Lampenfieber. Claudia Spahn

Lampenfieber - Claudia Spahn


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potentiell bedrohlichen Situationen aus oder nehmen passiv daran teil. Besonders bei Auto- oder Skirennen ist die ungeheure Anziehungskraft solcher Veranstaltungen wesentlich dadurch zu erklären, dass für den Zuschauer ein Nervenkitzel besteht, ob die Rennläufer und -fahrer schadlos durch das Rennen kommen oder ob spektakuläre Unfälle zu beobachten sind, die nicht selten für die Sportler eine akute Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Auch Sportarten wie Fallschirmspringen oder Gleitschirmfliegen bergen konkrete Risiken, die im schlimmsten Fall für den ausübenden Sportler tödlich enden können. Der Psychoanalytiker Michael Balint hat schon 1959 in seiner Schrift »Angstlust und Regression« analysiert und anschaulich beschrieben, was an diesen Situationen für viele Menschen so spannend ist:

      »In allen Lustbarkeiten und Vergnügungen dieser Art lassen sich drei charakteristische Haltungen beobachten: a) ein gewisser Betrag an bewusster Angst, oder doch das Bewusstsein einer wirklichen äußeren Gefahr; b) der Umstand, dass man sich willentlich und absichtlich dieser äußeren Gefahr und der durch sie ausgelösten Furcht aussetzt; c) die Tatsache, dass man in der mehr oder weniger zuversichtlichen Hoffnung, die Furcht werde durchgestanden und beherrscht werden können und die Gefahr werde vorübergehen, darauf vertraut, dass man bald wieder unverletzt zur sicheren Geborgenheit werde zurückkehren dürfen. Diese Mischung von Furcht, Wonne und zuversichtlicher Hoffnung angesichts einer äußeren Gefahr ist das Grundelement aller Angstlust (thrill).« (Balint, 1994, S. 20f.)

      Evolutionsbiologisch könnte man die Hypothese aufstellen, dass der Mensch die früher in der Natur vorhandene Gefahrensituation heute bewusst sucht und sich Angst auslösenden Situationen aussetzt, um sich eine stimulierende Erfahrung zu verschaffen. Diese Hypothese wird gestützt durch neurowissenschaftliche Erkenntnisse aus der Angstforschung, welche die Bedeutung der Angst für die Persönlichkeitsentwicklung und das kreative Lernen bestätigen (Hüther, 1998).

      Die besondere Mischung von Angst und Hochgefühl findet sich typischerweise auch beim Lampenfieber in sozialkommunikativen und künstlerischen Auftrittssituationen. Der auftretende Künstler oder Redner ist zwar im Gegensatz zum Torero nicht von einer realen körperlichen Gefahr bedroht, im Erleben des Künstlers kann die subjektiv empfundene Gefahr jedoch genauso stark sein wie die echte Bedrohung, zumal in Gehirn und Körper das gleiche Programm abläuft. Noch vor ca. hundert Jahren warf das Publikum mit Tomaten oder es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen bei Aufführungen, die dem Publikum missfallen hatten, man denke z.B. an die Uraufführung von Igor Strawinskys Ballett »Le sacre du printemps« 1913 in Paris. Heutzutage ist ein »Solist« vor einer Gruppe von Zuhörern entsprechend dem heute geltenden gesellschaftlichen Verhaltenskodex nicht mehr in seiner körperlichen Existenz bedroht. Die Gefahr beim Auftritt wird vom Künstler oder Redner eher in Form der sozialen Bedrohung und in der subjektiv empfundenen Furcht vor Ansehensverlust, der Furcht vor dem Zutagetreten beschämender Seiten der eigenen Person u.a. erlebt. Es handelt sich demnach um eine kulturell überformte, sublimierte Form der ursprünglichen Angst- und Kampfeslust, deren Elemente stärker im Verborgenen liegen als bei körperlichen Gefahrensituationen und die deshalb leichter zu übersehen sind. Der »Tiger von heute« ist für uns eher durch seine psychosozialen als durch seine körperlich bedrohlichen Attribute gefährlich. Was wir empfinden, ist die Furcht vor seelischen und sozialen Wunden, die in ähnlicher Weise wie früher so weit gehen kann, dass wir uns in unserer psychischen Existenz »lebensbedrohlich« gefährdet fühlen.

      Ist das Auftreten von Lampenfieber also durchaus grundsätzlich als biologisch sinnvoll einzustufen, so besteht doch eine Schwierigkeit darin, dass es an die Erfordernisse der Auftrittssituationen im künstlerischen oder rhetorischen Bereich nicht optimal angepasst ist. Vergleichen wir diese Erfordernisse mit denen einer undifferenzierten Kampf-Flucht-Situation, so ergeben sich Diskrepanzen auf körperlicher, psychomentaler und sozialer Ebene: Als Künstler und Vortragende benutzen wir stärker unsere Feinmotorik (Instrumentalisten) und differenzierte Artikulation (Sänger, Schauspieler, Redner), wir müssen uns auf komplexe psychomotorische Vorgänge konzentrieren (Instrumentalisten, Sänger, Tänzer) und nicht nur auf einfache Handlungsabläufe, wir brauchen keinen »leeren Kopf«, sondern sind auf unsere Gedächtnisleistung angewiesen (Schauspieler, Musiker, Tänzer), und wir agieren nicht in Feindkategorien, sondern stellen eine differenzierte soziale Kommunikation mit dem Publikum her. Machen wir uns all dies klar, so folgt hieraus, dass es unsere Aufgabe ist, die grundsätzlich positive Anlage des Lampenfiebers im Hinblick auf die jeweiligen spezifischen Anforderungen des Auftritts auszudifferenzieren. Wir sprechen in diesem Sinne ganz grundsätzlich von einer Optimierung des Lampenfiebers.

      Optimierung von Lampenfieber

      Lampenfieber in seiner optimalen Ausprägung führt dazu, dass wir auf Bühne und Podium besonders konzentriert, brillant und ausdrucksstark sind. Stellen wir uns einmal vor, wir würden in der gleichen Verfassung, in der wir zu Hause im Sessel sitzen, einen Auftritt bestreiten, so wird sehr schnell deutlich, dass dies nicht angemessen wäre und wohl nicht zu einem erfolgreichen Auftritt führen würde. Im Zusammenhang mit Lampenfieber verwenden viele Künstler deshalb die Begriffe Spannung und Konzentration. Man könnte demnach auch sagen, dass es die Funktion des Lampenfiebers ist, uns in die richtige Spannung und Konzentration für einen Auftritt zu versetzen. Es ist also wichtig, dass jede auftretende Person in der jeweiligen Auftrittssituation den optimalen Grad an Lampenfieber erreicht. Der Zusammenhang zwischen der Leistung, d.h. wie gut unsere Darbietung ist, und dem Grad an Aufregung durch das Lampenfieber ist in Abbildung 5 dargestellt.

      Der Kurvenverlauf zeigt, dass die Leistung bei niedriger Aufregung schlecht ist, während sie sich bei zunehmender Aufregung verbessert. Die beste Leistung erbringen wir bei einem mittleren Grad an Aufregung, bei noch stärkerer Aufregung nimmt die Leistung wieder ab (Steptoe, 1983). Dieser Zusammenhang wurde bereits 1908 von den Forschern Yerkes und Dodson beschrieben (Yerkes u. Dodson, 1908). Wo der optimale, mittlere Aufregungsgrad für den einzelnen Auftretenden liegt, lässt sich bei künstlerischen oder rhetorischen Vorträgen nur schwer an messbaren Körperfunktionen festmachen. Anders als im Sport, wo z.B. im Biathlon das optimal functioning level für die beste Treffsicherheit beim Schießen anhand der individuellen Herzfrequenz festgelegt werden kann, sind Auftritte bei Reden oder künstlerischen Darbietungen komplexer und in ihrer Leistung nicht an einem einzigen Zielparameter festzumachen. Der optimale Grad an Lampenfieber lässt sich hier eher als eine durch Auftrittserfahrungen erlernte Einstellung beschreiben. Einstellung meint hier im ursprünglichen Sinn des Wortes, die eigenen Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und das Verhalten in der bestmöglichen Weise auf den Auftritt hin auszurichten.

      Abb. 5: Zusammenhang zwischen Lampenfieber und Bühnenleistung

      Die schönste Variante des Lampenfiebers ist sicher die der freudigen Erwartung des Auftritts, der maximalen persönlichen Präsenz auf der Bühne und der Freude und Erleichterung über das Gelungene nach dem Auftritt. Selbst diese Idealvariante des Lampenfiebers ist jedoch gekennzeichnet durch eine ihr innewohnende Spannung: zwischen der Lust am Abenteuer, das vor einem liegt, und der gleichzeitigen Angst davor, es einzugehen. Die Gefühle können in beide Richtungen ausschlagen. Wenn wir unter unserem Lampenfieber leiden, dann in der Regel deshalb, weil die Angstkomponente überhand nimmt, uns lähmt und hilflos macht und wir die Kontrolle über uns selbst verlieren. Dann fehlen die innere Freiheit und der Spaß am Risiko. Neben diesem charakteristischen Gefühlsspektrum des Lampenfiebers sei noch erwähnt, dass es auch Gefühle der Niedergeschlagenheit und der Überforderung gibt, die starke Ausmaße annehmen können.

      Lampenfieber lässt sich also am besten auf einem Kontinuum zwischen positiver und negativer Ausprägung beschreiben. Hierdurch wird deutlich, dass es fließende Übergänge zwischen verschiedenen Ausprägungsformen gibt (Abb. 6). Zudem weist Lampenfieber von Person zu Person und auch bei ein und derselben Person je nach Situation, Darbietung etc. immer gewisse Schwankungen innerhalb eines bestimmten Erfahrungsspektrums auf.

      Abb. 6: Kontinuum der Gradausprägung des Lampenfiebers

      Im Folgenden sollen – in Anlehnung an Möller (1999) –


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