Stone Butch Blues. Leslie Feinberg

Stone Butch Blues - Leslie Feinberg


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berührte meine Wange. „Tut mir leid, Liebling.“

      Peaches richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Los, wir gehen alle zusammen rein.“

      „Nein!“ Ich hob die Hände. „Sie werden uns alle schnappen.“ Meine Blase schmerzte. Ich wünschte, ich hätte nicht so lange gezögert. Ich holte tief Luft und öffnete die Tür zur Damentoilette.

      Zwei Frauen standen vor dem Spiegel und frischten ihr Makeup auf. Die eine sah die andere an und zog sich die Lippen nach. „Ist das ein Mann oder eine Frau?“ sagte sie zu ihrer Freundin, als ich an ihnen vorbeiging.

      Die andere Frau drehte sich zu mir um. „Das hier ist die Damentoilette“, informierte sie mich.

      Ich nickte. „Ich weiß.“

      Ich schloß die Kabinentür hinter mir ab. Ihr Lachen traf mich bis ins Mark. „Schwer zu sagen, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Wir sollten die Polizei rufen.“

      Ich zog die Spülung und fummelte hastig an meinem Reißverschluß herum. Vielleicht war es nur eine leere Drohung. Vielleicht würden sie wirklich die Polizei rufen. Ich eilte aus der Toilette, sobald ich hörte, daß die beiden Frauen gegangen waren.

      „Alles in Ordnung, Darlin’?“ fragte Justine. Ich nickte. Sie lächelte. „Du hast die Mädels zehn Jahre ihres Lebens gekostet.“

      Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Von wegen. Über einen Mann hätten sie sich nie so lustig gemacht. Ich hatte Angst, sie würden die Bullen rufen. Sie haben mich zehn Jahre meines Lebens gekostet.“

      „Kommt!“ Peaches zupfte mich ungeduldig am Ärmel. „Zeit für die Femmes.“ Sie zog mich zur Miederwarenabteilung.

      „Was meinst du?“ Georgetta hielt ein rotes Seidennachthemd hoch.

      „Schwarz“, sagte ich. „Das schwarze, seidene.“

      „Mann, der Junge hat Geschmack!“

      Peaches seufzte. „Komisch, wie du diesen Anzug anprobiert hast, ganz aufgeregt und so. Ich mußte daran denken, wie mein Vater mich gezwungen hat, mir einen Anzug für den Gottesdienst zu kaufen. Wenn ich von schönen Klamotten träumte, Kind, dann nicht von einem Anzug. Soviel steht fest. Ich träumte von etwas … etwas Geschmackvollem, weißt du – mit Spaghetti-Trägern, so tief ausgeschnitten …“ Sie fuhr sich mit dem Finger über das Dekolleté. „Ich fühlte mich wie eine Ballerina im Abendanzug.“

      Georgetta schnaubte. „Wohl eher wie ’ne Tunte.“

      Peaches warf den Kopf zurück und zog mich weiter.

      Eine Stunde später gingen wir zurück zu Kleinhan’s. Der Anzug war fertig.

      „Wir haben noch genug Geld für ein Hemd und eine Krawatte“, erklärte Georgetta.

      Justine hielt ein stahlblaues Hemd hoch. Es war schöner als alle Hemden, die mein Vater je besessen hatte. Die Knöpfe waren himmelblau mit weißen Schlieren, wie Wolken. Peaches und Georgetta einigten sich auf eine bordeauxrote Seidenkrawatte.

      Die Verkäufer sahen allesamt aus, als hätten sie Kopfschmerzen. Immerhin, besser sie als wir.

      „Ich kann euch allen gar nicht genug danken“, sagte ich.

      „Doch, kannst du, Schatz. Du kannst mich zur Siegerin der Drag Show küren.“

      „Sie sieht ja wohl, daß ich die Holdeste von allen bin.“

      „Ach bitte, Kindchen, bring mich nicht zum Lachen.“

      Ich hob die Hände. „Moment mal“, protestierte ich. „Es war nie die Rede davon, daß ich bei der Drag Show die Jury spielen soll.“

      „Ach, Darlin’“, lächelte Justine. „Es ist ja noch einen Monat hin. Zerbrich dir nicht deinen hübschen Kopf darüber.“

      Der Monat verging schnell. Ich versuchte, allen Meinungsverschiedenheiten der Kandidatinnen, wie die Show organisiert werden sollte, aus dem Wege zu gehen. Am Abend der Show kam ich recht spät zum Malibou. Ich parkte meine Norton auf dem rückwärtigen Parkplatz, nahm den Helm ab und rauchte eine Zigarette.

      Peaches trat aus der Tür. „Kind, wo steckst du denn?“ rief sie mir zu und bemühte sich, in ihren hohen Stöckeln auf dem Kies das Gleichgewicht zu wahren.

      „Ich komme!“ antwortete ich und drückte die Zigarette aus. „Ich bin schon da.“

      Alle hielten inne und starrten mich an, als ich zur Tür hereinkam. „Du siehst zum Anbeißen aus“, sagte Peaches und strich mir über das Revers.

      Georgetta faltete die Hände. „Ich glaube, ich verliebe mich.“

      „Jaja, das sagt sie nach jedem Blowjob“, murmelte Justine.

      Cookie ging das Programm mit mir durch. Ich kaute unterdessen nervös am Daumennagel. Mein Leben lang hatte ich mir gewünscht, mich unsichtbar machen zu können. Wie sollte ich jetzt bloß auf eine Bühne steigen, mitten ins Rampenlicht? Als ich auf den Laufsteg kam, war es dunkel im Club. Als der Lichtkegel mich traf, konnte ich die Menge vor mir kaum sehen.

      „Sing etwas!“ rief eine der Butches laut.

      „Seh ich vielleicht aus wie der verdammte Bert Parks?“ schrie ich zurück. „Okay“, fing ich an zu singen, „hier kommt sie, Miss-Ver-stääänd-nis.“

      „Buh!“

      „Jetzt hört mal zu“, bat ich. „Das hier ist ernst.“

      „Das ist es nicht! Es ist eine Drag Show!“ rief jemand.

      „Doch, es ist ernst.“ Ich wußte jetzt, was ich sagen wollte. „Wißt ihr, unser ganzes Leben haben sie uns gesagt, daß wir nicht so sind, wie wir sein sollten …“

      Ein paar murmelten: „Ja!“

      „Also, das hier ist unser Zuhause. Unsere Familie.“

      Eine Welle von Beifall ertönte aus dem Publikum. „Du hast verdammt recht“, rief eine der Tunten hinter mir.

      „Also werden wir uns heute abend so feiern, wie wir sind. Wir sind nicht nur akzeptabel, wir sind schön. Und ich will, daß ihr unseren umwerfenden Schwestern in dieser Show zeigt, wie sehr wir sie lieben und respektieren.“ Die Menge brüllte zustimmend. Justine und Peaches kamen raus, küßten mich und rannten wieder hinter die Bühne, um ihr Stichwort abzuwarten.

      Ich sah auf die Karteikarten, die Cookie mir gegeben hatte. „Bitte begrüßt Miss Diana Ross mit ihrem Lied ‚Stop in the name of love’!“ Die Musik wurde lauter, und ich trat beiseite.

      Peaches’ Kleid leuchtete auf, als der Lichtkegel auf sie fiel. Was für ein atemberaubend schöner Mensch!

      „Stop in the name of love …“ Sie packte mich an der Krawatte, während sie ihr Lied beendete. „… before you break my heart …“ Ihre Lippen waren meinen ganz nahe. Ich schnappte nach Luft, war ganz gefangen von ihrer Ausstrahlung.

      Donnernder Applaus.

      „Gebt ihr ein Handtuch!“ rief jemand, als ich mir mit dem Handrücken über die Stirn wischte.

      „Bitte begrüßt Miss Barbara Lewis mit ‚Hello Stranger’!”

      Justine kam direkt auf mich zu – langsam und sehr sicher auf ihren Pfennigabsätzen –, während die Musik anschwoll. „Hello stranger …“ Sie legte mir den Arm um die Schultern. „… it seems like a mighty long time …“ Ich fand allmählich Gefallen an dieser Show.

      Als nächstes kam Georgettas Freund Booker. Ich hatte ihn noch nie zuvor im Fummel gesehen, und selbst jetzt stellte ich ihn mir als er vor. Booker sang ebenfalls „Stop in the name of love“. Georgetta spähte hinter den Kulissen hervor und beobachtete ihn. „Ist es nicht wieder mal typisch?“ flüsterte sie mir zu. „Da meinst du, du hast einen richtigen Kerl geheiratet, und dann stellst du fest, er ist auch nur eine Schwester, die sich deinen Lippenstift leiht,


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