Traumberuf Opernsänger. Gerd Uecker

Traumberuf Opernsänger - Gerd Uecker


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ganz konkrete Einblicke vermitteln, wie sich die Arbeit an einem Opernhaus strukturiert. Vor allem die aufs Erste fast unüberschaubare Fülle der verschiedenen Berufsbilder, die an einem Opernhaus alle zusammenwirken müssen, um das Ergebnis zu erreichen, dass eine Opernaufführung stattfinden kann und besucht wird, kann eine Vorstellung von der Komplexität der Opernarbeit vermitteln.

      Um zu erfahren, wie die künstlerische Seite des Opernbetriebs sich darstellt, bietet es sich an, die Spielpläne verschiedener Häuser zu studieren, um damit das Repertoire2 kennenzulernen, das einen ja im wünschenswerten Fall einmal als Tagesaufgabe beschäftigen würde. Und man sollte versuchen, Künstler kennenzulernen, erst einmal als Zuschauer, dann über die Medien oder vielleicht bei Publikumsgesprächen im Opernhaus, nach Vorstellungen am Bühneneingang – all dies sind kleine Schritte, um sich kundig und erfahren zu machen, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, sodass ein gefühlsmäßig zutreffendes Vorstellungsbild vom Opernberuf entstehen kann. Auch bietet es sich an, einmal ein Schulferienpraktikum an einem Opernhaus zu machen und dabei auch persönliche Kontakte mit dem einen oder anderen Mitarbeiter herzustellen. Zusammen mit dem Gesangsunterricht wird sich auch die konkrete Kenntnis der Opernmusik von Jahr zu Jahr erweitern. Bei der Allverfügbarkeit von Ton- und Bildträgern auch im Opernbereich ist es mittlerweile ein Leichtes, sich zu günstigen Bedingungen Kenntnis von der Repertoirebreite dieser Musik zu verschaffen. Was davon an den Theatern und Opernhäusern aufgeführt wird, findet man auf den Homepages der verschiedenen Theater. Eine statistische Übersicht über all die Werke des Musiktheaters, die in einer Spielzeit an den deutschen Bühnen aufgeführt wurden, erhält man über den Deutschen Bühnenverein.3 Speziell in dessen Publikation »Wer spielte was?«, die für jede Spielzeit neu erscheint, findet man eine Aufstellung über die am häufigsten aufgeführten Werke an den deutschen Theatern. Auch im »Deutschen Bühnen-Jahrbuch«, das ebenfalls jährlich erscheint, ist die jeweils aktuellste Zusammenfassung aller Informationen über Opernhäuser, Orchester, Theater, Festspiele etc. nachzulesen.4 Es empfiehlt sich sehr, im Hinblick auf eine mögliche Berufswahl, die ja einmal lebensbestimmend werden wird, sich so viele Informationen über den Beruf zu verschaffen wie nur irgend möglich. Natürlich wird man im Vorfeld nie wirklich in Erfahrung bringen können, was es mit der Realität der Berufspraxis letztlich auf sich hat, aber man kann ein Gespür dafür entwickeln, ob man sich auf einem Weg befindet, der den persönlichen Vorstellungen, wie man sein Leben beruflich gestalten und leben möchte, entspricht oder nicht. Denn auch von einem Berufswunsch abzukommen und sich schließlich für etwas anderes zu entscheiden, lohnt die Mühe, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Dass diese Vorstellungen vom Beruf bei jungen Menschen zum Teil Wunschvorstellungen sein können, die mit der Realität nicht immer im Einklang stehen, ist das Vorrecht der Jugend. Denn Erfahrungen müssen selbst gemacht werden, man kann sie nicht delegieren (obwohl Eltern häufig zu dieser Meinung neigen), man kann sich aber durch Recherche besser auf die Wirklichkeit einstellen.

      Ein weiterer Gesichtspunkt sei an dieser Stelle noch hinzugefügt: Man muss für die Oper oder das Musiktheater ein gewisses Wertempfinden entwickelt haben, ein Gespür dafür und eine Überzeugung davon, dass man mit Kunstwerken umzugehen hat, die gegenüber anderen Dingen des Alltags etwas Besonderes darstellen und eine Wichtigkeit für den Sänger und sein Leben darstellen.

      Wir leben in einer Zeit, die in hohem Maß von Visualisierung geprägt ist. Bilder bestimmen unseren Alltag, unser Leben. Nie zuvor in der Geschichte wurden so viele Bilder produziert und mit ihnen Botschaften übermittelt wie in den letzten Jahrzehnten. Dabei sind die Botschaften der Werbe- und Konsummedien weniger informativer oder sachlicher Natur, sondern in erster Linie dienen sie einer emotionalen Sendung, und ihre Aufbereitung folgt konsequent den stets wechselnden ästhetischen Trends und Kanons. Die Bildpräsenz in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, forciert durch eine sich ständig steigernde Verfügbarkeit zeitgleicher Informationen, prägt unsere Zivilisation, unsere Kultur und unser Leben mehr, als wir es wahrhaben wollen. Vor allem die Bildkultur, und hier natürlich in erster Linie die Omnipräsenz der Fotografie, hat auch unser Menschenbild verändert bzw. unsere Vorstellung davon. Das Bild vom Menschen orientiert sich heute weitgehend an Idealtypen, die durch die Bildindustrie geschaffen werden. Mode und Medien geben vor, was für den Rest der Welt als schön, was als »in oder out«, was ästhetisch als erstrebenswert zu gelten hat. Ganze Industrien entstanden, um dem Menschen zu verheißen, auf welche Weise er diesen bildlichen Vorgaben sich annähern oder diese gar erreichen könnte. Natürlich vollzieht sich der Abgleich zwischen den schon fast ins Irreale entschwebenden Ästhetikentwürfen der Schönheitsindustrie und den sogenannten »normalen« Menschen nicht zu Hause vor dem Badezimmerspiegel. Vorzugsweise die Prominenz in den bunten Blättern, sei sie aus Sport, Mode, Medien, Film oder Politik, wird williges und sich anbiederndes Opfer für den täglichen Testlauf des Vergleichens, wer als Typ, als Figur, als Person oder als Milieusymbol noch auf der Top-Ten-Liste der neuesten Lifestyle-Skala anzutreffen sei.

      Auch vor der Künstlerprominenz im Musik- und Theaterbetrieb machte diese Entwicklung nicht halt. Auch hier bevölkern zunehmend die »Schönen« und »Attraktiven« die einschlägigen Publikationen und stehen im Fokus von Medienstrategien. Hatten in der Vergangenheit der Operngeschichte die Karikaturisten den »Operntenor« oder die »Operndiva« als sich durch eklatante Übergewichtigkeit und durch dürftige und klischeehafte Ausdrucksgestik auszeichnende Typen stilisiert, so hat sich in den letzten Jahrzehnten dieses Bild auf den Opernbühnen deutlich gewandelt. Auch hier orientiert sich der Besetzungstrend hin zum schönen, attraktiven und szenisch »glaubwürdigen« Sänger. Damit lassen sich manchmal auch Defizite des Gesangs kompensieren. Denn es ist eine bekannte Tatsache, dass der Mensch auch mit den Augen hört. Das beste Beispiel für die »schöne Sängerin« bietet in den letzten Jahren die großartige Sopranistin Anna Netrebko. Sie ist eine wunderbare Künstlerin und singt auch sehr schön. Aber dennoch gründet sich ihre Nachfrage mehr auf das einmalige Zusammenspiel ihrer körperlichen Schönheit mit ihrer Bereitschaft, sich aktiv medial vermarkten zu lassen, als ausschließlich auf ihre gesanglichen Leistungen.5 Denn es gab Vorstellungen mit ihr, in denen man sich fragte, woher die Irrationalität rühre, die Menschen in schiere Verzückung versetzt, obwohl sich auf der Bühne keineswegs exorbitante musikalische Ereignisse registrieren ließen. Den Inbegriff des Stars erfüllt Anna Netrebko auf ideale Weise, gerade weil die Bewunderung ihrer Person auch in ziemlich operfernen Kreisen – allerdings durch Marketingaktivitäten schon bis an die Grenze zur Peinlichkeit getrieben – sich eben nicht nur auf Kunst bezieht, sondern von einem zusätzlichen irrationalen, gleichwohl ästhetischen Aspekt körperlicher Schönheit getragen wird. Festzustellen bleibt, dass die auffallende Schönheit dieser Frau auf der Opernbühne zu einer Chiffre eines Paradigmenwechsels in der Opernästhetik geworden ist. Denn das visuelle Erscheinungsbild einer Opernsängerin bestimmte in den letzten zwanzig Jahren graduell mehr und mehr die Besetzungspraxis in den Opernhäusern mit und gewann an Bedeutung für eine allgemeine ästhetische Ausrichtung der Bühnenarbeit. Vor allem die konzeptionellen Intentionen der Regisseure haben wesentlich dazu beigetragen, den Typ der Opern-Heroine und die Karikatur des übergewichtigen Opernsängers früherer Zeiten zurückzudrängen.

      Die Kulturhistorikerin und Buchautorin Eva Gesine Baur hat in einem sehr informativen und witzigen Beitrag über übergewichtige Opernsängerinnen die These vertreten, die Oper suche heute ihre Glaubwürdigkeit darin, die Idealfiguren der Opernlibretti mit Sängerschönheiten à la Netrebko zu besetzen, wobei damit aber gleichzeitig die der Oper eigene Magie und ihre grundsätzliche Illusionsstruktur verloren gehen würden.6 Diese Meinung ist journalistisch und sicher zu kurz gegriffen. Zweifellos haben in der Vergangenheit die Oper und ihre Glaubwürdigkeit nicht darunter gelitten, wenn stark beleibte Opernsängerinnen, die zum Teil ihr jugendliches Alter nur noch auf Fotografien legitimieren konnten, junge, verführerische Frauen darstellen sollten. Es hätte aber der Oper auch in keinem Fall geschadet, wenn statt dieser reiferen Damen schlanke und attraktive, junge Schönheiten auf der Bühne gestanden hätten. Es handelt sich hier weniger um eine Glaubwürdigkeitskrise der Oper als um einen Wandel unserer visuellen ästhetischen Rezeptionserwartungen. Diese werden eben von Bereichen außerhalb der Oper in den Alltagsbereichen der Mode, der Kosmetik und des Lifestyle aufgebaut und beeinflussen indirekt alle anderen ästhetischen Werturteile, die wir vornehmen. Wie


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