Traumberuf Tänzer. Wibke Hartewig

Traumberuf Tänzer - Wibke Hartewig


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hat sich etwa das Corps de Ballet stark verjüngt; Jugend, hohe Beine und ein schöner Körper scheinen nun in stärkerem Maß ausschlaggebende Kriterien für ein Engagement zu sein. Für Buckley hat sich damit eine Kluft zwischen Gruppe und Solisten, dem ›Dekor‹ und den Rollen aufgetan. Früher bestand durch die Altersdurchmischung im Corps eine Hierarchie, welche die Gruppe zusammenhielt: Die Jüngeren konnten sich von den Älteren etwas abschauen, wurden von ihnen korrigiert und häufig auch getröstet. Das ist nun nicht mehr möglich; dafür ist der Tanz noch sportlicher, athletischer und virtuoser geworden. Außerdem bringen die Berufsanfänger mittlerweile andere Erwartungen mit: Sie möchten schneller etwas erreichen – durchaus verständlich, wenn umgekehrt von ihnen verlangt wird, dass sie als fertige Tänzer an die Bühnen kommen und ihnen auch als Eleven keine Zeit mehr eingeräumt wird, ihre Ausbildung durch Extratraining und allmähliches Sammeln von Bühnenerfahrung zu vervollständigen. Dadurch sei, so Buckleys Eindruck, der Respekt den Älteren gegenüber etwas verloren gegangen. Die Neuen werden in der Regel rascher mit Solopartien betraut, allerdings hoffen sie oft vergeblich auf eine Beförderung, da keine Zeit bleibt, jemanden wirklich aufzubauen. Auch das Rollenstudium findet weniger Raum: »Die Direktoren sehen irgendwo Talent, und auf die Bühne, fertig, los, die wird das schon irgendwann kapieren.«

      Der Abschied von der Bühne beginnt für Maria-Helena Buckley schleichend, eine lange Phase des Abbaus. »Plötzlich bekam ich nicht mehr so viele und gute Rollen, obwohl sich bei mir leistungsmäßig nichts verändert hatte. Ich hatte immer geglaubt, dass es reicht, sein Bestes zu geben, gut zu sein. Man muss aber auch politisch korrekt sein, das heißt, viel Zeit vor der Ballettdirektion verbringen und immer wieder nachfragen.« Buckley muss damit zurechtkommen, dass andere ihre Rollen übernehmen, dass sie mit ihren 33 Jahren plötzlich als alt abgestempelt wird, obwohl sie das Gefühl hat, künstlerisch erst richtig in Fahrt zu kommen. »Vorher war alles so anstrengend. Jetzt weiß ich, warum ich das mache, und jetzt darf ich nicht mehr.« Da man nach 15 Jahren Festengagement am selben Haus unkündbar wird und bis zur Rente in einer anderen Position weiterbeschäftigt werden muss, bekommen die meisten Tänzer kurz vorher ihr Kündigungsschreiben – so auch Buckley. Doch darf das laut Gesetz niemals der offizielle Grund der Kündigung sein. »Sie dürfen nicht sagen, warum jemand wirklich gehen muss, also erfinden sie ihre Gründe. Das ganze Negative, das nagt am Selbstbewusstsein. Man zweifelt viel an sich, man muss trotzdem den Mut haben, auf die Bühne zu gehen, aber man wird immer unsicherer.«

      Für Buckley ist es eine riesige Enttäuschung zu erleben, wie respektlos die Ballettdirektion sie behandelt. »Du gibst alles, deine Seele, und dann wird dir einfach in einem Brief gesagt: Tschüss, alles Gute für Ihre Zukunft. Kein Gespräch mit dem Intendanten. Man ist nicht darauf vorbereitet, dass man ohne Probleme ersetzbar ist. Es zählt überhaupt nicht, was du geleistet hast. Das ist sehr, sehr schwer.«

      Es dauert eine Weile, bis der Schmerz nachlässt. »Man muss sehr aufpassen, dass man nicht verbittert wird. Ich bin froh, dass ich den Leuten von der Direktion mittlerweile wieder normal begegnen kann. Aber das hat eine Zeit gedauert.«

      Als Tänzerin sieht Buckley für sich keine Alternativen. Sie will keine halben Sachen machen und hört von einem Tag auf den anderen mit dem Tanzen komplett auf – was dazu führt, dass sich alle alten Verletzungen bemerkbar machen und sie unter starken Schmerzen leidet. Zum Glück hat sie noch während ihrer aktiven Tanzzeit die Kamera entdeckt, die ihr, wie sie im Rückblick sagt, vielleicht das Leben gerettet hat. Heute, zwei Jahre nach Ende ihrer Bühnenkarriere, ist Maria-Helena Buckley in einem neuen Beruf angekommen, in dem sie ihrer großen Leidenschaft Ballett weiterhin treu bleiben kann: als selbstständige Tanzfotografin.

      »Die Traumwelt, in der ich damals gelebt habe, hat sich verändert, aber es war ein Traum, ein guter Traum von mir, der zwischendurch auch Alpträume beinhaltete. Das Aufwachen war sehr schmerzhaft, aber es hat mir auch etwas Neues gegeben. Jetzt wo ich draußen bin, kann ich sagen, dass man in dieser Traumwelt auch sehr geschützt ist – trotz aller Probleme und Dramen. Allein in der freien Szene mit drei Berufen, das ist schon eine ganz andere Geschichte.«

      Zuerst ist es der Gruppendruck im Kindergarten, der dafür sorgt, dass die vierjährige Alexandra Marschner »auch so ein Tutu« will. Nach einem Jahr Kinderballett hat sie fürs Erste genug. Das nächste Mal ist es ihre Freundin, die sie mit acht zu einem Ballettkurs beim Turnerbund mitnimmt. Hier fängt Marschner Feuer. Zwischen acht und dreizehn trainiert sie bereits zweimal die Woche. Der Tanzsaal wird ihre Welt, ihr zweites Zuhause.

      »Spätestens mit zwölf habe ich aus dem Ballett-Unterricht-Besuchen etwas gemacht, was mit Meditation zu tun hat. Ich wusste damals den Namen nicht, aber dieses ganze Rituelle. Man hatte die und die Stulpen, und man musste das und das Körbchen bereithalten. Allein die Fahrt dahin. Und diese Musik. Die habe ich mir sogar zum Einschlafen angehört. Das hat mich beruhigt, das habe ich einfach gerne gehört. Es hat eine große Rolle gespielt, dass das Tanzen feste Strukturen geschaffen hat. Beim Ballett gab es auch Stress, aber guten.«

      Marschner lebt ihren Bewegungsdrang aus, ist ehrgeizig, erweist sich als begabt und bringt es so weit, dass sie mit 13 Jahren mit dem Spitzentanz beginnen darf. Sie liebt die Momente, in denen sie ihren Körper vollkommen beherrscht, in denen sie an ihre Grenzen gehen und über sich hinauswachsen kann. Rückblickend und um einige Erfahrungen in anderen Bewegungskünsten reicher, ist sie sich sicher: »Es war auch die Radikalität, die ich brauchte. Also Kampfsport oder Ballett. Bei etwas anderem schlafe ich ja ein.«

      Im folgenden Jahr kugelt sie sich im Training zweimal das Knie aus. Nach dem zweiten Mal geht sie zum Orthopäden, der feststellt, dass die Ränder der Gelenkpfanne zu flach sind. Ihre Mutter bekommt zu hören: Wenn das meine Tochter wäre, würde ich sie nicht mehr ins Ballett lassen. Marschners Mutter überlässt ihrem Kind die Entscheidung: »Du sollst das machen, was du möchtest.«

      Alexandra Marschners Vertrauen in ihre Fähigkeiten ist erschüttert. Ihr ist klar, dass der Knieunfall jederzeit wieder passieren und es so mit dem ernsthaften Tanzen nichts werden kann. Vonseiten ihrer Ballettlehrer bekommt sie keine Hilfe angeboten. Sie will dem Schicksal ein Schnippchen schlagen und wechselt mit 14 an eine private Ballettschule, die ihr professioneller erscheint, weil sie streng dem Lehrplan der Royal Academy of Dance folgt. ›Wenn ich wechsle‹, so versucht sie sich zu beruhigen, ›passiert das mit dem Knie nicht mehr.‹

      Aber die Schule wird für sie zur großen Enttäuschung: Zwar kann sie sich die Grundlagen noch einmal ganz von vorne erarbeiten, doch variieren die Übungen an der Stange bis zur nächsten Prüfung nie, und sie kommt kaum zum Tanzen. Nach einem Jahr ist ihr die Lust am Ballett vergangen. Sie hört vorerst komplett auf.

      Stattdessen beginnt sie zu schwimmen und geht ins Fitnessstudio. Dort steht eines Tages plötzlich »diese traumhafte Tänzerin« vor ihr, in die sie sich »auf einen Schlag verliebt«. Und die gibt nebenan Ballettkurse. Ein Jahr nachdem sie mit dem Tanzen aufgehört hat, ist Marschner wieder dabei, besucht die Kurse der Tänzerin und nimmt zusätzlich Stunden in einer zweiten Ballettschule, sodass sie fünfmal die Woche zwischen einer und drei Stunden trainieren kann. Zusammen mit ihrer Lehrerin gründet sie außerdem eine Barocktanzgruppe, mit der sie am Wochenende viele Auftritte absolviert. »Zwischen 16 und 19 war meine Lehrerin meine Welt. Ballett war immer so persönlich, dass ich das kaum von mir oder von ihr trennen konnte.«

      In dieser Zeit formt sich ihr Berufswunsch: »Der Moment, als mir sonnenklar aufging, dass das Tanzen mein Beruf sein muss, war mit 16 beim Schlafengehen, ganz am Anfang der wirklich intensiven Phase des wirklich guten Trainings. Ich lag wach und wusste plötzlich: ›Ich will das machen, immer.‹ Mir war damals schon klar, in dieser ersten Nacht, dass es zu spät war. Es war wie ein Kometeneinschlag: Jetzt! – und doch auch wieder nicht. Du musst eigentlich mit 16 schon im Corps de Ballet sein oder Tanz Vollzeit an einer staatlichen Akademie studieren, und wenn irgendwelche körperlichen Geschichten vorliegen oder du zu dick bist – vergiss es. Ich hatte trotzdem noch die geheimen Hoffnungen, und damit kann man sich wunderbar belügen. Also habe ich mich voll reingegeben, habe nur noch dafür gelebt. Und wusste gleichzeitig, dass es nicht reicht, um daraus einen Beruf zu machen.«

      Drei


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