Traumberuf Opernsänger. Gerd Uecker

Traumberuf Opernsänger - Gerd Uecker


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Jahrzehnten immer mehr dazu übergegangen, die Opern in ihrer Originalsprache aufzuführen. Durch die technische Erfindung sogenannter »Übertitel« erscheint dann eine jeweilige landessprachliche Übersetzung für alle Zuschauer sichtbar über oder neben dem Portalbereich der Bühne oder auf einem Display, eingebaut in die Rückenlehne des Vordersitzes. Man hört also heute in Tokyo und New York die Opern Verdis in italienischer, die Wagners in deutscher und die Opern Janáčeks in tschechischer Sprache mit Übertiteln. Ein anderer Aspekt der Internationalität des Berufs ist die Tatsache, dass oftmals Sänger verschiedenster nationaler Herkunft gemeinsam engagiert werden, um Opernwerke zur Aufführung bringen. Die Vorstellung einer italienischen Oper in Berlin mit einem amerikanischen Tenor, einer spanischen Sopranistin, einer lettischen Mezzosopranistin und einem koreanischen Bass, dirigiert von einem französischen Dirigenten ist durchaus nicht undenkbar. Die Möglichkeiten der technischen Reproduktion und der internationalen Verbreitung machen überdies mit Live-Übertragungen und Live-Mitschnitten jedem Interessierten Aufführungen aus der ganzen Welt zugänglich und finden ein begeistertes Publikum.

      Der Opernsänger kann sich nicht auf seinen Leistungen ausruhen. Ein einmal beruflich-handwerklich erworbenes Können muss stets – wie im Sport – durch Training, Coaching und Kontrolle in Form gehalten werden und abrufbar bleiben. In der künstlerischen Durchdringung der Rollen – in der Oper heißen sie »Partien« – wird ein ernsthafter Sänger nie an einen Punkt kommen, an dem er nun »genau weiß, wie es geht«. Stets wird er in der Opernpraxis neuen ästhetischen oder sängerisch-musikalischen Impulsen ausgesetzt sein, die ihn in der Vertiefung seiner Interpretationen vor neue Aufgaben stellen. Diese Herausforderungen anzunehmen ist eine Grundbedingung für eine gelingende Sängerlaufbahn.

      Die Oper wird als eine zusammengesetzte Kunstform bezeichnet. Denn in ihr werden Musik, Sprache, Bild und Bewegung zu einer künstlerischen Einheit gebracht. Dies spiegelt sich auch in den verschiedenen Berufen wider, die an einem Opernhaus zusammenarbeiten. Man kennt die künstlerischen und nicht-künstlerischen Zweige, die darstellenden und nicht-darstellenden künstlerischen Berufe. Oft trifft man auf künstlerische Spezialberufe, wie zum Beispiel den des Inspizienten, der die Hauptverantwortung für die Koordination einer Bühnenvorstellung trägt und für den es nicht überall einen vorgegebenen Ausbildungsweg gibt. Die verschiedenen Berufsfelder treffen auf der Bühne auf engstem Raum zusammen und müssen einen hohen Integrationsgrad untereinander aufweisen. Der Bühnenhandwerker wirkt während der Vorstellung direkt mit dem Opernstar zusammen, technische Vorgänge tragen und begleiten künstlerische Abläufe. Ein dichtes Aufeinandertreffen von unterschiedlichsten Wirkungssphären macht eine konfliktfreie Kooperation am Theater unentbehrlich. Menschen verschiedenster sozialer Herkunft wirken bei der Vorstellung Hand in Hand zusammen. Es ist kein Geheimnis, dass manchmal die Abendgage eines Protagonisten auf der Bühne dem Jahreslohn eines Bühnenarbeiters entspricht. Dennoch funktioniert dieses »Wunder« Oper. Es motiviert die Menschen, die an diesem »Gesamtkunstwerk« arbeiten, es schafft kreative Räume und es stellt eine permanente Herausforderung für den Einzelnen und für die Kollektive dar – seien sie künstlerisch oder auf technischem Gebiet tätig. Das Berufsethos an Theatern ist im Vergleich zu anderen Berufsfeldern überdurchschnittlich ausgebildet.

      Opernsänger zu sein, wird im gesellschaftlichen Ansehen honoriert, denn das Berufsbild wird meinungsmäßig mit hoher Leistungsbereitschaft und überdurchschnittlichem Talent in Verbindung gebracht. Der Beruf kann also bei entsprechender Begabung tatsächlich als ein Traumberuf bezeichnet werden, denn er bietet ein Tätigkeitsfeld, das eine Art von Verwirklichung eigener Persönlichkeitslinien zulässt, in einem höchst anspruchsvollen künstlerischen Rahmen steht und zudem eine unbestritten wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllt.

      Etliche junge Menschen, die am Ende ihrer Schulzeit stehen, werden von der Frage gequält, was sie denn nun eigentlich für einen Beruf lernen sollten oder, im Falle eines Gymnasialabschlusses, ob sie und was sie studieren sollten. Heute nimmt ihnen niemand diese Entscheidung ab. Es liegt auf der Hand, dass eine individuelle Neigung zu den verschiedenen Berufsbereichen eine Entscheidung wesentlich erleichtert und prägt. Oft finden junge Menschen aber keine echte Neigung für irgendwelche technischen, wirtschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen Zweige etc., und oft wird dann aus Verlegenheit ein Studium, bestenfalls ein sogenanntes »Schnupperstudium«, aufgenommen. Die Zahl derer, die eine Berufsausbildung, im engeren Sinn ein Studium abbrechen, entspricht statistisch derzeit der Zahl jener, die am Anfang ihrer Ausbildung keine ausgesprochen erkennbare Neigung zum gewählten Studiengang vorweisen. Dies schließt natürlich nicht aus, dass man auch in einem Beruf, den man nicht aus Neigung, sondern aus anderen Gründen, und sei es der Zufall, ergriffen hat, durchaus erfolgreich und glücklich werden könnte.

      Will man nun das Opernsingen als Beruf erwählen, werden sicher nicht der Zufall oder die Verlegenheit dafür den Ausschlag geben. Denn dieser Beruf setzt etwas Unabdingbares voraus: die Liebe zum Singen und die Freude, sich in einer Rolle darzustellen. Wenn man beides in sich spürt, muss man zwar deswegen nicht zwangsläufig Opernsänger werden. Will man aber tatsächlich diesen Beruf ergreifen, dann muss man erfasst sein von einer natürlichen Affinität zum Singen, fast könnte man diese als eine Art Lebenseinstellung oder Lebenshaltung deuten. Wenn man mit dem Musiktheater noch keine nennenswerten Erfahrungen machen konnte, was für einen jungen Menschen eher die Regel sein dürfte, so sollte jedoch das Singen und die Musik im Allgemeinen, sei es Klassik, Jazz oder Pop, eine nachhaltige Faszination ausüben, sie sollte aus dem Leben nicht wegzudenken sein. Die Liebe zum Singen entwickelt sich meist schon im Kindesalter bei entsprechender Förderung. Bereits im frühkindlichen Alter werden die hinführenden Wege spielerisch gefunden. Kindergarten, Kinderchor und Schulchor sind dann als erste Schritte geeignete Orte, um die Liebe zum Singen und auch den Grad des natürlichen Talents dafür zu entdecken. Bei außerordentlicher Begabung ist für Knaben dann die Aufnahme in einen der berühmten Knabenchöre, wie die Regensburger Domspatzen, der Tölzer Knabenchor, der Windsbacher Knabenchor oder der Kreuzchor in Dresden – um nur die herausragendsten zu nennen –, ein erstrebenswertes Ziel und schafft hervorragende Voraussetzungen für die Herausbildung allgemeiner Musikalität sowie spezifischer sängerischer Grundlagen. Dazu gehört in erster Linie die Schulung des Gehörs, das Vom-Blatt-Singen und die technische Entwicklung der Gesangsstimme. Aber bis in solche elitäre Höhen braucht es keineswegs zu kommen, um den Wunsch nach einem Sängerberuf hervorzubringen. Das Wichtigste ist, dass sowohl das Singen zu einer selbstverständlichen und natürlichen Ausdrucksäußerung wird, als auch ein tiefer werdendes Verständnis für Musik im Allgemeinen sich herausbildet. Förderlich für die Berufswahl Opernsänger ist natürlich ein Elternhaus, in dem Musikhören zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit zählt. Ein kulturell aufgeschlossenes, musisch-musikalisches soziales Umfeld bedeutet eine unleugbare Hilfestellung und befördernde Motivation im Zusammenhang mit der Wahl eines künstlerischen oder Musikberufes, wozu ja auch der des Sängers bzw. Opernsängers zählt.

      Zwangsläufig ist es so, dass eine gewisse Kenntnis, was denn Oper überhaupt sei, vorhanden sein muss, will man sich für den Beruf entscheiden. Nun sind diese Kenntnisse, vor allem darüber, wie denn der Sängerberuf tatsächlich in der Praxis aussieht, gar nicht so leicht zu erhalten. Denn die Arbeit in einem Opernhaus spielt sich zum allergrößten Teil für Außenstehende unsichtbar ab. Nur die glanzvolle Spitze dieser Arbeit, nämlich die Aufführung, wird man normalerweise zu sehen und zu hören bekommen. Die Strukturen des Opernbetriebs bleiben dem Zuschauer in der Regel verborgen – und das ist auch richtig so, denn alles, was an Arbeit an einem Opernhaus geleistet wird, dient konsequenterweise nur dazu, die Aufführungen perfekt zu gestalten und ein Publikum für sie zu interessieren. In manchen anderen Berufen ist das natürlich ganz ähnlich. Also gilt es, sich neben der sängerischen Ausbildung konkrete Kenntnisse über den »Betrieb Oper« anzueignen. Im ersten Schritt geschieht dies durch den Besuch geeigneter Opernaufführungen. Vor allem die Angebote der in den letzten Jahrzehnten breit entwickelten Sparte der Kinder- und Jugendoper an fast allen deutschen Opernhäusern stellen eine wunderbare Chance dar, Wege zum Musiktheater zu finden und ein Gefühl dafür zu entwickeln, was Oper sei. Die Opernhäuser haben erkannt, dass sie für ihr Publikum von morgen die Türen frühzeitig öffnen und altersgerechte Begegnungen mit dem Opernmetier anbieten müssen. Der Anschluss an einen Opernjugendclub oder an ähnliche


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