Jüdische Altertümer. Flavius Josephus

Jüdische Altertümer - Flavius Josephus


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      EINLEITUNG

      Der jüdische Geschichtschreiber Flavius Josephus ist geboren zu Jerusalem im Jahre 37 n. Chr. unter der Regierung des römischen Cäsars Gajus Caligula und unter dem Landpfleger Marcellus, nachdem Pontius Pilatus eben erst, im Jahre 36, abberufen worden war. Er war der Sohn des jüdischen Priesters Matthias und mütterlicherseits mit dem Königsgeschlechte der Asmonäer verwandt. Die Juden der damaligen Zeit erzogen ihre Kinder in religiöser Hinsicht sehr gewissenhaft, und so wurde auch Josephus, der übrigens sehr begabt war, mit großer Sorgfalt erzogen und zum Schriftgelehrten herangebildet. Mit Ausnahme einer Reise nach Rom (siehe unten) lebte er bis zu dem im Jahre 66 n. Chr. erfolgten Ausbruche des jüdischen Aufstandes gegen die Römer in Jerusalem als der Pharisäersekte angehöriger Priester. Schon als er kaum dem Knabenalter entwachsen war, zeigte sich sein freier Blick und sein hohes geistiges Streben darin, dass er sich nacheinander in die drei Sekten des damaligen Judentums, die der Pharisäer, Sadduzäer und Essener aufnehmen ließ, um nach Prüfung ihrer Grundsätze der nach seiner Ansicht besten Gemeinschaft beizutreten. Nachdem er dann noch drei Jahre bei dem Einsiedler Banus zugebracht hatte, entschied er sich für die Pharisäer, denen er auch, soweit ersichtlich, bis zum Ende seines Lebens treu geblieben ist.

      In seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahre unternahm Josephus eine Reise nach Rom, wo er zu hoch stehenden Personen in Beziehungen trat und namentlich auch Poppaea, der Gemahlin des Cäsars Nero, vorgestellt wurde. Bald nach seiner Rückkehr trat er dann die öffentliche Laufbahn in seinem Vaterlande an, und im Jahre 67 n. Chr., ein Jahr nach Beginn des Aufstandes, ernannten ihn die Leiter desselben zum Statthalter in Galiläa. Hier bewies er sich als tapferer Feldherr im Kampfe gegen die Römer, wurde aber nach dem Falle der Festung Jotapata, wo er sich mit Waffengefährten in einer Zisterne verborgen hatte, dem Vespasianus verraten. Dieser ließ ihn in Fesseln legen, schenkte ihm jedoch das Leben, weil Josephus, mit schlauer Berechnung den Propheten spielend, ihm den Cäsarenthron verhieß. Als Vespasianus zwei Jahre später wirklich auf den Thron gelangt war, erklärte er den Josephus für seinen Freigelassenen und beschenkte ihn reichlich. Um diese Zeit scheint Josephus seinem hohen Gönner zu Ehren dessen Familiennamen Flavius angenommen zu haben. Von Alexandria aus begleitete er dann den Titus vor Jerusalem, wo er Zeuge der Belagerung seiner Vaterstadt wurde. Während derselben unternahm er es zu wiederholten Malen, seinen Landsleuten die Zwecklosigkeit ferneren Widerstandes vorzuhalten und sie zur Ergebung an die Römer aufzufordern, wurde aber von ihnen abgewiesen und für einen Verräter erklärt.

      Nach der Zerstörung Jerusalems begab sich Josephus mit Titus nach Rom, wo er das römische Bürgerrecht, einen kaiserlichen Freitisch und großen Landbesitz in Judäa erhielt. Als reicher Mann lebte er nunmehr seinen Studien, deren Ergebnisse in seinen Werken vorliegen.

      Das Jahr seines Todes ist unbekannt; im Jahre 93 war er jedenfalls noch am Leben, doch scheint er die Regierungszeit des Trajanus (bis 117) nicht überlebt zu haben.

      Was nun die Eigenschaften, und zwar zunächst die persönlichen, unseres Schriftstellers anlangt, so steht fest, dass er infolge seiner hohen Begabung einen hervorragenden Platz nicht nur unter den ersten Männern seines Volkes überhaupt, sondern auch unter den engherzigen und hartköpfigen Angehörigen seiner Sekte einnimmt, denen er an Elastizität des Geistes weit überlegen war. So war er nicht minder ein schriftgelehrter Pharisäer, als überhaupt einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit, und in der orientalischen wie griechischen Literatur wohl bewandert.

      Einige sittliche Schwächen kann man bei Josephus nicht wegleugnen. Zunächst war er bis zur Eitelkeit selbstbewusst, sodass er zum Beispiel am Schlusse seiner »Altertümer« behauptet, ein Werk wie dieses habe weder ein anderer Jude noch ein Nichtjude in solcher Vollendung zustande zu bringen vermocht. Eine andere Schwäche ist seine egoistische Klugheit oder vielmehr Verschlagenheit, die ihn nicht nur von seinem Volke zu den Römern übergehen lässt, als dies für ihn vorteilhafter erscheint, sondern die ihn auch geradezu zu betrügerischem Handeln verleitet. Beweis dessen ist sein Verhalten in der Zisterne zu Jotapata (siehe »Jüdischer Krieg«, Buch III, Kapitel 8), wo er, den Trieb der Selbsterhaltung über alle anderen Rücksichten setzend, offenbar die Lose betrügerischerweise so mischte, dass seine Gefährten vor ihm dem Tode verfielen, den sie der Übereinkunft gemäß nach der Reihenfolge der Lose erleiden wollten, um nicht in die Hände der Römer zu geraten. Josephus verleugnete eben niemals den echten Pharisäer, der anderen gern alle Lasten aufbürden möchte, die er selbst zu tragen sich scheut.

      Wenngleich man nun unter diesen Umständen unserem Schriftsteller ein besonders entwickeltes Nationalgefühl und opferwilligen Patriotismus zuzuerkennen nicht berechtigt ist, so muss doch immerhin zugegeben werden, dass er niemals seine Religion verleugnete und sich von kriechender Unterwürfigkeit gegen die römischen Cäsaren, die sein Volk in den Staub getreten hatten, freihielt. Er blieb vielmehr stets ein Freund seines Volkes und leistete ihm durch seine schriftstellerische Tätigkeit große Dienste, was umso höher anzuschlagen ist, als die Juden im Allgemeinen im römischen Reiche verachtet und gehasst wurden. Allerdings verschweigt Josephus in seinen Werken manches, was bei den Heiden Anstoß hätte erregen können, manches auch deutet er um, aber er gibt keine der großen Wahrheiten seiner Religion preis.

      Als Schriftsteller steht Josephus großartig da. Seine Darstellung ist klar, lebendig und elegant, und er darf zu den besten nachklassischen griechischen Schriftstellern gerechnet werden. Allerdings bleibt er hinter der Einfachheit und Kraft biblischer Darstellung oft zurück, zum Teil infolge seines Bestrebens, es mit seinen heidnischen Lesern nicht zu verderben, zum Teil aber auch infolge der oft in die Geschichtserzählung eingeflochtenen langen Gespräche und Reden, die offenbar nur den Zweck haben sollen, die Juden in der Rhetorik den Griechen ebenbürtig erscheinen zu lassen. Klassisch vollendete Geschichtschreibung bietet Josephus besonders in den sechs letzten Büchern der »Altertümer«, und dass er auch ein Meister in der Kleinmalerei ist, beweist er durch seine exakten Schilderungen der Tempelgebäude, der hohepriesterlichen Gewänder und der heiligen Geräte. Besonders erwähnenswert erscheint mir in dieser Beziehung die äußerst sorgfältige Beschreibung der Hyoscyamus- oder Bilsenkrautpflanze (III, 7, 6), die noch heute in jedem Lehrbuche der Botanik Platz finden könnte, sowie die Schilderung des goldenen, von Ptolemäus Philadelphus den Juden für den Tempel geschenkten Tisches (XII, 2, 8 und 9). Orientalische Übertreibungen und spezifische pharisäisch-philosophische Anschauungen finden sich übrigens nicht selten in Josephus’ Werken, aber er gilt doch im Allgemeinen für durchaus glaubwürdig.

      Die Werke des Josephus sind folgende: 1. »Archäologie« oder »Jüdische Altertümer« (20 Bücher); 2. »Über den jüdischen Krieg« (7 Bücher); 3. Seine Selbstbiographie; 4. »Über die Maccabäer oder über die Herrschaft der Vernunft«; 5. »Gegen Apion oder über das hohe Alter des jüdischen Volkes« (2 Bücher). Am Schlusse der »Altertümer« bekundet Josephus seine Absicht, vier Bücher von Gott und seinem Wesen sowie ein Werk über die Gesetze zu schreiben oder darüber, weshalb den Juden gewisse Handlungen erlaubt und andere verboten seien. Ob er dieses Vorhaben je verwirklicht hat, wissen wir nicht.

      Was nun sein größtes Werk, die vorliegenden »Jüdischen Altertümer« betrifft, so sind dieselben zunächst von großer Wichtigkeit für die jüdische Geschichte überhaupt. Sie ordnen nämlich den Inhalt des alten Testamentes in der Reihenfolge und in chronologischer Hinsicht, füllen Lücken in der Erzählung aus und erklären dunklere Stellen. Noch höher wird ihr Wert dadurch, dass sie für den Abschnitt der jüdischen Geschichte, der von der babylonischen Gefangenschaft bis über die ersten christlichen Jahrzehnte hinausreicht, so gut wie die einzige Quelle sind. Endlich bieten die »Altertümer« auch Belege für geschichtliche Angaben der Evangelien wie der Apostelgeschichte und (im achtzehnten Buche) das berühmte, freilich bezüglich seiner Echtheit auch viel umstrittene Zeugnis über die Person Jesu Christi, sowie interessante Nachrichten über Joannes den Täufer und Jakobus den Jüngeren.

      Die Neuherausgabe einer Übersetzung der »Jüdischen Altertümer« bedarf wohl keiner besonderen Rechtfertigung. Ist das Werk doch ebenso ein echt volkstümliches Geschichtsbuch als ein unschätzbares Rüstzeug in der Hand des Historikers. Nicht zum wenigsten


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