden 2019 auf einem Polizeicomputer des LKA Sachsen gesucht. Bis die Behörde dies einräumte, brauchte es mehrere Anwaltsschreiben und eine Klageandrohung. Der sächsische Datenschutzbeauftragte schloss in diesem Fall eine unbefugte Recherche nicht aus. Das LKA gab auf Nachfrage an, der Grund für die Suche sei nicht protokolliert, sah jedoch ausdrücklich keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Datenschutz. Einerseits sei also nicht klar, warum ein Polizist nach einem Journalisten sucht, der sich kritisch mit der Polizei auseinandersetzt, andererseits sei klar, dass der Polizist vorschriftsgemäß und berechtigt gehandelt habe.
Wie brisant dieses Thema ist, wurde bereits 2018 deutlich, als die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız ein Fax erhielt, das mit NSU 2.0 unterzeichnet war. »Miese Türkensau!« und »Wir schlachten deine Tochter« hieß es in dem Drohschreiben, das auch die gesperrte Adresse der Familie enthielt. Die Spur der Todesdrohungen führte in die hessische Polizei. Seitdem steht die Frage im Raum, ob es ein rechtsextremes Netzwerk in der deutschen Polizei gibt. Und es zeigt sich zugleich ein Muster. Bei den Ermittlungen zu den rechten Todesdrohungen stoßen die Behörden immer wieder auf: rechtsextreme und rassistische Polizeichats. Chats, die dokumentieren, wie verbreitet und normal rassistische und rechtsextreme Aussagen unter Teilen der deutschen Polizei sind – anscheinend bereits seit Jahren.
August 2018: Im bayerischen Rosenheim rufen zwei Männer auf der Terrasse eines Lokals rassistische Parolen und zeigen den Hitlergruß. Es handelt sich um Beamte der Bundespolizei. | Im August 2013 zeigt ein Polizist bei einem Laternenfest in Halle/ Saale mehrmals den Hitlergruß. | Wegen des Verdachts der rechtsextremistischen Betätigung werden im Mai 2003 zwei Beamte des Landeskriminalamts Brandenburg vom Dienst suspendiert. Neben anderem belastenden Material waren bei einer Hausdurchsuchung Fotos gefunden worden, auf denen die Männer den Hitlergruß zeigen. | In den Diensträumen eines Münchener Polizeiausbilders werden am 20. April 2001 mehrere Kassetten mit strafrechtlich relevanter »Skinhead-Musik« sichergestellt. | Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder teilt im Oktober 1999 mit, dass vier Polizeikommissare wegen rechtsextremistischer Umtriebe vom Dienst suspendiert wurden. Sie sollen mehrfach rechte Parolen von sich gegeben und bei einer privaten Feier lautstark rechtsextremistische Musik abgespielt haben. | Im August 1997 werden sieben bayerische Polizisten suspendiert, weil sie auf einer Feier Nazi-Lieder gesungen und den Hitlergruß gezeigt haben sollen. Drei Monate später wird die Suspendierung aufgehoben, ein eindeutiger Nachweis der Taten habe gefehlt.
Es scheint nahezu unmöglich, bei all diesen Vorwürfen und Vorfällen den Überblick zu bewahren. Zu viele sind es, zu vielfältig sind die Verfehlungen von rechtsextremen und rassistischen Polizisten. Auch offizielle Zahlen helfen hier nicht. Zu groß ist das Dunkelfeld, zu ungenügend sind die Lagebilder (siehe Seite 166). Fest steht jedoch zweifellos – und das soll hier noch einmal klar betont werden: Es gibt sie. Rassisten in Uniform. Rechtsextreme in Uniform. Und Neonazis in Uniform.
»Sie haben recht, es sind keine Einzelfälle«, erklärt der CDU-Abgeordnete und Polizist Bodo Löttgen am 7. Oktober 2020 im nordrhein-westfälischen Landtag mit Blick auf die zahlreichen aufgedeckten rechten Chat-Inhalte.29 Trotzdem weigere er sich zu sagen, es sei ein strukturelles Problem der Polizei. »Wir müssen endlich eine Sprachregelung finden, die uns ermöglicht, zwischen Einzelfällen und strukturellem Defizit eine vernünftige Beschreibung der Situation zu finden. Das wird unsere Aufgabe sein«, führt er aus. Als sei es vor allem eine Frage der richtigen Worte, wie mit