Stone Butch Blues. Leslie Feinberg

Stone Butch Blues - Leslie Feinberg


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auf den Knöchel. Ich kämpfte und verfluchte sie allesamt. Sie lachten, als wäre das alles ein Spiel.

      Bobby schnürte sich die Trikothose auf und rammte mir seinen Schwanz in die Scheide. Der Schmerz kroch in meinem Bauch hoch und versetzte mich in Todesangst. Es fühlte sich an, als sei tief in mir etwas zerrissen. Ich zählte die Angreifer. Es waren sechs.

      Am wütendsten war ich auf Bill Turley. Alle wußten, daß er sich für die Mannschaft beworben hatte, weil die anderen ihn Schwuli nannten. Er wühlte mit seinen Stollen im Gras und wartete darauf, daß er drankam.

      Ein Teil des Alptraums war die Unabänderlichkeit des Ganzen. Ich konnte nichts dagegen tun; ich konnte nicht entkommen, also tat ich so, als geschähe es gar nicht. Ich betrachtete den Himmel. Wie blaß und friedlich er aussah. Ich stellte mir vor, er wäre das Meer und die Wolken wären Wellen mit weißen Schaumkronen.

      Ein anderer ächzte und stöhnte jetzt auf mir herum. Ich erkannte ihn – Jeffrey Darling, ein arroganter Schlägertyp. Jeffrey packte mich am Haar und riß mir so heftig den Kopf zurück, daß ich nach Luft schnappte. Er wollte nicht zulassen, daß ich mich ausklinkte. Er fickte mich heftiger. „Du dreckige jüdische Schlampe, du verfluchter Bulldagger.“ Eine Liste aller meiner Verbrechen. Ich war schuldig im Sinne der Anklage.

      Sieht so der Sex zwischen Männern und Frauen aus? Ich wußte, das hatte mit Liebe machen nichts zu tun – eher mit Haß. Aber war diese mechanische Bewegung etwa der Gegenstand all der dreckigen Witze und schmutzigen Zeitschriften und geheimnisvollen Tuscheleien? Das sollte alles sein?

      Ich kicherte, nicht weil es lustig war, was da vor sich ging, sondern weil mir das ganze Getue um Sex plötzlich so lächerlich vorkam. Jeffrey zog seinen Schwanz aus mir raus und ohrfeigte mich, wieder und wieder. „Das ist nicht lustig!“ schrie er. „Das ist nicht lustig, du verrücktes Miststück!“

      Ich hörte eine Pfeife. „Scheiße, der Trainer!“ rief Frank Humphrey warnend. Jeffrey stemmte sich hoch und machte hastig seine Hose zu. Die Jungs schlenderten in Richtung Sporthalle davon.

      Ich war allein auf dem Platz. Der Trainer stand ein Stück von mir entfernt und starrte zu mir herüber. Ich schwankte, als ich versuchte, aufzustehen. Mein Rock hatte Grasflecken, und Blut und schleimiges Zeug liefen mir die Beine runter.

      „Mach, daß du hier wegkommst, du kleine Hure!“ befahl Trainer Moriarty.

      Ich mußte den langen Weg nach Hause zu Fuß gehen, weil meine Buskarte so spät nicht mehr gültig war. Ich hatte nicht das Gefühl, daß das noch mein eigenes Leben war. Ich kam mir vor wie in einem Film. Ein 57er Chevy voller Jungs bremste neben mir. „Bis morgen, Lesbe“, hörte ich Bobby brüllen, als sie vorbeifuhren. War ich jetzt ihr Eigentum? Wenn ich diesmal nicht stark genug gewesen war, sie aufzuhalten, konnte ich dann überhaupt darauf hoffen, mich je verteidigen zu können?

      Kaum war ich zu Hause, rannte ich ins Bad und kotzte in die Kloschüssel. Zwischen den Beinen fühlte ich mich wie Hackfleisch, und der stechende Schmerz machte mir angst. Ich ließ mir ein Schaumbad ein und blieb lange, lange darin liegen. Ich bat meine Schwester, unseren Eltern zu sagen, daß ich krank sei, und ging ins Bett. Als ich aufwachte, war es Zeit für die Schule. Aber ich konnte nicht.

      „Los!“ Meine Mutter warf mich aus dem Bett. Mein ganzer Körper tat mir weh. Ich versuchte, nicht an die Schmerzen zwischen meinen Beinen zu denken. Meine Eltern schienen meine aufgeplatzte Lippe und mein Humpeln nicht zu bemerken. Ich bewegte mich wie durch Sirup. Ich konnte nicht klar denken. „Beeil dich!“ schimpfte meine Mutter. „Du kommst zu spät zur Schule.“

      Ich verpaßte absichtlich den Bus, damit ich zur Schule laufen konnte. Wenn ich zu spät kam, mußte ich den anderen zumindest nicht vor dem Klingeln gegenübertreten. Auf dem Weg vergaß ich alles. Der Wind flüsterte in den Bäumen. Hunde bellten, Vögel zwitscherten. Ich ging langsam, als hätte ich kein bestimmtes Ziel.

      Dann erhob sich das Schulgebäude drohend wie ein mittelalterliches Schloß vor mir, und die Erinnerungen kamen in einer widerwärtigen Welle zurückgeflutet. Ob die anderen wohl schon Bescheid wußten? Als ich nach der ersten Stunde durch den Gang ging, schloß ich aus ihrem Tuscheln hinter vorgehaltener Hand, daß sie es wußten. Ich dachte, vielleicht bilde ich es mir ein, bis eines der Mädchen rief: „He, Jess, Bobby und Jeffrey suchen dich!“ Alle lachten. Ich hatte das Gefühl, es wäre alles meine Schuld.

      Mit dem Klingeln schlich ich mich in die Geschichtsstunde. Mrs. Duncan sprach die gefürchteten Sätze: „Also, Kinder, nehmt euch ein Blatt Papier und numeriert von eins bis zehn. Dies ist ein Test. Frage Nummer eins: In welchem Jahr wurde die Magna Charta unterschrieben?“

      Ich versuchte, mich zu erinnern, ob sie uns jemals beigebracht hatte, was die Magna Charta überhaupt war. Zehn Fragen schwebten in einem Vakuum. Ich kaute auf meinem Bleistift herum und starrte das leere Blatt Papier vor mir an. Ich hob die Hand und bat darum, auf die Toilette gehen zu dürfen. „Du kannst gehen, wenn du mit dem Test fertig bist.“

      „Ähm, bitte, Mrs. Duncan. Es ist ein Notfall.“

      „Ja“, sagte Kevin Manley. „Sie muß Bobby suchen gehen.“

      Als ich in heller Panik aus dem Klassenzimmer stürzte, hörte ich das Gelächter hinter mir. Ich rannte durch die Gänge und suchte jemanden, der mir helfen konnte. Ich mußte mit jemandem reden. Ich rannte zur Cafeteria hoch und wartete auf meine Freundin Karla aus dem Sportkurs. Als es klingelte, entdeckte ich Karla in der Menge, die durch die Doppeltüren strömte.

      „Karla!“ schrie ich. „Ich muß mit dir reden.“

      „Was ist los?“

      „Ich muß mit dir reden.“ Wir kämpften uns zur Schlange an der Essensausgabe durch.

      „Was gibt’s denn heute?“ fragte Karla. „Kannst du was sehen?“

      „Scheiße mit Reiße.“

      „Lecker! Genau wie gestern.“

      „Und vorgestern.“ Es war so erlösend, zusammen zu lachen.

      Wir nahmen uns Tabletts und zuckten zusammen, als die Schulköchin uns eine Portion von etwas Undefinierbarem auf die Teller klatschte. Wir nahmen uns Milch und bezahlten unser Essen.

      „Können wir reden?“ fragte ich sie.

      „Klar“, sagte sie. „Gleich nach dem Essen?“

      „Warum nicht sofort?“

      Karla sah mich verblüfft an.

      „Kann ich neben dir sitzen?“ drängte ich.

      Sie starrte mich nur weiter an. „Mädchen, bist du von allen baumwollpflückenden Geistern verlassen? Hier gibt’s eine Sitzordnung. Ist dir das etwa noch nicht aufgefallen?“

      Als sie es sagte, wurde mir plötzlich klar, daß sie recht hatte. Ich sah mich im Eßsaal um, als hätte ich ihn noch nie wirklich wahrgenommen. Die Rassentrennung verlief genau in der Mitte der Cafeteria.

      „Na, kapiert, Schätzchen? Wo hattest du eigentlich deine Augen?“

      „Kann ich trotzdem neben dir sitzen?“

      Karla warf den Kopf zurück und sah mich scharf an. „Dies ist ein freies Land“, sagte sie, drehte sich auf dem Absatz um und ging.

      „Hey, weißes Mädchen! Bist du neu in der Stadt?“ neckte mich Darnell, als er zur Seite rückte, damit ich mich neben Karla setzen konnte.

      Ich lachte. Stille verbreitete sich im Saal. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Mein Magen zog sich zusammen, und das Essen auf meinem Teller sah noch ekelhafter aus als sonst.

      „Karla …“ Ich setzte mich neben sie. „Ich muß wirklich ganz dringend mit dir reden.“

      „O-oh“, flüsterte jemand an unserem Tisch.

      Mrs. Benson schoß auf mich zu. „Junges Fräulein, was machst du da?“

      Ich holte tief Luft. „Ich esse mein Mittagessen, Mrs. Benson.“


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