Traumberuf Opernsänger. Gerd Uecker

Traumberuf Opernsänger - Gerd Uecker


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mitbringen, wenn er in seinem Beruf zur Spitze gehören will. So muss z. B. ein Opernsänger ein Gefühl für verschiedene Stile entwickelt haben, er muss mit ästhetischen Fragestellungen sicher und kreativ umgehen können. Seine bildlichen Vorstellungen zur Darstellungsästhetik müssen entwickelt sein, sein Blick für das richtige Maß, für Ausgewogenheit und Schönheit muss geschult sein. Vor allem muss er die Tiefe von Kunstwerken ausloten können, er muss spüren, welche geistigen Dimensionen sich in einem Kunstwerk verborgen halten. Er muss intuitiv sich den Gehalten, den Sinnkonstellationen nähern können, die gerade in den darstellenden Künsten sich in unendlicher Variabilität zeigen.

      Künstlerischer Sinn muss gebildet werden, bedarf der »Bildung«. Gerade für einen Opernsänger ist es von Wichtigkeit, mit den Stoffen der Opernwerke nicht nur inhaltlich vertraut zu sein, sondern die unzähligen Möglichkeiten ihrer Bedeutungen, ihrer Interpretation und ihrer ästhetischen Qualitäten zu erfassen. Dazu verhilft ein enger Umgang mit der bildenden Kunst und mit Literatur. Beide Gattungen sind ja hier durch das Bild, dort durch das Wort aufs Engste mit den Opernstoffen und deren szenischer Umsetzung verschmolzen. Die Bezeichnung der Oper als eine »zusammengesetzte« Kunstform gibt es nicht ohne Grund. Auch Sympathie für Tanz und Film strahlt als eine Bereicherung zurück auf die praktische Arbeit als Opernsänger. Sich mit allen Erscheinungsformen der Künste vertraut zu wissen, zumindest eine gefühlte Nähe zu ihnen entwickelt zu haben, ist unentbehrlich für ein sicheres Urteil in Fragen der Ästhetik, der Interpretation oder philosophischer Dimensionen von Kunstwerken.

      Man muss als Opernsänger kein Spezialist in diesen Disziplinen sein, und man muss auch keinen akademischen Anforderungen genügen hinsichtlich der Kompetenz in solchen künstlerischen Bereichen. Aber ein natürlicher, intuitiver Umgang mit Literatur und bildender Kunst oder anderen Künsten weitet den künstlerischen Horizont und lässt Erfahrungen wachsen, ohne die das Wirken als darstellender Sänger arm und blass bliebe. Das Maß eigener künstlerischer Potenz entzieht sich der konkreten Reflexion und Beurteilung. Es ist nicht im quantitativen Sinne messbar. Es durchdringt aber die ganze Sängerpersönlichkeit, ihre Außenwirkung, ihre Überzeugungskraft. Der Künstler fühlt sich reich in der Annäherung und im Zugriff auf das Kunstwerk und nur als Künstler spürt er, wie sich ihm Möglichkeiten auftun, Ungesehenes und Ungehörtes in Erscheinung zu bringen und damit eine Qualität an Kommunikation zu erreichen, derentwegen er Applaus verdient. Ein Opernsänger muss eine künstlerisch sensible und kreative Persönlichkeit sein. Ihn darf das ideelle Feuer seiner Künstlerschaft nicht verlassen. Dies bedeutet, mit einem hohen Anspruch an sich selbst zu leben. Ohne die Kraft, dies zu wollen und umzusetzen, kann man kein Künstler sein – auch als Opernsänger würde man scheitern.

      Seit etwa dreißig Jahren gibt es in den großen und mittleren Opernhäusern sogenannte »Übertitel«-Anlagen. Darunter versteht man das in die Landessprache übersetzte Libretto, das dem Ablauf der Vorstellung folgt und in meist mehreren Zeilen auf einer Projektionsfläche über dem Bühnenportal eingeblendet wird.9 Diese Vorrichtung, die heute eine Selbstverständlichkeit ist, wurde notwendig, da immer mehr Opernhäuser dazu übergingen, die Opern in ihrer jeweiligen Originalsprache aufzuführen. Es erklingt also DIE HOCHZEIT DES FIGARO bzw. FIGAROS HOCHZEIT in italienischer Sprache als LE NOZZE DI FIGARO. Selbst außerordentlich schwierige Sprachen wie das Tschechische werden heute gesungen, wenn es sich um Opern wie Dvořaks RUSALKA oder um die Werke von Leoš Janáček handelt. Die Oper ist eine internationale Kunstgattung.

      Dies zeigt sich nicht zuletzt auch in der Vielfalt der Sprachen, die heute im Opernbetrieb gesprochen und gesungen werden. Italienisch, Französisch, Russisch und Englisch sind neben dem Deutschen die wichtigsten Sprachen, derer die Oper sich bedient. Das Tschechische tritt hauptsächlich bei Opern von Smetana, Dvořak und Janáček hinzu, im Randgebiet des spanischen Singspiels, der »Zarzuela«, kommt auch die spanische Sprache zur Erscheinung. Im Musicalbereich dominiert die englische Sprache.

      Dieses Szenario bedeutet für einen Opernsänger eine immense Herausforderung. Auch wenn er die genannten Sprachen nicht fließend sprechen kann, so muss er doch in der Lage sein, sie sich für eine jeweilige Rolle anzueignen. Es genügt aber nicht, eine Partie nur phonetisch zu lernen. Man muss die Bedeutung der Worte, der Sätze genau kennen und ein Gefühl für das jeweilige Wesen der fremden Sprache entwickeln. Manche Menschen verfügen über eine ausgesprochene Sprachenbegabung, sie können sich den Weg zu fremden Sprachen ohne allzu große Mühen ebnen, sie verwenden das jeweilige Idiom rasch und mit natürlicher Leichtigkeit. Andere hingegen haben damit allergrößte Probleme.

      Ich kenne den Fall eines deutschen, von mir hochverehrten, weltberühmten Sängers, der für eine wichtige Premiere in der Oper BORIS GODUNOW eine Partie übernehmen sollte. Viele Monate vor den Proben schon begann er das Studium. Er mühte sich mit der russischen Sprache über alle Maßen, war ganz verzweifelt, weil es ihm einfach nicht gelang, in diese Sprache einzudringen und über das Stadium der phonetischen Wiedergabe des Textes hinauszukommen. Es prägte sich ihm nichts ein, er fand keine hilfreichen assoziativen Anhaltspunkte, er fühlte sich ständig ohne Boden, weil er nur dem Gedächtnis nach die fremden Silben aneinanderreihte. Zwar hatte er die wörtliche Übersetzung natürlich studiert, aber in seinem Kopf bildete sich keine Bedeutungsstruktur und es stellte sich keine wirkliche Verbindung zwischen den phonetischen Silben und seinem Ausdruckswillen ein. Er wollte die Partie schließlich zurückgeben. Nur mit großer Überredungskunst und um die Premiere zu retten, ließ er sich darauf ein, die Partie dann doch zu singen. Er litt tausend Tode während der Vorstellungen. Nach der Premierenserie hat er diese Rolle, obwohl er sie großartig gesungen und dargestellt hatte, nie mehr angenommen. Das war vor vielen, vielen Jahren.

      Heute ist es für den Sängerberuf von großer Wichtigkeit, mit fremden Sprachen geschmeidig, selbstverständlich und wirkungsvoll umzugehen. Nicht ist es notwendig, diese Sprachen perfekt zu beherrschen. Verständigen sollte man sich in ihnen können und vor allem ihre verschiedenen Klänge und Farben aufnehmen und umsetzen können. Mehrsprachigkeit ist im heutigen Europa für alle jungen Menschen, nicht nur für angehende Opernsänger, eine zwingende Voraussetzung für einen anspruchsvollen Berufsweg geworden.

      Über einen leichten Umgang mit Fremdsprachen hinaus benötigt man für den Beruf des Opernsängers ganz allgemein eine rasche intellektuelle Auffassungsgabe. Denn ständig wechseln die Themen und Stoffe, in denen man sich bewegt, die man sich aneignen und lernen muss. Ständig stellen wechselnde, zum Teil extrem kontrastierende szenische Situationen den Sänger vor unerwartete Herausforderungen. Diese gilt es nicht nur sängerisch oder darstellungsmäßig zu bewältigen, man muss sie zuvörderst geistig rasch aufnehmen und verarbeiten können, um sie daraufhin auch wirkungsvoll und überzeugend umsetzen zu können. Das sogenannte »Regietheater«, das vor allem dem deutschen Opernbetrieb in den letzten Jahrzehnten, zugegeben bei nachlassender Intensität und schwindendem Anspruch, enorme geistige Impulse geschenkt hatte, stellt zumal solche Herausforderungen. Diese liegen hauptsächlich in einer Umsetzung von Denkfiguren, die Interpretationsschichten unterhalb der Oberfläche eines Librettos zum Vorschein bringen wollen. Da gilt es, als ausführender Künstler sich frei zu machen von herkömmlichen, gewohnten Vorstellungsmustern und sich einlassen zu können auf – meist nur auf den ersten Blick – ungewohnte Konfigurationen vertrauter Interpretationsverfahren. Dies setzt neben der Fähigkeit, sich von gewohnten und oft ausgetretenen Denk- und Vorstellungspfaden lösen zu können, auch voraus, verständig sich mit neuen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Verständig bedeutet, den Sinn rasch zu verstehen, der hinter ihnen liegt – oft scheint er nur dem ersten Blick verborgen. Man hat dem Regietheater, neben anderem, häufig vorgeworfen, zu intellektuell oder zu »kopfig« zu sein. Das darf man nicht verallgemeinern. Aber in der Tat setzt das Regietheater bei der Umsetzung von Stoffen ein Denken ein und voraus, das hoch assoziativ, zum Teil symbolisch oder chiffrenhaft, die vorgegebenen Operninhalte in andere, neue und zuweilen verblüffend überzeugende Zusammenhänge stellt, und seien es nur ungewohnte ästhetische. Anders als der Zuschauer muss der Opernsänger diese Denksichten sich zu eigen machen, muss sie durchdringen und verstehen, um sie durch seine Person auf der Bühne überzeugend darstellen zu können. Dazu gehört eine nicht gering zu achtende Intelligenz.

      Sich auf wechselnde, nicht


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