Lampenfieber. Claudia Spahn
in diesem Zusammenhang von den »drei großen F«. Dieses Programm ist phylogenetisch, d.h. bezogen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, bereits sehr alt und trägt der Tatsache Rechnung, dass der Mensch – als ein hinsichtlich seiner Köperkräfte eher bescheiden ausgestattetes Wesen – in Gefahrensituationen schnell und mit höchster Konzentration entscheiden können musste, ob es klüger sei zu fliehen (häufig die bessere Option) oder zu kämpfen (bei fraglichen Erfolgsaussichten nicht selten die ungünstigere Variante). Im Vergleich zum Menschen zeigen z.B. Nashörner keine sichtbaren Anzeichen von Angst, die sie auf eine Flucht vorbereiten, da sie den allermeisten anderen Tieren kräftemäßig überlegen sind. Im Kampf mit dem Menschen gereicht ihnen dies heute zum Nachteil, denn sie laufen auch nicht weg, wenn sich ihnen ein Jäger mit Gewehr nähert.
Das autonome (vegetative) Nervensystem steuert die inneren Vorgänge unseres Körpers wie z.B. Kreislauf, Atmung, Verdauung, Muskeltonus, die nicht direkt oder nur zum Teil unserer Kontrolle unterliegen und nicht ohne Weiteres willentlich beeinflussbar sind. Es besteht aus zwei antagonistisch wirkenden Schenkeln, dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Parasympathikus ist stärker aktiv in der sogenannten »Hängemattensituation«: Wir haben gegessen, wir verdauen, sind müde, können uns ausruhen und müssen unsere Aufmerksamkeit nicht auf eine Aufgabe richten. Der Sympathikus überwiegt in Situationen, in denen wir wach, konzentriert und auf körperliche und geistige Aufgaben ausgerichtet, also handlungsbereit sind. Man könnte auch sagen, dass wir bei überwiegend parasympathischer Aktivität mehr nach innen, auf uns selbst und bei überwiegend sympathischer Aktivität mehr nach außen orientiert sind.
Beim Auftritt ist der Sympathikus stark aktiviert und wir finden daher alle Symptome, die uns in die Lage versetzen, »fit« für die auf uns zukommende Aufgabe zu sein (Abb. 2). Ausgehend von der ursprünglichen Kampf-Flucht-Situation wird Energie im Körper bereitgestellt, welche die großen Muskeln der Oberarme, der Beine und des Rumpfes mit Sauerstoff und Nährstoffen aus dem Blut versorgt. Um genügend Sauerstoff aufnehmen zu können und die Atmungsfunktion zu optimieren, werden die Bronchien in der Lunge erweitert und die Atmung wird beschleunigt. Der Mund wird trocken. Um das Blut schneller durch den Körper zu pumpen, nimmt der Herzschlag zu. Das Blut zentriert sich in den großen Muskeln. Gleichzeitig verengen sich die Blutgefäße in der Peripherie des Körpers, besonders an den Händen, sodass wir kalte Hände bekommen. Der gesamte Muskeltonus erhöht sich, durch Zittern wird zusätzliche Körperwärme erzeugt. Die inneren Augenmuskeln sind stärker angespannt, sodass unsere Pupillen sich weiten. Die sympathische Aktivierung bewirkt eine direkte Verstärkung der Schweißsekretion und führt damit u.a. zu schweißigen Händen. Die Blasenfunktion wird angeregt und wir verspüren Harndrang. Die Verdauung wird angehalten, d.h. Nahrung entleert sich entweder überstürzt (Durchfall) oder bleibt im Magen liegen (Übelkeit, Erbrechen).
Die Steuerung dieser vegetativen Funktionen des Körpers erfolgt im Gehirn durch den Hypothalamus. Von hier aus werden Impulse über Nervenwurzelzellen im Rückenmark und über weiterführende Nerven zu den Organen geleitet. Mittels des Hormons Noradrenalin als Überträgerstoff werden dort die oben beschriebenen Effekte ausgelöst. Das bekannte Hormon Adrenalin wird durch Stimulation aus dem Hypothalamus im Nebennierenmark gebildet und direkt ins Blut ausgeschüttet. Die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin bewirken neben den bereits beschriebenen Effekten, dass gespeicherte Energie mobilisiert und Glucose aus dem Blut in die Zelle aufgenommen werden kann. Damit steht für Muskeltätigkeit ausreichend Energie zur Verfügung. Andererseits werden adrenalinvermittelt im Gehirn Denkvorgänge unterdrückt, weshalb es in Auftrittssituationen zu sogenannten Blackouts kommen kann.
Der Adrenalinanstieg kann vor und während des Auftritts zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen (vgl. Kap. »Wie verläuft Lampenfieber?«, S. 28). Auch der Abbau von Adrenalin nach einem Auftritt verläuft individuell unterschiedlich. Manche Menschen sind direkt danach müde und haben ein Schlafbedürfnis, andere sind noch Stunden hellwach und können nur sehr langsam zur Ruhe kommen. Künstler, die regelmäßig abends auftreten und am nächsten Morgen bereits wieder eine Probe haben, können durch den resultierenden Schlafmangel maßgeblich belastet sein. Je nach Tätigkeit auf Bühne und Podium können manche körperlichen Erscheinungen des Lampenfiebers mehr oder weniger stören. So sind für Sänger und Sprecher Mundtrockenheit und die beschleunigte Atemfrequenz unangenehm auf der Bühne, während sie für Streich- und Tasteninstrumentalisten oder für Tänzer kaum eine Rolle spielen. Es gibt jedoch keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die körperlichen Erscheinungen aus physiologischer Sicht systematisch mit der spezifischen Auftrittstätigkeit in Verbindung stehen. Sänger bekommen demnach nicht vornehmlich einen trockenen Mund und Pianisten nicht vermehrt kaltschweißige Hände. Die Wahrnehmung der körperlichen Reaktionen ist jedoch je nach Bühnentätigkeit häufig genau auf das Symptom fokussiert, welches am meisten stört, sodass der Eindruck entstehen kann, es handle sich um tätigkeitsspezifische Lampenfiebererscheinungen. Eher scheinen die Symptome jedoch einem individuellen Muster zu folgen. Für Instrumentalisten kann es besonders belastend sein, wenn durch die erhöhte Muskelspannung, durch Zittern und Verkrampfungen an Armen und Händen die erforderliche feinmotorische Kontrolle und Schnelligkeit beeinträchtigt sind. Eine eindrucksvolle Schilderung der Lampenfiebererscheinungen bei Flötisten finden wir bei Johann Joachim Quantz in seiner 1752 erschienen Schrift »Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen«:
Abb. 2: Körperliche Erscheinungen des Lampenfiebers
»Die Furcht verursachet eine Wallung des Geblüthes, wodurch die Lunge in ungleiche Bewegung gebracht wird, und die Zunge und Finger ebenfalls in eine Hitze gerathen. Hieraus entsteht nothwendiger Weise ein im Spielen sehr hinderliches Zittern der Glieder: und der Flötenspieler wird also nicht im Stande seyn, weder lange Passagien in einem Athem, noch besondere Schwierigkeiten, so wie bey einer gelassenen Gemüthsverfassung, herauszubringen. Hierzu kömmt auch noch wohl, daß er bey solchen Umständen, absonderlich bey warmem Wetter, am Munde schwitzet; und die Flöte folglich nicht am gehörigen Orte fest liegen bleibt, sondern unterwärts glitschet: wodurch das Mundloch derselben zu viel bedecket, und der Ton, wo er nicht gar außen bleibt, doch zum wenigsten zu schwach wird.« (Quantz, 1997, S. 168)
Emotionale Ebene
Da Lampenfieber mit der Grundemotion Angst verbunden ist, lassen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Emotionsforschung zur Angst heranziehen.
Wir gehen heute davon aus, dass es neben dem beschriebenen Programm des vegetativen Nervensystems mit Hypothalamus und den Hormonen Adrenalin und Noradrenalin im Gehirn einen zweiten Verschaltungsweg (Abb. 3) gibt, der deutlich langsamer erfolgt und eine bewusstseinsnähere Reaktion darstellt (Altenmüller, 2009). Er beteiligt höhere Gehirnareale und bietet eine genauere Analyse der Auftrittssituation. Aus der Gedächtnisregion des Gehirns werden Gedächtnisinformationen zur emotionalen Bedeutung der Auftrittssituation geliefert. Hieraus ergeben sich wichtige Ansatzpunkte dahingehend, dass Lampenfieber durch die Auseinandersetzung der Betroffenen mit sich selbst und durch die Aufarbeitung früherer Erfahrungen beeinflusst werden kann. Wir wissen auch, dass Lampenfieber eine starke Lernkomponente besitzt. Joseph E. Ledoux konnte in seinen Untersuchungen an Mäusen feststellen, dass situative Angst in Zusammenhang mit entsprechenden Stimuli erlernt wird (Ledoux u. William, 1986).
Abb. 3: Die zentrale Steuerung der Angst bei Lampenfieber (nach Altenmüller, 2009)
Grundsätzlich erleben wir beim Lampenfieber uns selbst und unsere Gefühle intensiver als sonst. Unabhängig davon, wie die Gefühle beim Lampenfieber ausgeprägt sind, spüren wir uns in einer einzigartigen Weise in der Gegenwart und in allen Facetten unseres Seins. Dies ist wahrscheinlich mit ein Grund, warum Bühnenkünstler die Bühne lieben, obwohl ihnen dort Höchstleistungen abverlangt werden. Nicht umsonst spricht Friedrich Schiller 1803 in seinem Gedicht »An die Freunde« von »den Brettern, die die Welt bedeuten«. Auch wenn die Aufregung beim Auftritt nicht immer nur angenehm sein mag, so ist sie doch höchst intensiv und führt zu einem Verlangen, diesen besonderen Zustand immer wieder zu erleben. Hierauf deuten die Biografien vieler Künstler