Lampenfieber. Claudia Spahn
Worten einer Rede vor Angst erbleiche und von ganzem Herzen und an allen Gliedern bebe …« (Cicero, 2007, S. 58).
Die Situation, sich vor anderen Menschen zu exponieren, löst in uns allen ein ähnliches Programm aus. Wir spüren dies durch eine erhöhte Körperspannung, eine stärkere Konzentration und Aufmerksamkeit sowie durch ein intensiviertes Gefühlserleben. Es handelt sich dabei um einen ganz eigenen, besonderen Zustand, in dem wir uns sonst kaum befinden. Jeder Mensch erlebt diesen im Laufe seines Lebens, denn Präsentationssituationen wie Referate in der Schule oder Reden und Ansprachen bei festlichen Anlässen sind fester Bestandteil unserer Kultur. Darüber hinaus gibt es Berufsgruppen, die sich regelmäßig und in besonderer Weise vor anderen exponieren und deshalb umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit Auftrittssituationen erwerben. Zu diesen zählen insbesondere Künstler in den Bereichen Musik, Schauspiel und Tanz, aber auch in Kommunikationsberufen Tätige wie Lehrer, Pfarrer, Journalisten, Manager, Politiker u.a. Entsprechend verschieden können auch die Auftrittsorte sein: vom Besprechungs- und Klassenzimmer über einen Hörsaal oder eine Kirche bis hin zur Bühne eines Konzertsaals oder Theaters. Ähnlich variabel ist die Zahl und Zusammensetzung der Zuschauer und Zuhörer.
Als eigener Begriff für den bereits bei Cicero beschriebenen Zustand tauchte im 19. Jahrhundert der Begriff »Lampenfieber« im deutschen Sprachraum auf. Etymologisch entstand er aus dem Wort »Lampen«, welches im 13. Jahrhundert aus dem französischen Wort lampe für Beleuchtungsmittel entlehnt wurde, und dem Wort »Fieber«, womit eine »fieberhafte Körperreaktion« gemeint war. In der zusammengesetzten Wortbedeutung beschreibt damit »Lampenfieber« den Zustand, der sich unter der Beleuchtung der »Lampen« auf der Bühne einstellt. Im »Etymologischen Wörterbuch« (Kluge, 1989) finden wir den Eintrag: »Aufregung vor dem öffentlichen Auftreten«.
»Lampenfieber« hat sich bis heute in unserem Sprachgebrauch erhalten. Äquivalente Bezeichnungen sind im Spanischen fiebre de candilejas, im Italienischen febbre della ribalta, im Französischen le trac sowie im Anglo-Amerikanischen stage fright. Die spanische Bezeichnung bezieht sich – wie der deutsche Begriff – direkt auf die Bühnenlampen (candilejas), die italienische auf die Bühne bzw. die Rampe selbst (ribalta). Der französische Begriff soll sich vom Verb traquer ableiten, was »jemanden jagen bzw. hetzen« bedeutet; in der Jägersprache heißt es entsprechend traquer un animal, »ein Tier treiben oder umstellen« (Le Corre, 2006). Kurt Tucholsky griff unter seinem Pseudonym Peter Panter in einem Artikel mit dem Titel »Lampenfieber«, den er 1930 für die Weltbühne verfasste, diesen französischen Begriff auf und formulierte: »Lampenfieber heißt ›trac‹ auf französisch. Der kleine zuckende Laut gibt den Peitschenschlag der Nerven gut wieder (…)«. Die englische Bezeichnung stage fright akzentuiert neben dem Begriff der Bühne den Schrecken und die Angst.
In den verschiedenen Ländern begegnet man interessanten Spuren des Lampenfiebers. So zeugt das Schild mit der Aufschrift »salle du trac«, das neben der Tür zum Einspielraum im Conservatoire Supérieur de Paris (CNR) angebracht ist, von der Präsenz des Lampenfiebers im Leben der jungen Musiker (Abb. 1). Dieser »Lampenfieber-Raum« hat schon viele Menschen mit unterschiedlichen Instrumenten gesehen, die sich auf Prüfungen vorbereitet haben. Le trac – Lampenfieber – hatten sie alle. Denn im »salle du trac« spielt man sich ein, bevor die Jury zum Vorspiel in den Konzertsaal bittet.
Auch im englischen Sprachgebrauch gibt es einen solchen Raum, der auf das Phänomen Lampenfieber hinweist, nämlich den sogenannten green room, in dem sich die Künstler hinter der Bühne aufhalten, wenn sie auf den Auftritt warten. In Künstlerkreisen wird gemutmaßt, dass hinter diesem Begriff eine Anspielung auf die grünliche Gesichtsfarbe stehe, die an manchen Künstlern vor dem Auftritt zu beobachten ist. Etymologisch ist dies vermutlich jedoch nicht korrekt, da sich der Begriff wohl eher von der grünen Wandfarbe des hinter der Bühne befindlichen Aufenthaltsraumes eines Londoner Theaters zur Zeit Shakespeares ableitet.
Abb. 1: »salle du trac« im Conservatoire Supérieur de Paris (CNR)
Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Lampenfieber ist heute im deutschen Sprachgebrauch einer gewissen begrifflichen Unschärfe gewichen. Im Alltagsverständnis wird Lampenfieber – sowohl unter Künstlern als auch in anderen Berufen – unterschiedlich interpretiert: Die einen stellen sich etwas Positives darunter vor – im Sinne von »auf etwas hinfiebern« –, andere halten es für eine problematische Erscheinung – im Verständnis des Fiebers als Krankheitszeichen. Selbst in der wissenschaftlichen Literatur wird der Begriff Lampenfieber nicht eindeutig verwendet (Brodsky, 1996; Möller u. Castringius, 2005).
Was passiert bei Lampenfieber?
Die Erscheinungen des Lampenfiebers können bei jedem Menschen verschieden ausgeprägt sein oder wahrgenommen werden. Betrachten wir Lampenfieber in seiner Phänotypie systematisch, so lassen sich über die individuelle Ausprägung hinausgehende Gemeinsamkeiten beschreiben. Hierzu gehört, dass sich Lampenfieber auf verschiedenen Ebenen, nämlich auf der emotionalen und körperlichen Ebene sowie auf den Ebenen des Denkens und Verhaltens äußert. Einen Überblick über die häufigsten Anzeichen von Lampenfieber fasst Tabelle 1 auf der folgenden Seite zusammen.
Körper | Gefühl | Denken | Verhalten |
schneller Herzschlag | intensiviertes Gefühlserleben | Konzentrationsstörungen | unkontrollierte Körperhaltungen und -bewegungen |
schneller und flacher Atem | Angst und Panik | negative Gedanken und Erwarten von Katastrophen | bereits in der Vorbereitung die Konfrontation mit dem Auftritt vermeiden |
kalte und schweißige Hände | innere Aufregung | ständiges Denken an den Auftritt schon Wochen vorher | aggressives Verhalten gegenüber der Umwelt |
trockener Mund | Hilflosigkeit | über Publikum mit Angst nachdenken | stereotype Verhaltensweisen |
Erröten oder Blässe | Ausgeliefertsein | sich selbst unangemessen kleinmachen | Auftrittssituation vermeiden |
Zittern an Armen und Beinen | Verzweiflung | mit Experten im Publikum beschäftigt sein | Überaktivität und Aufgedrehtsein |
Übelkeit | sich bedroht fühlen | an schwierige Passagen denken | Flucht in äußere Umstände |
Kopfschmerzen und Schwindel | Scham | unbegründete negative Selbsteinschätzung | sozialer Rückzug |
Harndrang oder Durchfall | Unlust aufzutreten | Blackout | Blockaden |
Tabelle 1: Häufige Anzeichen von Lampenfieber, geordnet nach den vier Ebenen Körper – Gefühl – Denken – Verhalten; die Kombination der vier Ebenen muss nicht der Anordnung in den Zeilen folgen.
Körperliche Ebene
Die bekannten körperlichen Anzeichen des Lampenfiebers, wie schnelle Atmung und beschleunigter Herzschlag, Mundtrockenheit, Zittern, kalte und schweißige Hände etc., sind Ausdruck eines durch Angst ausgelösten physiologischen Programms. Im Körper kommt es dabei zu einer Aktivierung des sympathischen Teils des autonomen Nervensystems. Angst – fright – als Warnsignal