Traumberuf Opernsänger. Gerd Uecker
href="#ulink_8a3c698a-9d6e-52a3-9241-ef2126604c7c"> Über den Autor
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
die folgenden Gedanken zum Beruf des/der Opernsänger/in* sind Ergebnis einer mehr als vierzigjährigen Arbeit und Erfahrung mit jungen, aber auch arrivierten Opernsängern an großen und kleinen Theatern, bei Wettbewerben, Meisterkursen, im Unterricht, bei der Korrepetition oder im Gespräch. Sie betreffen in erster Linie die praktischen Aspekte des Berufsbildes. Auf die künstlerische Seite des Opernsingens gibt es nur hin und wieder einige Querbeleuchtungen, die überwiegend mit der Praxis zusammenhängen. In diesem Sinne versteht sich das Buch als Leitfaden. Es kann nur bedingt Ratgeber sein, weil jeder Künstlerpersönlichkeit eine unverwechselbare Individualität innewohnt, auf die das eine angewendet werden könnte, aber vielleicht das andere nicht. Eine Orientierungshilfe jedoch, gerade für den angehenden oder jungen Opernsänger, können die folgenden Überlegungen in jedem Fall darstellen, weil ich versucht habe, die typischen Muster des Berufs, die Notwendigkeiten, die objektivierbaren Schwierigkeiten, die er mit sich bringt, aufzuzeigen. Auch scheinbare Selbstverständlichkeiten sind benannt, wie z. B. korrektes Studium, Pünktlichkeit oder Disziplin, weil ich immer wieder die Erfahrung machen musste, dass viele junge Opernsänger wesentliche und obendrein völlig unnötige Schwierigkeiten in der Praxis haben, wenn ihnen diese Grundsätze in der eigenen Arbeitsweise fehlen.
Da es sich bei diesem Beruf um ständige Selbstbehauptung durch Qualität, Wettbewerb und konzentrierte Leistung handelt, sind die Erfolgserlebnisse umso glückhafter und können die Grundlage für einen dauerhaft zutiefst befriedigenden Umgang mit diesem Beruf bedeuten, hohe Erfüllung bescheren und zu gesellschaftlichem Ansehen verhelfen. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch das Illusionspotenzial zu benennen, das dem Thema innewohnt. Denn Opernsänger zu sein ist wunderbar, wenn man erfolgreich ist, und wir kennen nur die Erfolgreichen, die großen Namen und die Berühmtheiten. Die Spitze der Pyramide leuchtet und verführt leicht zur Meinung, diese Spitze stelle den Normalfall dar. Dabei sind es aber nicht einmal hundert Opernsänger auf der ganzen Welt, die in unserer Medienwelt in diesem Beruf zu Stars werden können. Daher möchte dieses Buch auch ein wenig desillusionieren im Hinblick auf die tatsächliche Quote derer, die sich in diesem Beruf überhaupt so erfolgreich entwickeln, dass sie einmal zur Weltspitze gehören könnten.
Jeder, der diesen Beruf ergreifen will, braucht Enthusiasmus, Leidenschaft für das Singen, Selbstbewusstsein und die Überzeugung, dass er es schaffen wird! Ohne diese Ausgangsdisposition gelingt kein Start. Insofern muss der angehende Opernsänger immer positiv und idealistisch zu seinem Ziel stehen. Nur sollte ihn dabei stets eine Bereitschaft begleiten, die Realität der Beziehung zwischen sich und seinem Ziel möglichst illusionslos zu registrieren. Bitternis und Traurigkeit überkommen mich nicht selten, wenn ich sehe, dass manche junge Sänger viele Jahre studiert und dabei nicht einmal das notwendige sängerische Rüstzeug erworben haben, das sie für einen Einstieg in den Beruf qualifizieren könnte. Von ihren Lehrern um wertvollste Jahre ihres Lebens betrogen, stehen sie traumatisiert vor der Realität. In diesem Sinne soll das Buch nicht zuletzt zur Reflexion anregen.
Es möchte aber auch ein Berufsbild zeichnen. Damit will es dem Opernfreund und dem interessierten Laien Einblicke geben in den Alltag des Opernsängers und damit in die Vielschichtigkeit der Phänomene, die diesen Beruf strukturieren. Der angehende oder junge Opernsänger wird sich dabei eingeführt sehen in das künstlerische Milieu, das den Beruf charakterisiert. Für Studierende des Operngesangs und unbedingt auch für diejenigen, die sich für das Studium interessieren, wird dies von Wichtigkeit sein, da man sich als junger Mensch normalerweise von dieser spezifischen Berufswelt keine konkrete Vorstellung machen kann.
Für sie und für jene, die ein Gesangsstudium ergreifen wollen, sind die Anmerkungen zur Gesangsausbildung gedacht, wobei der Verweis auf verschiedene Hochschulen stets neu aktualisiert werden muss.
Gerd Uecker,im Februar 2012
Das Berufsbild
Für viele Menschen stellt der Beruf des Opernsängers einen Traumberuf dar. Auf der Bühne, im Rampenlicht zu stehen, mit Gesang die Emotionen der Menschen zu wecken, mit den größten Kunstwerken interpretatorisch umzugehen – all diese Verheißungen können den Beruf äußerst attraktiv erscheinen lassen. Dazu kommt Hoffnung auf Berühmtheit und gesellschaftliches Ansehen sowie wirtschaftlichen Wohlstand. Gerade weil dieser Beruf im Allgemeinen nur von seiner glänzenden Seite aus wahrgenommen werden kann, ist es so wichtig, sich von ihm ein realistisches Bild zu machen. Es liegt nahezu im Wesen des Berufs, nur das fertige und glänzende Produkt, nämlich die Opernaufführung, preiszugeben und alles, was sich »hinter den Kulissen« abspielt, auszublenden.
Der Beruf des Opernsängers ist ein Spezialberuf, der von vergleichsweise sehr wenigen Menschen ausgeübt wird. In festem Vertragsverhältnis mit deutschen Bühnen standen z. B. im Jahr 2008 weniger als 3000 Opernsängerinnen und Opernsänger.1 Das ist eine im Vergleich zu anderen Berufszweigen fast verschwindend kleine Gruppe. Zwar sind zu ihnen noch die als »Gäste« bzw. nicht fest engagierten Sänger hinzuzuzählen, aber dennoch bleibt der prozentuale Anteil der Berufsgruppe »Opernsänger« am gesamten Arbeitsmarkt marginal.
Der Beruf ist geprägt durch die Notwendigkeit einer außergewöhnlich hohen Individualisierung der Menschen, die ihn ausüben. Er definiert sich nahezu durch die Individualität der künstlerischen Profilierung des Opernsängers. Wie den des Schauspielers und Tänzers zählt man ihn zu den darstellenden künstlerischen Berufen. Der Opernsänger nimmt in diesem Zusammenhang insofern eine besondere Stellung ein, als ihn vom Schauspieler, der ja auch eine Rolle auf der Bühne spielt, etwas unterscheidet, nämlich dass er seine Rolle singen muss. Der Schauspieler hingegen, auch wenn er höchsten künstlerischen Ansprüchen genügen muss, verbleibt in seiner »natürlichen« Ausdruckswelt der Sprache und des Sprechens, also dort, worein der Mensch auch geboren ist. Denn als ein »Singender« kommt er nicht auf die Welt, das Singen stellt innerhalb der Entwicklung eines Menschen eine wesentlich spätere und eindeutig »künstlichere« Form der Kommunikation dar. Beim Opernsänger kommt also noch zum künstlerischen Spektrum der Darstellung die Voraussetzung einer organischen Disponiertheit seiner Singstimme hinzu.
Anders als in manchen anderen Berufen steht der Opernsänger in der Situation, während Proben und Aufführungen jeweils Höchstleistungen bieten zu müssen. Das sängerische und darstellerische Niveau, das von ihm erwartet wird, muss abrufbar erbracht, besser noch, gesteigert werden können. Ist, aus welchen Gründen auch immer, diese Fähigkeit in Wiederholungsfällen geschwächt oder nicht möglich, stellt dies eine konkrete Gefährdung für die Berufsausübung des Sängers dar. So steht ein Opernsänger in einem andauernden Wettbewerb: einmal hinsichtlich anderer Kollegen, dann aber auch gegen sich selbst, da er ja sein künstlerisches Niveau gleichmäßig halten bzw. dieses gerade in jungen Jahren sogar steigern muss.
Die Arbeitsrhythmik des Opernsängers bringt es mit sich, dass sich der Beruf unter Umständen als eine Belastung für das Privat- oder Familienleben erweisen kann. Er kennt keine Feiertage, Wochenenden oder regelmäßig freien Abende. Immer dann, wenn sich die anderen Menschen aus ihrer Arbeitswelt zurückziehen, sich der Familie, der Erholung oder ihren privaten Interessen widmen, steht für den Opernsänger Vorstellungsdienst an. Denn der Oper widmen kann sich der Besucher allemal nur in seiner Privat- oder Freizeit.
Für viele Sänger bringt der Beruf auch eine rege Reisetätigkeit mit sich. Konzerte, Gastspiele, Vorsingen bei Agenturen oder Opernhäusern und gegebenenfalls Tourneen erfordern die Bereitschaft zur Mobilität, die entsprechende Akzeptanz und Unterstützung von Familie und Lebenspartnern hinsichtlich der unabhängigen Gestaltung des persönlichen Lebensrhythmus.
Der Beruf des Opernsängers ist heute von Internationalität geprägt. Schon zu Beginn ihres Entstehens war die Oper als Kunstgattung international. In Italien um etwa 1600 geboren, eroberte sie in kurzer Zeit fast alle Länder des damaligen Zentraleuropas, die dann auch der Oper jeweils eigene stilistische Impulse vermittelten. In den letzten 150 Jahren wurden fast auf der ganzen Welt Opernhäuser gebaut.