Stone Butch Blues. Leslie Feinberg

Stone Butch Blues - Leslie Feinberg


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sie. „Sei vorsichtig, Schätzchen.“ Ich nickte. Meine Handgelenke waren so stramm gefesselt, daß sie weh taten. Ich hatte Angst. Ich hoffte, Al und ich würden aufeinander aufpassen.

      Als sie mich erwischten, war der Transporter mit den Butches schon voll. Ich fuhr in einem Wagen mit Mona und den anderen Drag Queens. Ich war froh darüber. Mona küßte mich auf die Wange und sagte: „Hab keine Angst! Es wird schon nicht so schlimm werden.“ Wenn das stimmte, fragte ich mich allerdings, warum die Drag Queens so verängstigt aussahen, wie ich mich fühlte.

      Im Hof des Polizeireviers sah ich Yvette und Monique, die schon bei einer Straßenrazzia gefaßt worden waren. Yvette lächelte mir ermutigend zu, ich zwinkerte zurück. Ein Bulle stieß mich vorwärts. Ich kam in den Knast. Sie holten Al gerade aus der Zelle, als sie mich hineinbrachten. Ich rief ihren Namen. Sie schien mich nicht zu hören.

      Die Bullen schlossen mich ein. Wenigstens hatten sie mir die Handschellen abgenommen. Ich rauchte eine Zigarette. Was würde passieren? Durch ein vergittertes Fenster sah ich, wie ein paar Samstagabend-Butches eingebuchtet wurden. Sie hatten Butch Al in die entgegengesetzte Richtung gebracht.

      Die Tunten waren in der großen Zelle nebenan. Mona und ich lächelten einander zu. Dann kamen drei Bullen, um sie zu holen. Sie wich zurück. Sie hatte Tränen in den Augen. Doch dann ging sie lieber freiwillig mit, als sich hinausschleifen zu lassen.

      Ich wartete. Was passierte mit ihr?

      Etwa eine Stunde später brachten die Bullen Mona zurück. Es brach mir das Herz, als ich sie sah. Zwei Bullen schleiften sie herbei. Ihr Haar war naß und klebte ihr im Gesicht. Ihr Make-up war verschmiert. Blut lief ihr hinten an den Strümpfen herunter. Sie warfen sie in die Nachbarzelle. Sie blieb liegen, wo sie hingefallen war. Ich konnte kaum atmen. Ich flüsterte ihr zu: „Schätzchen, willst du ’ne Zigarette? Willst du eine rauchen? Komm … komm rüber zu mir.“

      Sie wirkte benommen, mochte sich nicht bewegen. Schließlich kroch sie zu mir ans Gitter. Ich zündete eine Zigarette an und gab sie ihr. Während sie rauchte, schob ich einen Arm durch die Gitterstäbe und berührte sanft ihr Haar; dann ließ ich meine Hand auf ihrer Schulter liegen. Ich sprach leise mit ihr. Lange Zeit schien sie mich nicht zu hören. Endlich lehnte sie ihre Stirn gegen die Gitterstäbe, und ich legte beide Arme um sie.

      „Es verändert dich“, sagte sie. „Was sie dir hier drin antun, die Scheiße, die du dir jeden Tag auf der Straße gefallen lassen mußt – das verändert dich, weißt du?“ Ich sah sie nur an. Sie lächelte. „Ich weiß nicht mehr, ob ich so süß war wie du, als ich in deinem Alter war.“ Ihr Lächeln erlosch. „Ich will nicht sehen, wie du dich veränderst. Ich will dich nicht sehen, wenn du erst hart geworden bist.“

      Irgendwie verstand ich das. Doch ich machte mir ernsthafte Sorgen um Al, und ich wußte auch nicht, was mit mir passieren würde. Das hier klang wie eine philosophische Diskussion. Ich wußte ja nicht mal, ob ich das Alter, in dem mich die Erfahrung verändern würde, überhaupt erreichte. Ich wollte nur diese Nacht überleben. Ich wollte wissen, wo Al war.

      Die Bullen kamen und sagten zu Mona, sie wäre auf Kaution raus. „Ich sehe bestimmt schrecklich aus“, sagte sie.

      „Du siehst schön aus“, sagte ich zu ihr, und ich meinte es auch. Ich sah ihr ein letztes Mal ins Gesicht und fragte mich, ob die Männer, denen sie sich hingab, sie so liebten wie ich.

      „Du bist wirklich eine süße Butch“, sagte Mona, bevor sie ging. Das tat gut.

      Unmittelbar darauf schleiften die Bullen Al herein. Sie hatten sie übel zugerichtet. Ihr Hemd war halb offen, ihr Brustbinder war weg, ihre großen Brüste waren entblößt. Ihr Reißverschluß war heruntergezogen. Ihr Haar war naß. Blut lief ihr aus Mund und Nase. Sie sah benommen aus.

      Die Bullen stießen sie in die Zelle. Dann kamen sie auf mich zu. Ich wich zurück, bis ich gegen die Gitterstäbe stieß. Sie blieben stehen und grinsten. Ein Bulle griff sich an die Hose. Der andere trat auf mich zu, schob die Hände unter meine Achseln, hob mich ein paar Zentimeter hoch und knallte mich gegen das Gitter. Er drückte seine Daumen tief in meine Brüste und rammte mir sein Knie zwischen die Beine.

      „Bald wirst du so groß sein – so groß, daß deine Füße bis zum Boden reichen. Dann werden wir uns um dich kümmern wie um deine Busenfreundin Allison“, drohte er mir. Dann gingen sie.

      Allison.

      Ich griff nach meinen Zigaretten und dem Zippo-Feuerzeug. Dann schlüpfte ich zu Al hinüber, die reglos dalag. Ich zitterte. „Al“, sagte ich und streckte ihr die Packung hin. Sie sah nicht auf. Ich legte ihr die Hand auf den Arm. Sie wehrte sie ab. Sie ließ den Kopf hängen. Ich sah auf ihren breiten Rücken, ihre gebeugten Schultern. Ich berührte sie, ohne darüber nachzudenken. Sie ließ es zu. Ich strich ihr über den Rücken. Sie fing an zu zittern. Ich legte die Arme um sie. Ihr Körper gab nach. Sie war verletzt. In diesem Moment hatten wir unsere Rollen getauscht. Ich fühlte mich stark. Meine Arme boten Trost.

      „Hey, seht euch das mal an!“ brüllte ein Bulle den anderen zu. „Allison hat sich ’ne Baby Butch angelacht. Sie sehen aus wie zwei Schwuchteln.“ Die Bullen lachten.

      Meine Arme umfaßten Al enger, als könnte ich damit die höhnischen Reden der Bullen abwehren und Al behüten. Ich hatte ihre Stärke immer bewundert. Jetzt spürte ich die Muskeln ihres Rückens, ihrer Schultern und Arme. Ich erlebte die Stärke dieser Stone Butch, selbst jetzt, als sie erschöpft in meinen Armen lag.

      Die Bullen verkündeten, daß Jacqueline die Kaution für uns hinterlegt hätte und wir gehen könnten. Die letzten Worte, die ich von ihnen hörte, waren: „Du kommst wieder. Denk dran, was wir mit deiner Freundin gemacht haben.“

      Was hatten sie mit ihr gemacht? Jacqueline blickte von Al zu mir und fragte dasselbe. Ich hatte keine Antwort. Al gab keine. Im Auto hielt Jacqueline Al so in den Armen, daß es auf den ersten Blick aussah, als würde Al sie trösten. Ich saß still auf dem Vordersitz und hätte auch Trost gebrauchen können. Den Schwulen, der uns fuhr, kannte ich nicht. „Mit dir alles okay?“ fragte er mich.

      „Klar“, antwortete ich, ohne nachzudenken.

      Er setzte uns bei Al und Jacqueline daheim ab. Al aß die Eier, als würde sie sie gar nicht schmecken. Sie sagte kein Wort. Jacqueline sah nervös von Al zu mir und wieder zu Al. Ich aß und machte mich dann an den Abwasch. Al ging ins Bad.

      „Da wird sie jetzt erst mal bleiben“, sagte Jacqueline.

      Woher wußte sie das? War das schon häufiger vorgekommen? Ich trocknete das Geschirr ab. Jacqueline wandte sich mir zu. „Ist mir dir alles okay?“ fragte sie.

      „Jaja“, log ich.

      Sie kam näher. „Haben sie dir weh getan, Baby?“

      „Nein“, log ich. Ich errichtete eine Mauer in mir. Sie schützte mich nicht, und doch sah ich mir dabei zu, als wären es nicht meine eigenen Hände, die Stein auf Stein schichteten. Ich wandte mich von Jacqueline ab, um zu signalisieren, daß ich sie etwas Wichtiges fragen mußte. „Jacqueline, bin ich stark genug?“

      Sie trat von hinten auf mich zu, faßte mich bei den Schultern und drehte mich zu sich um. Sie zog mein Gesicht an ihre Wange. „Wer ist das schon, Schätzchen?“ flüsterte sie. „Niemand ist stark genug. Du versuchst eben, so gut wie möglich durchzukommen. Butches wie Al und du haben keine Wahl. Es wird euch immer wieder passieren. Ihr müßt nur versuchen, es zu überleben.“

      Eine weitere Frage brannte mir schon auf den Lippen. „Al will, daß ich stark und hart bin. Doch du und Mona und die anderen Femmes, ihr ermahnt mich ständig, ich soll sanft und zärtlich bleiben. Wie kann ich denn beides sein?“

      Jacqueline berührte meine Wange. „Al hat eigentlich recht. Es ist wohl ziemlich egoistisch von uns Mädchen. Wir wollen, daß ihr stark seid, damit ihr die ganze Scheiße überlebt, der ihr ausgesetzt seid. Wir lieben eure Stärke. Aber die Herzen der Butches werden mit zertreten. Und ich glaube, wir wünschen uns einfach manchmal, es gäbe einen Weg, eure Herzen zu schützen und dennoch für uns ganz sanft zu bleiben, verstehst du?“

      Ich


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