Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart

Reisen unter Osmanen und Griechen - David Urquhart


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im Wege stehen, um eine genaue Würdigung des Orients vorzunehmen, muss ich bemerken, dass diese Schwierigkeiten einzig und allein in eines Europäers vorgefassten Meinungen liegen. Lasst einen Europäer von mächtigem aber einfachem Geist nach dem Morgenland gehen, und der Schlüssel zur Einsicht steht ihm sofort zu Gebot. Als Beweis dieser Behauptung darf ich nur auf Lady Mary Wortley Montague8 verweisen, die sich nicht länger als vierzehn Monat an der Türkei aufhielt und doch fast jeden Zug der Gesellschaft in jenem Lande genau beobachtete und getreu malte. Während sie die einzige von allen Europäern war, welche richtig urteilte, ist sie auch die einzige gewesen, die oder der jemals dort Einfluss und Achtung erwarb. Die Ursache dieser ausserordentlichen Erscheinung finde ich darin, dass sie von der ersten Stunde an, wo sie das Land betrat, in einem türkischen Haus ihre Wohnung nahm, wodurch sie mit einem Mal dem schädlichen Einfluss fränkischer Einwohner und Dolmetscher entzogen wurde, während sie zugleich als Frau in die Fallstricke des politischen Lebens sich nicht verwickelte und nicht in die Irrtümer der Staatsgelehrten verfiel.

      Ich kann es nicht unterlassen, hier Herrn Lane’s Werk über Ägypten zu erwähnen9, der einzigen Beschreibung orientalischer Sitten in europäischer Sprache. Ich finde dieses Werk ganz vorzüglich geeignet, unsere Stellung im Orient zu verbessern, weil es jetzt einem Reisenden unmöglich ist dahin zu gehen, ohne zugleich zu wissen, dass dort ein anderes Gesetzbuch der Sitten und der Höflichkeit gilt, das er studieren muss, wenn er es unternimmt, das Volk zu kennen oder zu beurteilen.

      In Bezug auf vorliegende Bände habe ich nur noch zu sagen, dass ich denke, sie werden wenigstens die Untersuchung und Besprechung des Gegenstandes fördern. Die Grundlage ist ein fünfmonatlicher Ausflug in die europäische Türkei. Die damals aufgenommenen spärlichen Noten habe ich ausgearbeitet, während ich unter Türken und an den Ufern des Bosporus lebte. Die Arbeit diente indessen mehr zur Zerstreuung als zur Beschäftigung, während ich körperlich und geistig ernsthaft litt, und den peinlichen Eindrücken preisgegeben war, denen nämlich, dass ich die besten Interessen meines Vaterlandes aufgeopfert und die erhaltenden Grundsätze der türkischen Regierung und Gesellschaft untergraben sehen musste, weniger durch fremden und feindlichen Einfluss, als durch eine unselige Nachahmung abendländischer Sitten, Vorurteile und Grundsätze.

      1Hier eine Methode der historischen Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts (Red.).

      3So war auch die Meinung der Gottesgelehrten zur Zeit der Reformation.

      4Ev. Joh. 10, 16 (Red.).

      5Beide hier genannten Personen, nämlich die aus Südarabien stammenden Tuleiha ibn Choveiled sowie Moseilana, genossen wie Mohammed das Ansehen, die wahren Propheten Arabiens zu sein.

      6So wurde die Armenversorgung, obgleich eine feste Summe, 2 1/2 Prozent vom Einkommen jedes Mannes von hinreichenden Mitteln, der eigenen Verteilung eines jeden überlassen. Daher der Grundstein des muselmanischen Charakters; daher die Gastfreundschaft und das Wohlwollen zwischen Nachbarn und Nebenmenschen.

      7Urquhart spielt hier auf die Regentschaft Uthmans ibn Affan (644-656), des dritten Kalifen, an, in dessen Herrschaftszeit die konfessionelle Spaltung des Islam einsetzte (Red.).

      8Ihr Ehemann war von 1716-1718 britischer Gesandter in Konstantinopel. (Red.)

      9Edward William Lane, ein britischer Afrikareisender (1801-1876), hielt sich von 1825 bis 1828 in Ägypten auf (Red.).

      URQUHART’S REISEN

      IM ORIENT.

      Reisen und Länderbeschreibungen.

      XVII. (Urquhart’s Tagebuch)

      ERSTES KAPITEL

      REISEZWECKE - ABREISE VON ARGOS - BESCHWERDEN UND FREUDEN EINER REISE IM ORIENT

      Am Anfang des Jahres 1830 war ich in Argos auf der Rückreise von Konstantinopel nach England, nachdem ich fast drei Jahre in Griechenland und der Türkei zugebracht hatte. Ich war gerade im Begriffe mich einzuschiffen und einem Land Lebewohl zu sagen, in dessen Geschick ich tief verflochten gewesen, das aber jetzt sein gewissermaßen dramatisches Ansehen und Interesse verloren hatte und in Frieden und Ehren unter die schützenden Fittiche der drei grössten Mächte auf Erden gestellt war. Gerade in diesem Augenblicke berührte ein Fahrzeug, ein königliches Schiff, die Landesküsten und brachte ein Protokoll mit, das mit wahrhafter Zaubermacht augenblicklich alle in Zwietracht versetzte. Es wäre wahrlich eine hübsche Aufgabe, zu schildern wie die Leute kamen und gingen und redeten und ratschlagten, wie die Fustanellen1 flatterten und rauschten, wie die Schnurrbärte gedreht wurden. So war es in Argos, aber überall war die Wirkung dieser Neuigkeit nicht weiter merkwürdig. Von Tage zu Tage trafen Nachrichten ein aus einer Provinz, aus einer Stadt nach der anderen; überall, wie in Argos, waren alle anderen Gedanken und Beschäftigungen bei Seite gelegt; überall verließ das Volk seine Läden und Häuser, und in Ermangelung einer Agora (Marktplatz) zum Ratschlagen versammelte man sich in den verschiedenen Kaffenien2 oder Kaffeehäusern, und dort entstanden Kampfplätze heissen Streites und Schulen der kräftigsten Beredsamkeit.

      Man kann sich leicht denken, wie unterhaltend dies alles für Reisende war; aber es war auch wirklich sinnverwirrend, wie ein Stück Papier mit drei Unterschriften ein ganzes Land in einen solchen Zustand der Aufregung versetzen konnte. Die Schwierigkeit, uns die vor unseren Augen vorgehenden sonderbaren Auftritte zu erklären, wurde dadurch noch grösser, dass eben jenes Aktenstück mit gegenseitigen Glückwünschen schloss, welche die Unterzeichnenden sich selbst darbrachten. Hatten sie doch gemeinsam das vorliegende Protokoll abgefasst, das für Griechenland eine neue und herrliche Ordnung der Dinge einführen sollte; verstummen sollte nun alsbald das Geräusch der Waffen und die Stimme der Parteiung, und fortan und für immer sollten die Griechen ihre Herzen und Harfen nur zu Preis und Ehren der Tripel-Allianz stimmen.

      Es war aber klar, mit Worten liess sich das nicht abmachen; wir konnten zu keinem befriedigenden Ende gelangen, weil Männer von gleichen Fähigkeiten und gleicher Sachkenntnis Ansichten hegten, die einander schnurstracks entgegen liefen. Jedenfalls waren alle Parteien darüber einig, dass die Selbstglückwünsche des Protokolls voreilig waren, und auf diesen Punkt berief man sich beständig, um den Grad der Unkunde in der Londoner Konferenz zu beweisen, eine Unkunde, von der man behauptete, sie könne nur aus absichtlich falschen Vorstellungen entstehen, die von Griechenland ausgingen.

      Während diese Gegenstände in Argos besprochen wurden, trafen Nachrichten ein, die Sulioten3 in Albanien ständen wieder unter den Waffen; dann, die Albanesen wären aufgestanden. Einige sagten, sie hätten obendrein beschlossen, sich dem unheilbringenden Protokoll zu widersetzen; andere, sie rüsteten sich zu einem allgemeinen Einfall in Griechenland; die allgemein überwiegende Meinung aber ging dahin, ein großer Bund der christlichen und muselmännischen Albanesen unter Anführung des fürchterlichen Pascha von Skodra4 rüste sich, den Krieg nach Mazedonien und Thrakien zu versetzen und, Mustafa Bairaktar5 nachahmend, das illyrische Banner auf die Höhen zu pflanzen, welche die Kaiserstadt beherrschen.

      So traf denn das Protokoll, das Griechenland abermals auf ein stürmisches Meer schleuderte, mit den Bewegungen in Albanien zusammen, welche das Dasein der Pforte selbst gefährdeten und so möglicherweise das bestehende Gebäude europäischer Macht zu zerschmettern drohten. Dieses Zusammentreffen aber bewog mich, meine Rückkehr nach England zu verschieben, um mich, soweit es die Kenntnis von den streitigen Punkten vermochte, zum Meister der Angelegenheiten zu machen. Ich beschloss, das Festland von Griechenland und das streitige Grenzland zu besuchen. Ich fühlte, dass meine Teilnahme an Griechenland so wie die Bekanntschaft mit diesem Lande daraus entsprang, dass ich teilgenommen hatte an seinem Kampf, und deshalb beschloss ich den Versuch, gleicherweise Albanien kennen zu lernen, und mich dem ersten Lager, dem ersten Anführer anzuschließen, die der Zufall mir in den Weg führen würde.

      Am 7. Mai 1830 reiste ich von Argos ab, in Gesellschaft des Herrn Ross aus Bladensburg6, doch waren wir in Folge des allgemeinen Gerüchts genötigt, unser eigentliches Ziel zu verschweigen. Hätten unsere Freunde ahnen können, dass wir beabsichtigten, die wilden Arnauten zu besuchen,


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