Traumberuf Tänzer. Wibke Hartewig

Traumberuf Tänzer - Wibke Hartewig


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zur Weiterentwicklung des eigenen Stils aufgegriffen, mal prallen Techniken aufeinander: So vermischen sich etwa Jazz und Kampfsport, afrikanischer Tanz und Modern Dance, Kontaktimprovisation und Tango oder Breakdance und Ballett. Auch sind die Grenzen zu anderen Künsten durchlässig, und Improvisationstechniken aus den Bereichen Schauspiel und Physical Theatre, Gesang, Sprache usw. werden in den Tanz integriert.

      Wer heute Tänzer werden möchte, tut gut daran, verschiedene Techniken zu erproben und sich aus der Fülle der Möglichkeiten das auszusuchen, was zu seinen körperlichen Voraussetzungen, seinen Bewegungsvorlieben und ästhetischen Idealen passt. Denn jede Technik verlangt unterschiedliche Bewegungsqualitäten, die dem einen mehr, dem anderen weniger liegen: Fühle ich mich wohl, wenn ich möglichst lange in der Luft schwebe, oder ziehe ich meine Energie aus dem Boden, mag ich harte, gebrochene Bewegungen oder lieber weiche, ineinanderfließende?

      Darüber hinaus ist jede Art von Tanz in eine eigene ›Tanzkultur‹ eingebettet, mit der sich der angehende Tänzer identifizieren können sollte. Dazu gehören die jeweilige Ästhetik und das darin transportierte Körperbild, der musikalische Rahmen, das zugrunde liegende Konzept und dessen historische, gesellschaftliche und politische Dimensionen, aber auch das jeweilige Publikum und die entsprechenden Aufführungsorte. Den Zuschauer im Opernhaus, den Besucher des trendigen Clubs und das beim Battle mitfiebernde Break-Community-Mitglied trennen in vielerlei Hinsicht Welten.

      Ebenso vielfältig und individuell wie das weite Feld ›Tanz‹ sind auch Werdegang und Berufsalltag von Tänzern. Daher wäre es verfehlt, den einen ›richtigen‹, erfolgversprechenden Weg in den Beruf nachzeichnen zu wollen oder allgemeingültige Fakten eines ›typischen‹ Tänzeralltags aufzulisten. Um dennoch einen Eindruck von diesem Beruf zu vermitteln, werden im Folgenden fünf verschiedene Karrieren geschildert. Sie beruhen auf Gesprächen mit angehenden, aktiven und ehemaligen Tänzerinnen und Tänzern unterschiedlicher Sparten. Da gibt es zum einen die ehemalige Solotänzerin einer großen Ballettkompanie, die die Veränderung der klassischen Szene in den letzten Jahren hautnah erfährt; dann die Ballettschülerin, für die Tanz zwar alles bedeutet, die ihn aber aus guten Gründen trotzdem nicht zum Beruf macht. Es folgt die Erzählung eines Tänzers, der in zwei Welten zu Hause ist: Zunächst tanzte er in klassischen Kompanien, bevor er in die freie zeitgenössische Szene wechselte. Danach erhält eine Tanzstudentin das Wort, die nach langer Aufnahmeprüfungstournee mit ihrer zeitgenössischen Ausbildung in die freie, experimentelle Szene strebt, und schließlich der frisch engagierte Tänzer einer mittelgroßen, modernen Stadttheaterkompanie, der weiterhin auf der Suche nach dem passenden Weg ist. Die Beispiele sind repräsentativ, und es werden darin Merkmale des Tänzerdaseins angesprochen, die auch von anderen Gesprächspartnern dieses Buches erwähnt wurden. Sie geben Einblick in die unterschiedlichen Sparten, in denen der Großteil der Tänzer im deutschsprachigen Raum professionell unterwegs ist.

      »Ballett ist wie eine Religion für die, die es ernsthaft machen.« Dass Kunst eine zentrale Rolle in Maria-Helena Buckleys Leben spielt, wird ihr bereits in die Wiege gelegt: Beide Eltern sind Künstler und fördern die Talente ihres Kindes, wo sie können. Weil es ihr an Körperspannung fehlt, schickt der Vater sie zum Ballettunterricht in eine private Akademie um die Ecke mit bestem Ruf. Bald liebt sie das Tanzen, und mit neun Jahren ist es ihr dann schon ernst: Sie hat viel Ballett gesehen, sich von einer ehemaligen Tänzerin des New York City Ballet, bei der sie zwischenzeitlich trainiert hat, begeistern lassen und träumt davon, ebenfalls auf der Bühne zu stehen. Täglich nimmt sie Trainingsstunden und wechselt mit 14 an eine private Ballettschule, wo sie das Glück hat, von einer der großen Primaballerinen ihrer Zeit unterrichtet zu werden, die sich auch als wunderbare Lehrerin erweist.

      »Ich lebte in der Illusion der Wichtigkeit dessen, was ich machte, besonders als Kind: Ballett, das war das Heiligste und Schönste, was es auf der Welt gab. Das half auch über Probleme mit meinen Eltern und im Privatleben hinweg. Sogar als ich später am Theater schwierige Zeiten hatte: Die Liebe zum Tanz hat mir niemand nehmen können. Wenn alles schön war, dann war es wirklich schön. Dann gab es nichts, was ich damit vergleichen könnte. Es gibt nichts Schöneres als diesen Beruf.«

      Mit 16 trainiert sie in den Winterferien bei der Ballettkompanie der Oper mit und nimmt kurze Zeit später an der Audition für das Corps de Ballet teil – mit Erfolg. Zwar soll sie eigentlich das Abitur machen, doch der Unterricht lässt sich mit dem Engagement nicht vereinbaren, und Buckley bricht die Schule ab. Zwei Wochen nach Antritt steht sie bereits in Schwanensee auf der Bühne. »Als ich angefangen habe, war es viel, viel schöner als geträumt. Später kamen dann die Intrigen, Schmerzen und Eifersüchteleien dazu, die hatte ich so nicht erwartet. Man merkt es erst, wenn es einen selbst betrifft. Aber anfangs war alles ein Traum.«

      Für die jungen Eleven wird nachmittags ein Extratraining angeboten, in dem Buckley ganz akribisch Grundlagen lernt. Sie merkt schnell, dass ihre Technik noch nicht perfekt ist. Sie hat Angst vor den schwierigen technischen Stellen: Manchmal klappt es, manchmal nicht, erwartet wird aber, dass es immer 100-prozentig klappt. Zum Glück helfen ihr die Ballerinen der Kompanie bei der Verbesserung ihrer Technik und vervollständigen so ihre Ausbildung.

      Mit 18 wechselt sie an ein kleineres Stadttheater, nicht zuletzt weil ihre Hauptmentorin, ihr großes Vorbild, ebenfalls dorthin engagiert wird. Hier lernt sie ihre spätere beste Freundin, eine gleichaltrige Tänzerin, kennen. Allen Vorurteilen vom Konkurrenzkampf in der Ballettwelt zum Trotz gehen die beiden ihren weiteren Berufsweg zusammen, tanzen an den gleichen Häusern und werden etwa zeitgleich befördert; sie unterstützen sich mental – und teilen vor allem ihre Ballettbesessenheit. »Wir waren echte Ballettfanatiker. Die anderen haben uns schon fast belächelt dafür, dass wir uns den ganzen Tag ausschließlich mit Ballett beschäftigten. Abends haben wir Vorstellungen angeguckt, im Theater oder auf Video, und haben gemeinsam getanzt, geübt, viel Spaß gehabt.« Sie kaufen sich jedes Ballettbuch, später auch Bücher zur Anatomie und Physiologie und eignen sich so im Selbststudium Wissen an, mit dem sie bis zu diesem Zeitpunkt noch kaum in Berührung gekommen sind.

      Nach zweieinhalb Jahren wechseln beide an die Oper der Großstadt zurück, zunächst mit einem Gruppenvertrag. Es dauert drei weitere Jahre harter Arbeit, bis Buckley zur Solistin ernannt wird, ihre Freundin später sogar zur Ersten Solistin. »In den großen klassischen Kompanien muss man sich in der Hierarchie hocharbeiten. Das war mir immer klar. Deshalb war ich auch nicht wie viele meiner Kollegen geschockt, als ich bei meinem ersten Engagement in die Gruppe gesteckt wurde, obwohl ich doch vorher in der Ausbildung die ganzen Solo-Partien gelernt und meine Primaballerinenträume kultiviert hatte.«

      Buckley sieht ihren Solotänzerinnen-Status vor allem als Ergebnis jahrelanger Arbeit an, Dranbleiben und Sich-Durchbeißen ist ihre Devise, und dafür liefert ihr ihre Liebe zum Tanz die nötige Motivation. Außerdem entspricht sie körperlich dem Klischee der klassischen Tänzerin: langer Hals, hübscher Kopf, schöne Füße, Technik, Ausstrahlung. Und sie wird – wie viele ihrer Solo-Kollegen auch – innerhalb der Kompanie entdeckt und gefördert: von einem Gastchoreographen, der sie von Anfang an in seinen Stücken gut besetzt.

      Dass sie so viele Jahre bei einer Kompanie bleibt, hat sie nie geplant, lange denkt sie, dies sei nur ein Zwischenstopp. Sie tanzt beispielsweise am American Ballet Theatre vor und bekommt die Chance, dort anzufangen. Da sie zeitgleich ihren zukünftigen Mann in der alten Kompanie kennenlernt, entscheidet sie sich letztlich aus privaten Gründen dagegen. Im Nachhinein bedauert sie es etwas, dass sie mit 30 nicht noch einmal den Sprung gewagt hat und zu einem spannenden Choreographen in eine kleinere Kompanie gewechselt ist:

      »Ich war 20 Jahre auf der Bühne, mit Spitzenschuhen, Tutu und Krönchen, war glücklich, hatte eine sehr gute Position und sehr viel Glück. Aber wenn ich sehe, wie die Choreographen mit ihren Leuten arbeiten, vermisse ich das manchmal. In einer kleineren Kompanie zu arbeiten, nicht in dieser großen Hierarchie, und vielleicht individueller, wo es dann auch um mich geht, wo sich ein Choreograph mit mir beschäftigt und mir auch Freiheiten lässt. Hier haben die Gastchoreographen natürlich auch Stücke für die Kompanie gemacht, aber es gab immer schon ein Schema, in das man reinpassen musste. In einer kleineren Kompanie ist man plötzlich wichtig.«


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