Die tödlichen Gedanken. Stefan Bouxsein

Die tödlichen Gedanken - Stefan Bouxsein


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Sessel hin und her, nahm das Foto zögerlich vom Tisch und betrachtete es noch mal. »Soll das die Jürgens sein? Ist sie tot?«

      »Zweimal richtig«, bestätigte Till.

      »Kann man nicht gut erkennen mit dem Klebeband über dem Mund«, verteidigte Gärtner seine vorherige Aussage.

      »Wir glauben, dass es ein Schüler oder ein ehemaliger Schüler war«, erläuterte Siebels. »Einer, der die Versetzung nicht geschafft hat, weil die Deutschnote zu schlecht war.«

      »Bei mir waren alle Noten schlecht.«

      »Woran hat es gelegen?«

      »Interessiert doch jetzt nicht mehr. Ich habe die Bude hier vom Sozialamt und bin von zuhause raus. Mein Alter war böse drauf. Da hatte ich ganz andere Probleme als irgendwelche Noten in Deutsch oder was auch immer.«

      »Und wie stellen Sie sich jetzt Ihre Zukunft vor?«, fragte Siebels behutsam.

      Gärtner zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Muss mir halt mal einen Job suchen.«

      »Was haben Sie denn in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gemacht?«

      »Was man nachts halt so macht. Da habe ich geschlafen.«

      »Alleine?«

      »Mutterseelenallein. Umgebracht habe ich niemanden, schon gar nicht meine alte Deutschlehrerin. Warum sollte ich das denn tun?«

      »Weil Sie wegen ihr kein Abi machen konnten und jetzt anstatt Student ein Hartz IV-Empfänger sind und kein Bein auf den Boden kriegen. Da kriegt man schon mal einen Hass auf die Lehrerin, die einem die Zukunft verbaut hat.« Till redete aggressiv auf Gärtner ein.

      »Sie wollen mir was anhängen, war mir doch gleich klar«, schrie Gärtner zornig.

      Siebels beruhigte ihn. »Ihre Fingerabdrücke und DNS haben wir ja schon vorliegen. Die Spurenauswertung vom Tatort ist noch nicht abgeschlossen. Sie haben keine Familie und keinen Job, ein Motiv und kein Alibi. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Bis auf Weiteres melden Sie sich täglich bis mittags um 13.00 Uhr auf dem Präsidium. Dann wissen wir, dass Sie noch in der Stadt sind und Sie bleiben vorerst auf freiem Fuß. Wenn Sie sich nicht melden, schreibe ich Sie zur Fahndung aus. Einverstanden?«

      »Das ist doch Scheiße. Ich habe was Besseres zu tun, als jeden Tag bei euch anzutanzen.«

      »Dann dürfen Sie uns jetzt begleiten. In die Untersuchungshaft.«

      Gärtner hob abwehrend die Hände. »Okay, ich melde mich brav jeden Tag. Wohin sollte ich auch schon abhauen?«

      »Ja, wohin wollten Sie denn vorhin abhauen?«, fragte Till neugierig nach.

      »Keine Ahnung. Nur aus dem Haus raus.«

      »Und nun?«, fragte Till, nachdem sie die Wohnung von Jens Gärtner verlassen hatten.

      Siebels schaute auf die Uhr. Halb fünf war es schon wieder. »Jetzt schauen wir noch mal bei Lukas vorbei und hören uns an, was er zu den Fotos zu sagen hat. Norbert Stoll und Jens Gärtner sind meiner Meinung nach keine Kandidaten für den Mord. Wir behalten sie aber im Auge. Die Konstellation zwischen Lukas und den beiden Lehrerinnen Verena Jürgens und Dagmar Kremer finde ich dagegen sehr interessant. Und der Englischlehrer, Hans-Joachim Gerster, hängt da auch mit drin in dem Geflecht. Wie siehst du die Sache?«

      »Im Prinzip bin ich deiner Meinung. Mich stört aber der Zettel auf dem Schoß der Toten. Sitzen geblieben. Wenn der Mörder damit sein Motiv klarstellen will, passt es nicht auf Lukas und schon gar nicht auf Dagmar Kremer. Von Stoll oder Gärtner als Täter bin ich allerdings auch nicht überzeugt. Ich würde mir auf jeden Fall noch gerne die weiblichen Sitzenbleiber auf unserer Liste näher betrachten.«

      »Tu das. Dann ist dein Wochenende ja gerettet.«

      Siebels entriegelte den Wagen und setzte sich hinters Steuer. Till öffnete die Beifahrertür und schaute in gebückter Haltung von draußen ins Wageninnere. »Ich dachte eher an Montag.«

      »Seitdem du mit Anna zusammen bist, bist du ziemlich unflexibel. Du wirst alt, träge und spießbürgerlich, mein Freund.«

      Till ließ sich in den Beifahrersitz fallen. »Du kannst mich nicht provozieren, mein Freund. Aber gut, ich erledige das morgen Vormittag. Gut möglich, dass der Fall dann morgen Nachmittag schon gelöst ist. Mord mit Klebstoff, so was machen doch nur Weiber.«

      Siebels nahm den Weg über die Emser Brücke, um vom Gallusviertel ins Westend zu kommen. Auf halber Strecke verließ er die Brücke, unter der sich das Messegelände erstreckte, an der Abfahrt zur Theodor-Heuss-Allee, wo hinter spiegelnden Glasfassaden die europäische Hauptzentrale des koreanischen Autobauers KIA angesiedelt war. Siebels fädelte sich im zähfließenden Berufsverkehr ein, der hier zu Messezeiten meist völlig zum Stillstand kam. Wenigstens konnte man beim innerstädtischen Stop-and-go-Verkehr von hier aus den Blick auf die Frankfurter Skyline genießen. Erhaben erhoben sich am Horizont die gläsernen Bankentürme, als hätte es nie eine Bankenkrise gegeben. Rechter Hand lag an der nächsten roten Ampel das Maritim-Hotel, das seine über 550 luxuriösen Zimmer und Suiten ebenfalls hinter spiegelnden Glasfassaden verbarg. Als die Ampel wieder auf Grün schaltete, nahm Siebels den Weg über die Senckenberganlage. Vor dem Eingang zum großen deutschen Naturkundemuseum standen Nachbildungen von Dinosauriern auf dem Grünstreifen herum und zeugten von einer prä-spiegelglänzenden-Glasfassadenzeit. Eine Kreuzung weiter bog Siebels rechts in die Bockenheimer Landstraße ab. Links davon erstreckte sich der Palmengarten, der mit einer Fläche von 22 Hektar zu den größten botanischen Gärten Deutschlands zählt. Siebels ließ ihn aber links liegen, fuhr noch ein paar Meter geradeaus in Richtung Alter Oper, bevor er nach rechts in die Feuerbachstraße abbog, wo ein junger Mann zuhause war, der in einen Mordfall verwickelt war, weil er unsittlichen Umgang mit seiner mit Klebstoff dahingerafften Deutschlehrerin gepflegt hatte.

      Lukas öffnete die Wohnungstür und verdrehte die Augen, als er seine Besucher vor der Tür erkannte. »Was wollen Sie denn schon wieder?«, fragte er genervt.

      »Gucken, ob du auch brav zuhause bist und dich nicht wieder bei einer Lehrerin verkrochen hast«, sagte Till augenzwinkernd und bekam umgehend den Ellbogen von Siebels in die Seite gerammt.

      »Ihr seid doch nur neidisch. Habt wohl keinen Zug bei Frauen, was?«

      »Sind deine Eltern da?«, wollte Siebels wissen.

      »Unten in der Praxis. Wenn Sie Zahnschmerzen haben, schiebt Sie mein Vater bestimmt noch dazwischen.«

      »Wir haben was gefunden, das bereitet uns eher Kopfschmerzen«, konterte Siebels. »Lässt du uns rein?«

      »Wenn es sein muss.« Lukas trug Boxershorts und ein T-Shirt und lotste seine Besucher ins Wohnzimmer, wo er anscheinend gerade mit der Playstation zugange gewesen war.

      Siebels fackelte nicht lange, zauberte die neuen Fotos aus seiner Jackentasche hervor und hielt sie Lukas wortlos hin. Lukas verzog die Mundwinkel, nahm die Bilder entgegen und warf einen kurzen Blick darauf. »Und? Haben Sie ein Problem damit?«, fragte er trotzig.

      »Wir nicht. Aber vielleicht du?« Siebels streckte die Hand aus und forderte die Fotos wieder zurück.

      Lukas zögerte. »Wollen Sie die jetzt etwa rumzeigen? Bei Schülern und Lehrern?«

      »Hast du ein Problem damit?« Siebels genoss es ein wenig, den forschen jungen Mann in die Ecke zu treiben.

      »Mann, das ist privat. Das geht niemanden was an, klar!«

      Till stand mit verschränkten Armen neben Lukas und erhöhte den Druck auf ihn. »Erst fotografiert sie dich in so einer intimen Situation und dann sorgt sie eiskalt dafür, dass du die Versetzung nicht schaffst. Das hat dir doch gewaltig gestunken. Du wolltest es ihr heimzahlen. Deswegen bist du auch zu Frau Kremer umgezogen. Nicht aus Rücksicht vor Verena Jürgens, sondern um sie büßen zu lassen.«

      »Blödsinn«, murmelte Lukas vor sich hin.

      Siebels wedelte mit den Fotos vor Lukas‹ Augen herum. »Kennt Dagmar Kremer diese Bilder?«

      Lukas


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