Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart

Reisen unter Osmanen und Griechen - David Urquhart


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von Recht und Gesetz uneinig sind. Die Idee des Despotismus, oder die Verfälschung des Rechtes durch die Gewalttat der Macht, kann nur da existieren, wo zwei Meinungen über Recht und Unrecht vorhanden sind, so dass eine schwankende und zufällige Mehrheit ihren Willen als die Richtschnur von Gerechtigkeit und Gesetz durchsetzt. Solch ein Zustand der Dinge hat Gefühle tiefer Erbitterung unter den Menschen erzeugt und entwickelt, und daraus entsteht folgerichtig eine Erbitterung des Ausdrucks in allen mit der Politik verknüpften Ideen. In Ländern aber, wo die Grundsätze der Regierung niemals im Widerspruch standen mit den Meinungen irgendeiner Volksklasse, ist der Missbrauch der Gewalt Tyrannei, aber nicht Despotismus. Die Menschen mögen dulden unter der Gewalttat der Macht, aber sie werden nicht erbittert dadurch, dass Ansichten, die sie verwerfen, in Gesetze verwandelt werden.

      Zu den allen Europäern gemeinsamen Quellen der Täuschung kommen noch die, welche aus den Sekten- und Partei-Ansichten der Reisenden entspringen. Jeder Engländer gehört zu der einen oder der anderen der politischen Parteien, die sein Vaterland zerspalten. Unfähig, eine unparteiische Ansicht von seinem Vaterland zu fassen, wie kann er der Beurteiler eines anderen Landes sein? Selbst seine Sprache ist unanwendbar auf den Gegenstand, und die Worte rufen die Antipathie seiner Parteilichkeit hervor. Der Liberale nennt die Türkei eine despotische Regierung, verwirft sie schon durch dies Wort und forscht nicht weiter; der Tory erblickt in der Türkei volkstümliche Grundsätze und sieht nicht weiter hin; der Radikale sieht dort Grundsätze, die er für aristokratische hält, und der Begünstiger der Aristokratie verachtet die Türkei, weil es dort keine erbliche Aristokratie gibt; der Konstitutionelle hält ein Land ohne Parlament nicht der Mühe wert, weiter daran zu denken; den Legitimisten verdrießen die dort der königlichen Gewalt gesteckten Grenzen; der Staatsökonom stösst auf ein Steuersystem, das er inquisitorisch nennt, und der Verteidiger des „Schutzes der Industrie“ kann ohne Zollhaus keinen Wohlstand, keine Zivilisation sehen. So findet das Mitglied jeder Partei, der Bekenner jeder Klasse von Meinungen in den Worten, die er zu gebrauchen gezwungen ist, dasjenige, was seine Grundsätze verletzt und seine Theorie umstürzt.

      Die zunächst sich darbietenden Hindernisse sind von gesellschaftlicher Art. Täuschungen metaphysischer, logischer und politischer Beschaffenheit missleiten unsere Vernunft; Irrtümer über Sitten empören unser Gefühl. Wir werden im Orient als Verstossene, als Verworfene behandelt. Wir forschen nicht nach der Ursache; wir erwerben uns nicht die Kenntnis, wodurch unsere Stellung verändert werden kann; wir sind folglich geneigt, wo möglich ungünstig zu schliessen, und sind entweder von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen, oder, wen wir darin zugelassen werden, leiden wir unter unaufhörlicher Geistesverstimmung.

      Die nächste und letzte Quelle des Irrtums, deren ich gedenken will, ist die Religion. Im Widerspruch mit der Liturgie der englischen Kirche sehen wir die Muselmänner als Ungläubige an, und im Geist unseres Zeitalters und Vaterlandes, der nicht weniger fanatisch in der Religion als im Unglauben ist, nicht weniger unduldsam im Glauben als in der Politik, behandeln wir als Feinde unserer Religion diejenigen, welche die Evangelien als ihr Glaubensbekenntnis annehmen und setzen bei ihnen dieselbe Unduldsamkeit gegen uns voraus, deren wir uns gegen sie schuldig machen.

      Als ich dieses Werk unternahm, war einer meiner Hauptzwecke, das Wesen des Islam darzulegen, sowohl in der Glaubenslehre, als auch der Ausübung. Umstände aber, die zu erörtern unnütz sein würde, haben mir die nötige Muße genommen, die Frage gehörigermassen zu behandeln. Ich muss sie daher für den Augenblick fallen lassen, und will nur bemerken, dass ich als Presbyterianer und Calvinist den Islam in seiner Glaubenslehre der wahren Kirche näher halte3 als manche Sekten sich so nennender Christen. Der Muselmann gibt nämlich die Rechtfertigung durch den Glauben zu und nicht durch gute Werke; er erkennt die Evangelien als geoffenbarte Schriften und als Glaubensregel; er betrachtet Christus als den Geist Gottes, als ohne Erbsünde, und bestimmt, wenn die Zeit erfüllt ist, zu schaffen, dass „Ein Hirte sei und Eine Herde.“4

      Der gesellschaftliche und politische Einfluss des Islamismus ist völlig missverstanden worden, und ich erlaube mir nur einige Bemerkungen über das ausschliesslich weltliche und zeitliche Wesen des Islamismus, um eine andere Quelle des Irrtums in unserer Beurteilung des Orients zu erörtern.

      Im Orient hat das Wort Religion nicht dieselbe Bedeutung wie in Europa. Bei uns ist Religion - Glaube und Lehre -ganz verschieden von polizeilichen Massregeln und Regierungsformen. Zur Zeit der Erhebung des Islamismus stellte der Kampf der Religionen den Meinungskampf des Westens in jetziger Zeit dar, wenn gleich mit edleren und nützlicheren Charakterzügen. Unser Meinungskampf bezieht sich auf Regierungsformen; ihr Religionskampf bezog sich auf Regierungsmassregeln. Der Grieche (seinem Glauben und System gemäß) hielt schwere Steuern, Monopole und Privilegien aufrecht. Der Muselmann (Araber und Anhänger Mohammeds) verwarf Monopole und Privilegien und erkannte nur eine einzige Vermögenssteuer an. Tuleihah, ein Nebenbuhler des Propheten, gewann verschiedene Stämme, indem er das Gesetz gegen die Zinsen wegstrich und verschiedene zivilrechtliche Vorschriften abänderte. Mosseylemah5, der größte Nebenbuhler Mohammeds, hatte ein Gesetzbuch aufgestellt, das so wenig von dem seines siegreichen Mitbewerbers abwich, dass nur örtliche und persönliche Zufälle Einfluss hatten auf den „Kampf, der entscheiden sollte, ob dieLehrsätze Mohammeds oder das Gesetzbuch Mosseylemahs der morgenländischen Welt Gesetze geben sollten.“ Er hatte nur die Grundsätze abgeschrieben von wohlfeiler Regierung, gleichem Gesetz und freiem Handel, deren Mohammed sich als der Hebel bemächtigte, die bestehende Ordnung der Dinge umzustürzen und eine neue einzuführen, die er, den Ideen seines Zeitalters und seines Vaterlandes nachgehend, mit religiösen Glaubenslehren verband, das Bestehende verbessernd und das Ganze bildend, das als Religion ausdauerte, ohne seine politischen Züge zu verlieren, und das als politisches System triumphierte, ohne seinen Charakter der Gottesverehrung abzulegen.

      Nach langer und sorgfältiger Erwägung, während deren ich mich mehr auf lebendige Eindrücke als auf kalte Erzählungen der Vergangenheit verließ, und wobei ich den Vorteil hatte, die Ursachen und Wirkungen neuerlicher Annahme des Islams durch christliche und heidnische Bevölkerungen ansehen zu können, bin ich zu der folgenden Beurteilung des politischen Charakters des Islams gelangt.

      Als Religion lehrt er keine neuen Dogmen, stellt keine neue Offenbarung, keine neuen Vorschriften auf, hat keine Priesterschaft und keine Kirchenregierung. Er gibt dem Volke ein Gesetzbuch, dem Staat eine Verfassung, beide durch die Heiligung der Religion verstärkt. In seinem religiösen Charakter ist er andächtig, nicht dogmatisch. In seinem zivilrechtlichen Charakter ist er so einfach, umfassend und gedrängt, dass das Gesetz durch die moralische Verpflichtung unterstützt wird. In seinem politischen Charakter beschränkt er die Besteuerung, stellt die Menschen vor dem Gesetz gleich, heiligt die Grundsätze der Selbstregierung (wie in Amerika) und die örtliche Kontrolle der Rechnungen. Er setzt eine Kontrolle über die souveräne Gewalt fest, indem er die ausübende Macht der Macht des Gesetzes unterordnet6,

      die auf die religiöse Sanktion und auf moralische Verpflichtungen gegründet ist.

      Die Vortrefflichkeit und Wirksamkeit jedes dieser Grundsätze, von denen jeder einzelne schon im Stande wäre, seinen Begründer unsterblich zu mache, gibt dem übrigen Wert, und alle drei zusammen gaben dem von ihnen gebildeten System eine Kraft, welche die jedes anderen politischen Systems übertraf. Während eines Menschenlebens verbreitete sich dieses System, obgleich in den Händen einer wilden, unwissenden und unbedeutenden Völkerschaft, über einen grösseren Raum als das römische Weltreich. So lange es seinen ursprünglichen Charakter behielt, war es unwiderstehlich, und seine ausdehnende Kraft wurde erst gehemmt, als (um das Jahr 30 der Hedschra) eine Lüge in seine Jahrbücher aufgenommen wurde.7

      So wurden ein Glaube, ein Gesetzbuch und eine Verfassung in einen umfassenden Plan vereinigt, in welchem der Altardienst, die Dorfverwaltung, die Steuererhebung Ehrendienste waren, nicht besoldete Stellen, und wo keine Klasse oder Korporation eine Stelle mit Interessen einnahm, die im Widerspruch ständen mit denen der Gemeinde. Die Erhabenheit der Gottesverehrung, die Einfachheit des Gesetzbuches, die Trefflichkeit des Finanzsystems, die Freisinnigkeit der politischen Lehren, schienen den Islamismus mit den Mitteln zu begaben, zugleich die Einbildungskraft anzufeuern, die Vernunft für sich zu gewinnen, allen Bedürfnissen zu genügen, jeden Zweck, für den die Gesellschaft errichtet ist, zu erfüllen und von jeder denkbaren Seite her dem Menschen beizukommen.


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