Stone Butch Blues. Leslie Feinberg

Stone Butch Blues - Leslie Feinberg


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unserem Terrain … „Tanzt du mit mir?“

      Du hast nicht ja oder nein gesagt, hast mich nur mit den Augen provoziert, meine Krawatte gerichtet, mir den Kragen glattgestrichen und mich an der Hand genommen. Schon bevor Du Dich an mich gepreßt hast, hattest Du mein Herz erobert. Tammy sang gerade „Stand by your man“, und wir änderten im Geiste jedes „he“ in ein „she“, damit es paßte. Nachdem Du Dich so an mich gepreßt hattest, war Dir mehr als nur mein Herz gewiß. Ich verzehrte mich nach Dir, und das gefiel Dir. Mir auch.

      Die älteren Butches warnten mich: Wenn Du Deine Ehe nicht aufs Spiel setzen willst, geh nicht in die Bars. Aber ich war immer monogam gewesen. Außerdem war es unsere Gemeinschaft, die einzige, die wir hatten, also gingen wir jedes Wochenende hin.

      In den Bars gab es zwei Arten von Prügeleien. An den meisten Wochenenden brach mindestens eine von ihnen aus, an manchen beide. Es gab die Prügeleien der Butches – geprägt von Suff, Scham und eifersüchtiger Unsicherheit. Manchmal waren die Kämpfe furchtbar und breiteten sich aus wie ein Netz, in dem sich jede in der Bar verfing – wie in der Nacht, in der Heddy ihr Auge verlor, als sie von einem Barhocker getroffen wurde.

      Ich war richtig stolz, daß ich in all den Jahren nie eine Butch geschlagen habe. Weißt Du, ich habe sie eben auch geliebt, und ich verstand ihren Schmerz und ihre Scham, weil ich ihnen so ähnlich war. Ich liebte die tiefen Linien, die sich in ihre Gesichter eingegraben hatten, und ihre gebeugten, arbeitsmüden Schultern. Manchmal schaute ich in den Spiegel und fragte mich, wie ich in ihrem Alter wohl aussehen würde. Heute weiß ich es.

      Sie haben mich auch geliebt, auf ihre Art. Sie haben mich beschützt, weil sie wußten, daß ich keine „Samstagabend-Butch“ war. Die Wochenend-Butches hatten Angst vor mir, weil ich eine Stone Butch war. Hätten sie bloß gewußt, wie machtlos ich mich in Wirklichkeit fühlte! Aber die älteren Butches kannten den langen Weg, der vor mir lag, und es wäre ihnen am liebsten gewesen, wenn ich ihn nicht hätte gehen müssen, weil er so schmerzvoll war.

      Wenn ich im Anzug und mit hängenden Schultern in die Bar kam, sagten sie zu mir: „Sei stolz auf dich!“, und dann rückten sie mir den Schlips zurecht, so ähnlich wie Du. Ich war wie sie; sie wußten, daß ich keine Wahl hatte. Deshalb habe ich mich nie mit ihnen geprügelt. In den Bars schlugen wir einander auf die Schulter, und auf der Arbeit gaben wir uns gegenseitig Rückendeckung.

      Es gab aber auch Zeiten, in denen unsere wirklichen Feinde kamen: Trupps besoffener Matrosen, faschistische Schlägertypen, Psychopathen und die Bullen. Wir kriegten es jedesmal sofort mit, weil immer schnell jemand den Stecker der Jukebox rauszog. Egal, wie oft es schon passiert war, wir stöhnten alle „O nein …“, wenn die Musik abbrach, und dann war klar, daß es jetzt zur Sache ging.

      Wenn die Fanatiker kamen, war eine Prügelei angesagt, und wir machten alle mit. Wir kämpften hart – Femmes und Butches, Frauen und Männer gemeinsam.

      Setzte die Musik aus und die Bullen standen in der Tür, stöpselte jemand die Jukebox wieder ein, und wir tauschten Tanzpartnerinnen. Wir in Schlips und Kragen taten uns mit den Drag Queens in ihren Kleidern und hochhackigen Pumps zusammen. Heute können wir uns kaum noch vorstellen, daß es damals illegal war, wenn Frauen mit Frauen oder Männer mit Männern tanzten. Wenn die Musik endete, verbeugten wir Butches uns, unsere Partnerinnen knicksten, und wir kehrten zu unseren Plätzen zurück, zu unseren Liebsten und unseren Drinks, und warteten darauf, daß das Schicksal seinen Lauf nahm.

      Dabei muß ich wieder an Deine Hand auf meinem Gürtel unter meinem Jackett denken. Da lag sie die ganze Zeit, während die Bullen da waren. „Ganz ruhig, Baby. Bleib bei mir, Schatz, bleib cool“, hast Du mir dann ins Ohr gesungen wie ein Liebeslied für Kriegerinnen, die sich genau überlegen müssen, wann sie in den Kampf ziehen, wenn sie überleben wollen.

      Weißt Du noch, der Abend, an dem Du zu Hause bei mir geblieben bist, weil ich krank war? Das war der Abend, an dem die Bullen sich die härteste Butch aussuchten, um sie mit ihren Demütigungen zu vernichten, eine Frau, von der alle sagten, daß sie „im Regenmantel duschte“. Wir erfuhren, daß sie sie vor allen Leuten in der Bar nackt ausgezogen und sie ausgelacht haben, als sie ihre Blöße bedecken wollte. Sie sei später verrückt geworden, hieß es. Dann hat sie sich aufgehängt.

      Was hätte ich wohl getan, wenn ich in jener Nacht dort gewesen wäre?

      Ich muß an die Razzien in den Bars in Kanada denken. Wenn die Samstagabend-Butches in die Transporter verfrachtet wurden, kicherten sie albern, versuchten, ihr Haar zu richten und Klamotten zu tauschen, damit sie zu den Femmes in den Bau kamen – sie sagten, das wäre „wie im siebten Himmel“. Laut Gesetz mußten wir mindestens drei Teile Frauenkleidung tragen.

      Wir haben nie die Kleidung getauscht. Auch die Drag Queens nicht. Genau wie Du wußten wir, was uns bevorstand. Wir brauchten unsere aufgekrempelten Hemdsärmel und unser mit Pomade zurückgekämmtes Haar, um das, was kam, zu überleben. Die Hände hatten sie uns auf den Rücken gefesselt. Du hattest die Handschellen vor dem Körper. Du hast mir die Krawatte gelockert, den Kragen aufgeknöpft und mein Gesicht berührt. Ich sah den Schmerz und die Angst um mich in Deinem Gesicht, und ich flüsterte, es würde alles gut werden. Wir wußten, daß das nicht stimmte.

      Ich habe Dir nie erzählt, was sie uns dort angetan haben – Drag Queens und Butches in einer Zelle –, aber Du wußtest es ohnehin. Sie schleiften unsere Brüder einen nach dem anderen aus der Zelle, ohrfeigten und schlugen sie, schlossen die Zellentüren schnell hinter sich zu, für den Fall, daß wir uns nicht mehr beherrschen konnten und versuchen würden, sie aufzuhalten – als ob wir das gekonnt hätten. Sie fesselten einem Bruder die Hände an die Fußgelenke oder ketteten ihn mit dem Gesicht an die Gitterstäbe, und wir mußten es mitansehen. Manchmal fingen wir den Blick des gefolterten Opfers auf und gaben ihm sanft zu verstehen: „Ich bin bei dir, Schätzchen, sieh mich an, ist schon gut, wir bringen dich nach Hause.“

      Wir weinten nie vor den Bullen. Wir wußten, daß wir die nächsten sein würden.

      Ob ich überlebt habe? Hab ich wohl. Aber nur, weil ich wußte, daß ich vielleicht wieder zu Dir nach Hause kommen würde.

      Montags ließen sie uns dann wieder raus, eine nach dem anderen. Ohne Anklage zu erheben. Zu spät, um sich auf der Arbeit krank zu melden. Ohne Geld mußten wir trampen, die Grenze zu Fuß überqueren, in verknitterten Klamotten, blutverschmiert, uns nach einer Dusche sehnend, verletzt und verängstigt.

      Ich wußte, Du würdest da sein, wenn ich es nur bis nach Hause schaffte. Du hast mir ein duftendes Schaumbad eingelassen. Mir eine frische weiße Unterhose und ein T-Shirt rausgelegt und mich allein gelassen, damit ich die erste Schicht Scham abwaschen konnte.

      Es war jedesmal dasselbe. Ich zog die Unterhose an und konnte mir gerade noch das T-Shirt überstreifen, als Du auch schon einen Grund fandst, ins Badezimmer zu kommen, um etwas zu holen oder wegzuräumen. Mit einem Blick hast Du Dir die Wunden an meinem Körper wie eine Straßenkarte eingeprägt – die Schnitte, die Blutergüsse, die Verbrennungen von Zigaretten.

      Später im Bett hast Du mich gehalten, mich überall gestreichelt, die zartesten Berührungen für die Stellen reserviert, wo ich verletzt war; Du kanntest jeden einzelnen schmerzenden Fleck in- und auswendig. Du hast mich zuerst nur sanft gestreichelt, weil Du wußtest, daß ich noch zu fertig war, um mich sexy zu fühlen. Aber langsam und vorsichtig hast Du mir meinen Stolz wiedergegeben, indem Du mir zeigtest, wie sehr Du mich begehrtest. Du wußtest, daß Du Wochen brauchen würdest, das Eis wieder zum Schmelzen zu bringen, den Stein zu erweichen.

      Ich habe in letzter Zeit Geschichten von Frauen gelesen, die auf ihre Stone Butches so wütend sind, daß sie sich sogar über die Leidenschaft lustig machen, die sie zeigen, wenn sie endlich vertrauen und sich berühren lassen können. Und ich frage mich, ob es Dir damals weh getan hat, wenn ich mich nicht von Dir berühren lassen konnte? Ich hoffe nicht. Du hast es zumindest nie gezeigt. Ich glaube, Du wußtest, daß nicht Du es warst, vor der ich mich verschloß. Du hast mein Stone-Ich wie eine Wunde behandelt, die geheilt werden mußte. Danke. Das hat nach Dir nie wieder eine getan. Wenn Du heute abend hier wärst … na ja, ein Wunschtraum, oder?

      Das alles habe ich Dir nie gesagt.

      Ich


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