Traumberuf Schauspieler. Ulrike Boldt
Man muss sich bei der Rollenauswahl nicht unbedingt ausschließlich auf Monologe konzentrieren, auch ein gut verständlicher Dialog kann spannend gespielt werden. Allerdings ist es schwierig, auf der Bühne auf die Sätze eines Gegenübers zu reagieren, der dort nicht wirklich steht und etwas sagt, sondern den man sich vorstellen muss. Indiskutabel ist es, gleich beide Figuren eines Dialoges zu spielen oder sich einen Partner mitzubringen. Monologe hingegen dürfen durchaus ein wenig gekürzt werden, solange Sprachstil und Inhalt nicht verändert werden.
»Natürlich darf man seinen Text formen und streichen. Ich möchte nur erkennen können, was der Bewerber mit den Strichen bezweckt und warum er sie so gemacht hat und nicht anders.«
Jochen Schölch, Leiter des Studiengangs Schauspiel der Hochschule für Musik und Theater August Everding, München
Wenn ein Bewerber drei Rollen gefunden hat, die ihn begeistern, und er durch das mehrmalige Lesen des gesamten Stückes genau weiß und versteht, was die Figur fühlt, wie sie handelt und reagiert, sollte er den Text auswendig lernen. Da jeder Prüfling bei der Aufnahmeprüfung sehr aufgeregt ist, darf es nicht passieren, dass er über seinen Text nachdenken muss, weil er ihn nicht perfekt beherrscht.
Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, wie eine Rolle angelegt und interpretiert werden kann. Eine Menge Bücher beschäftigen sich ausschließlich mit diesem Thema und sind zur Orientierung empfehlenswert.
Um eine Rolle gut erarbeiten und sie realistisch und glaubwürdig darstellen zu können, muss man sich ein Bild des Charakters der Figur machen. Die Facetten des Charakters erschließen sich sowohl aus den Szenen, in denen die Figur alleine oder zusammen mit anderen agiert, aber auch aus Szenen, in denen über die Figur gesprochen wird. Es ist wichtig, sich in die Rolle hineinzuversetzen: Wenn ich diese Person bin, wie reagiere ich dann in der Situation, die ich darstellen möchte?
Bei der Erarbeitung einer Szene können folgende Fragen hilfreich sein:
Woher komme ich? Was habe ich erlebt? Wie ist mein Gefühl? Wie mein Körperzustand? Was für eine Energie habe ich in mir? Was zeige ich davon? Was will ich? Was habe ich für einen Plan und für Absichten? Wie will ich den Plan durchsetzen? Was sollen Partner und Publikum davon erfahren? Wie stark bestimmt meine Absicht mein Handeln und Reden?
In welchen Raum trete ich ein? Was ist das für ein Ort? Wie ist die Atmosphäre? Was kenne ich, was nehme ich wahr? Reagiere ich darauf? Wer ist da? Habe ich die Anwesenden erwartet? Kenne ich sie? Wie sind meine Beziehungen zu ihnen? Wie reagiere ich auf sie? Was will ich für einen Eindruck machen? Wohin will ich danach? Was erwartet mich? Wie ist meine momentane Haltung? Wie ist mein Plan für die Zukunft?
Im Prüfungsraum stehen immer Tische, eine Couch und ein Stuhl zur Verfügung. Wer ein Requisit benötigt, sollte es sich zur Prüfung mitbringen. Auch über ein Kostüm kann man sich Gedanken machen. Allerdings braucht man bei einer Rolle aus dem 18. Jahrhundert kein originalgetreues Kostüm tragen, ein langer Rock reicht bei einer Frau schon aus.
»Jeder Bewerber hat nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Diese sollte man nicht mit umständlichen und langen Umzügen vertrödeln. Das Kostüm soll zwar das Körpergefühl betonen, einen kompletten Theaterumzug will aber keiner sehen.«
Jochen Schölch, Leiter des Studiengangs Schauspiel der Hochschule für Musik und Theater August Everding, München
Die Schauspielschulen erwarten keine perfekten technische Fertigkeiten oder besonders originelle Leistungen, sie möchten vielmehr Fleiß, Bühnenpräsenz und Persönlichkeit sehen. Der Bewerber sollte einfach versuchen, sich in die Situation und den Charakter hineinzubegeben und diesen glaubhaft darzustellen. Das verlangt die Benutzung und Beherrschung von Stimme, Sprache und Körper. Dennoch darf dabei die Lust am Spielen nicht vergessen werden.
Wer im Schultheater aktiv war, sollte nicht unbedingt die Rollen darstellen, die er dort gespielt hat.
»Was im Schultheater gut geklappt hat, ist nicht unbedingt für eine Aufnahmeprüfung geeignet. Grundsätzlich raten wir davon ab, Rollen vorzusprechen, die man schon einmal gespielt hat. Vor allem ist es wichtig, die Rollen eigenständig zu erarbeiten.«
Hanns Dietrich Schmidt, Professor der Folkwang Hochschule Essen
Viele Bewerber bereiten sich zusammen mit einem Schauspieler, Schauspiellehrer oder Regisseur auf die Prüfung vor. Das ist zwar nicht verboten, aber es wird nicht gerne gesehen, da durch das Antrainierte das eigene Talent und die Ursprünglichkeit nicht selten verdeckt werden. Die Prüfungskommission möchte nicht die Dressur des Lehrers sehen, sondern die eigene Fantasie des Prüflings, seine Gedanken zur Rolle und sein Sprachgefühl. Einem durchinszenierten Vorsprechen zieht die Kommission den Funken Leidenschaft und das Brennen für das Spiel vor.
Welche Anforderungen stellt die Prüfungskommission bei der Aufnahmeprüfung?
Bei einer Aufnahmeprüfung existiert kein fester Kriterienkatalog. Wichtig ist, dass der Bewerber das Interesse der Prüfungskommission weckt. Die Prüfer möchten ihn so natürlich wie möglich sehen und erwarten keine Perfektion. Die Bewerber sollen Persönlichkeit haben, aber noch formbar sein.
»Wir möchten sehen, wie projektionsfähig der Prüfling ist. Das, was in der Rolle drinsteckt, muss sich auf das Publikum übertragen. Wir möchten eine ursprüngliche Direktheit, man muss sehen: Da ist etwas Eigenes. Einen Klassiker und eine moderne Rolle wollen wir sehen, damit wir zwei verschiedene Sprachhaltungen erkennen können. Dabei ist es uns egal, ob wir zum hundertsten Mal den Franz Moor von Schiller sehen. Wenn die Rolle gut umgesetzt ist, wirkt die Szene immer wieder neu. Wir raten den Prüfling dazu, lieber einen kurzen Abschnitt zu wählen als einen zu langen.
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