Reisen unter Osmanen und Griechen. David Urquhart
denke mir, die Sachen haben sich jetzt geändert, natürlich zu viel Besserem; allein zu der Zeit, von der ich schreibe, als Griechenland noch leichtherzig und jung war, damals wurde es einem Menschen schwer, seine Absicht zu verbergen. Bei jeder Biegung des Weges, an jeder Gassenecke, überall auf der Landstrasse wurde man alle Augenblicke aufgehalten, um eine ganze Reihe von Fragen zu erdulden. „Woher kommen Sie?“, „Wohin gehen Sie?“, „Was ist Ihr Geschäft?“, „Wie befinden Sie sich?“, „Wo ist Ihr verehrungswürdiges Vaterhaus?“, „Welcher von den großen Verbündeten hat die Ehre, Sie zu den Seinen zu zählen?“, „Was gibt’s Neues?“7 - und das alles wohlverstanden, zwischen völlig Fremden. Begegneten sich aber Freunde oder Bekannte, traf es sich gar, dass einer oder der andere zum Frauengeschlechte gehörte, dann begann mit den verdoppelten S-Lauten der griechischen Fragen ein Gezisch, das man für eine Zwiesprache zwischen Riesenschlangen hätte halten sollen. Nach dem Stand, der Gesundheit, der Stimmung, nach allem wurde einzeln gefragt, und dann folgten ähnliche Fragen in Betreff all und jedes bekannten Angehörigen, jedes Pferdes und Hundes. Zur schuldigen Danksagung musste man dann auch in den herkömmlichen Komplimenten für jeden antworten, der auf diese Weise beehrt wurde, zum Beispiel: „Wie befindet sich Ihr Herr Vater, der verehrungswürdige Archon?“ „Er lässt Sie schönstens grüßen.“ - „Wie befindet sich Ihr Herr Bruder, der achtungswerte Bürger?“ „Er küsst Ihre Augen.“ - „Wie befindet sich der hoffnungsvolle Sprössling, Ihr Sohn?“ „Er küsst Ihre Hand.“ Und von einem Dutzend Personenwird jeder sein Recht ausüben, einzeln den Reisenden zum Antworten zu bringen und jeder wird durchaus dieselben Fragen stellen, die er schon oben hat tun und beantworten gehört.
Während meiner früheren Wanderungen in Griechenland war ich wirklich nervös angegriffen von dieser Plage, die um so widerlicher wird, wenn man gerade aus der Türkei kommt, wo jede persönliche Frage, die nur irgend nach Neugierde schmeckt, dem Nationalgefühle und den Bräuchen völlig zuwider ist. Am Ende kam ich auf einen Einfall, der die Neugierde erstickte. Ich erzählte nämlich den Leuten, ich käme von Konstantinopel und ginge nach Jannena8 - eine so seltsame Erklärung machte allen ferneren Redensarten ein Ende. Jetzt aber, wo ich wirklich von Konstantinopel nach Jannena ging, musste ich auf die Vorteile des Eingeständnisses verzichten und unterwarf mich dem Hin- und Herfragen mit der Geduld, die sich mit den Jahren einstellt - und dies noch früher auf Reisen.
Wir waren also genötigt zu einer Pilgerfahrt nach den seit langer Zeit von den Fussstapfen hyperboreischer Wanderer unberührten Türmen und Gräbern der Helden, die sich von nah und fern an Aulis Küste versammelten und dem „Könige der Männer“ Treue schworen. Nicht besser konnten wir daher unsere Pilgerfahrt antreten, als indem wir unsere Andacht verrichteten bei dem Grab des großen Agamemnon und mit ehrfürchtigen Schritten die altersgrauen Trümmer von Mykenai durchwanderten, dieser Nebenbuhlerin Trojas. Diese Ruinen liegen nur wenige Meilen9 von Argos, und dort beschlossen wir, die erste Nacht zu bleiben. Unser Zelt - ich sage mit einer Art von Stolz, dass es ganz frei von eigener Hausarbeit war - hatten wir schon am Morgen mit Dienern und Packpferden vorausgeschickt. Erst nachdem die abendlichen Schatten begannen in der Ebene länger zu werden, verließen wir die zerstreuten Gässchen von Argos und schieden von seinen gastfreien Einwohnern. Wir kamen an dem schroffen und seltsam gestalteten Felsen vorbei, auf dessen Gipfel die alte Feste Lárissa steht. Dann durchwateten wir das leichte Flüsschen des „Vater Inachos“ und traten nun in die herrliche Ebene, die noch den Namen nach der Stadt des Agamemnon führt.
Noch jetzt, nachdem über sieben Jahre verlaufen sind, ist es mir eine wahre Freude, die Gefühle zurückzurufen, womit ich diese Reise antrat, und wenn es auch nicht leicht sein mag, zu beschreiben, was nur verstehen kann, wer es mitfühlt, so halte ich es doch für meine Pflicht, bevor wir aufbrechen, den Versuch zu machen, dem Leser, der mich begleiten will, die Art und Weise unseres bevorstehenden Marsches gewissermaßen anschaulich zu machen.
Durch die ganze europäische und einen großen Teil der asiatischen Türkei, wie auch in Persien und Mittelasien reist man zu Pferde. Mit eigenen Pferden macht man etwa 20 bis 25 Meilen täglich im Durchschnitt. Mit Postpferden, die man auf Stationen wechseln kann, die von 10 bis 48 Meilen entfernt sind, kann man täglich 60 Meilen bequem machen; 100 heißt schnell reisen, 150 am schnellsten; 600 Meilen in vier und einem halben Tage, 1200 in zehn, sind freilich schon Gewaltmärsche, aber durchaus nicht ungewöhnlich.
Diese Art zu reisen, wenn auch nicht gerade in solcher Eile wie eben erwähnt, ist beschwerlich, angreifend und ermüdend. Es ist keine Erholung, die für jedermann passt, und sogar ein Probestück für den, der kräftig ist und gleichgültig gegen Weichlichkeit und Bequemlichkeit; aber doch erzeugt sie nicht die Ermattung und den fieberhaften Zustand, der so gewöhnlich vom Fahren entsteht. Die Beschwerden selbst bringen ihre Freuden mit sich: Die Gesundheit wird kräftiger, die Nerven gestählter, die Lebensgeister frischer. Man ist in unmittelbarer Berührung mit der Natur; jede Veränderung in der Umgebung und in der Witterung bekommt ihren Wert und ihre Wichtigkeit, und nicht die kleinste Merkwürdigkeit der Gegend oder der Ortsgebräuche kann der Beobachtung entgehen. Die brennende Sonne kann uns zuweilen ermatten, ein Gewitterregen uns durchnässen, aber was kann erheiternder sein als die Ansicht, wenn der lange Trupp in bunten und lebhaften Trachten im vollen Galopp vorwärts sprengt, die Kurierpeitsche knallt und der wilde Zuruf des Surridschi (Führers der Karawanen) ertönt? Was kann malerischer sein, als das kühne Jagen zu betrachten, über Tal und Hügel, oder längs der Wellenlinie der Landschaft, wenn sie vorwärts eilen im tauigen Morgen oder heimwärts jagen am rosigen Abend?
Man ist beständig im vollen Genuss der freien Luft eines himmlischen Klimas - die Leichtigkeit der Atmosphäre dringt in unseren Geist, der heitere Himmel erhebt das Gemüt; man ist vorbereitet, sich über alle Dinge und alle Lagen zu freuen; man ist bereit zur Arbeit und freut sich über die Ruhe; man ist vor allen Dingen bereit zum Essen, das immer gut schmeckt, wenn man es haben kann und nie zur Unzeit aufgetragen wird. Ich muss ehrlich gestehen, dass ein nicht geringer Teil der Freuden einer Reise im Orient aus den wirklichen Beschwerden und Entbehrungen entsteht, die den wenigen unglücklichen Wesen, welche nicht um ihr täglich Brot arbeiten müssen, einen vorübergehenden Blick auf das wirkliche Glück zu verschaffen, welches die ganze Menge Menschen dreimal täglich genießt, die um das Brot arbeitet und auf die Schüssel hungert.
Um mit Bequemlichkeit oder Nutzen im Orient zu reisen, muss man es so machen, wie die Regel und die Sitte des Landes es mit sich bringt. Das ist freilich sehr leicht als Vorschrift aufzustellen, aber verzweifelt schwer auszuführen, weil es eine lange Erfahrung und genaue Bekanntschaft mit einem Gegenstande voraussetzt, wo man erst eben über die Schwelle getreten ist. Vorausgesetzt aber, das lässt sich ins Werk richten, so wird man auf seinen Wanderungen vorwärts schreiten, begleitet von Dienern, welche die verschiedenen Geschäfte unserer Einrichtung so verrichten, wie sie es daheim in einem festen Hausstand tun würden. Jedes Bedürfnis und jede Bequemlichkeit führt man bei sich und fühlt sich selbst gänzlich unabhängig von Umständen und Beiständen. In der Wüste, wie in der bevölkerten Stadt, begleiten uns die heimischen Verbindungen und lehren uns praktisch die Gefühle der beweglichen Unabhängigkeit kennen, und den Zusammenhang zwischen Familienbanden und nomadischem Dasein, den Grundzug des orientalischen Charakters. Wie heimisch und einfach werden selbst jene Fragen, die von Ferne betrachtet so abstoßend erscheinen; man umgebe sich nur mit der Atmosphäre der Sitte! Ohne weiteres liegen die Gründe zur Hand; ohne weiteres gelangt man zu Schlüssen, ohne die Mühe des Nachdenkens, oder die Gefahren, welche den Geburtswehen der Logik so traurig drohen. Steht man unter einem fremden Volk, muss der Fragende eine Sprache reden, die zu den fremden Ideen nicht passt, so wird jede Schlussfolge sich auf eigene Eindrücke, nicht auf die ihrigen stützen; versetzt man sich aber in eine der ihrigen ähnliche Lage, so fühlt man gleich ihnen und das ist der Endzweck nutzbarer Nachforschung. Burke10 erwähnt in seinem Versuche über das Schöne und Erhabene eines alten Philosophen, der, wenn er wünschte, den Charakter eines Menschen zu erforschen, ihm in allem nachahmte, den Ton seiner Stimme nachzumachen versuchte, und sogar sich bemühte, so auszusehen wie jener: die beste Regel für einen Reisenden, die jemals erfunden worden.
Betrachtet man von diesem Gesichtspunkt aus die Verhältnisse im Orient, welche interessanten Gedankenreihen, welche Kontraste entstehen bei jedem Schritt, und welche Wichtigkeit, welchen Wert gewinnen unbedeutende Umstände, nicht nur die