Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman. Karina Kaiser
stattgefunden. Das Haus, in dem Kira mit ihrer Mutter gewohnt hat, soll demnächst verkauft werden. Es wird vermutlich ein paar Wochen oder sogar Monate dauern, bis sich ein Käufer gefunden hat, aber dann wird der Erlös auf ein Konto überwiesen, das der Vormund bis zu Kiras Volljährigkeit verwaltet.«
Ellen nickte verstehend. »Dann ist für Kiras finanzielle Zukunft also gesorgt, und ich werde in Kürze neue Nachbarn bekommen.«
»Richtig«, bestätigte Nick. »Und ich hoffe, dass es wieder nette Nachbarn sein werden, mit denen Sie sich schnell anfreunden werden.«
»Das wird schon klappen. Schließlich beiße ich niemanden und komme mit allen Menschen gut aus. Es bedrückt mich nur ein bisschen, dass Liane nicht hier in ihrem Heimatort beigesetzt worden ist. Ich hätte so gerne ab und zu ein paar Blumen auf ihr Grab gelegt. Jetzt müsste ich dafür nach Österreich fahren, und das werde ich allenfalls einmal im Jahr tun können.«
»Ich kann Sie gut verstehen«, erwiderte Nick. »Für Kira wäre es vielleicht auch besser gewesen, wenn sie später, nachdem sie alles gut überwunden hat, regelmäßig das Grab ihrer Mutter besuchen könnte. Aber der Vormund hat es nun einmal anders bestimmt. Er wollte seinem Mündel dadurch Kosten ersparen, so wie es seine Aufgabe ist.«
»Das ist ihm nicht zu verdenken«, murmelte Ellen nachdenklich. »Vielleicht fahre ich im nächsten oder übernächsten Jahr einmal zusammen mit Kira nach Österreich. Wenn der Vormund es nicht verbietet, bleibe ich mit ihr ein paar Tage dort, und wir besuchen das Grab ihrer Mutter.«
»Das ist eine sehr gute Idee. Der Vormund wird ganz bestimmt einverstanden sein. Leute, die dieses Amt bekleiden, sind keine Unmenschen. Sie sind nur meistens überlastet und können sich nicht so intensiv um jedes Kind kümmern, wie sie es gerne tun würden. Wer dann ein solches Angebot macht wie Sie, ist herzlich willkommen.« Nick blickte Ellen lächelnd an.
Sie stützte das Kinn in ihre Hände. »Es stimmt wirklich, dass ich etwas für Kira tun möchte. Ich kenne sie nun schon so lange und mag sie sehr. Wir haben eine Menge Spaß miteinander gehabt. Manchmal ist sie ganz allein zu mir gekommen, um mich mal eben zu besuchen. Das heißt, eigentlich hoffte sie auf ein Glas Limonade, die ich selbst zubereite. Die kann man nicht in einem Supermarkt kaufen. Kira ist auch nie enttäuscht worden. Aber lange wollte sie nie bleiben und trabte wieder nach Hause, weil sie dann doch Sehnsucht nach ihrer Mutti hatte. Dass sie jetzt ihre geliebte Mutti auf so tragische Weise verloren hat, tut mir unendlich leid.«
»Es ist immer furchtbar, wenn Kinder plötzlich ihre Eltern verlieren«, entgegnete Nick seufzend. »Das haben wir in Sophienlust leider häufig erlebt. Ich bin damit groß geworden, habe aber auch gesehen, dass all diese Kinder in der Lage gewesen sind, den Verlust zu verarbeiten. Manche haben das relativ schnell geschafft, andere brauchten sehr viel Zeit. Am Ende sind aber alle wieder glücklich geworden. Das wird bei Kira bestimmt nicht anders sein, auch wenn es im Augenblick nicht so aussieht.«
Ellen wollte Nicks Zuversicht gerne teilen. Sie war zwar nicht sicher, ob Kira den Tod ihrer Mutter wirklich jemals überwinden würde, vertraute aber auf Nicks langjährige Erfahrung in vergleichbaren Fällen.
Ellen verabschiedete sich von Nick und ging zurück zu Kira, die zusammen mit Martin in der Halle auf sie wartete. Als Martin Ellen kommen sah, zog er sich zurück. Jetzt brauchte er ja nicht mehr auf Kira aufzupassen…
»Du warst aber lange weg«, beschwerte sich das Mädchen und zog einen Schmollmund.
»Ja, ich weiß. Ich habe mich ziemlich lange mit Nick unterhalten. Es tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Aber jetzt bin ich ja da. Hast du eine Idee, was wir jetzt unternehmen könnten?«
Kira schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe keine Idee. Ich finde es immer schön, wenn du mich besuchen kommst. Aber deswegen müssen wir nicht immer etwas unternehmen. Wir können auch einfach so miteinander reden.«
Mit diesem Vorschlag war Ellen einverstanden. Allerdings fiel ihr wieder einmal auf, wie wenig begeistert Kiras Stimme klang. Seit Lianes Tod zeigte sich das Mädchen gleichgültig und konnte sich einfach für nichts erwärmen. Das tat Ellen weh. Die Kira, die sie von früher kannte, war ein ganz anderes Kind gewesen, und sie würde es hoffentlich irgendwann auch wieder sein.
Fast zwei Stunden blieb Ellen bei dem Mädchen. Dann verabschiedete sie sich.
Als sie von Kira und einigen anderen Kindern zu ihrem Auto begleitet wurden, traf Denise von Schoenecker gerade wieder ein.
Ellen begrüßte sie freundlich. »Hoffentlich war der Besuch beim Zahnarzt nicht allzu unangenehm«, bemerkte sie. Denise winkte ab.
»Nein, er war überhaupt nicht unangenehm. Es handelte sich nur um die regelmäßige Kontrolluntersuchung. Der Zahnarzt hat keinerlei Schäden gefunden.« Während sie sprach, strich Denise Kira liebevoll über das Haar. Anschließend schaute sie Ellen wieder an.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie Kira so oft besuchen, obwohl Sie gar nicht mit dem Mädchen verwandt sind und, soweit ich weiß, selbst keine Kinder und deshalb recht wenig Erfahrung damit haben.«
»Aber ich besuche Kira doch gerne. Das ist mir eine große Freude. Außerdem habe ich durchaus Erfahrung im Umgang mit Kindern, auch wenn das schon eine Weile her ist. Ich bin seit elf Jahren geschieden und habe meine Tochter Bianca praktisch allein aufgezogen. Sie ist jetzt zwanzig Jahre alt, studiert in Köln und lebt dort seit über einem Jahr mit einer sehr netten anderen jungen Frau in einer Wohngemeinschaft. Aber sie kommt mich hin und wieder besuchen, und zu Weihnachten und wenn ich Geburtstag habe, ist sie mindestens zwei Wochen bei mir.«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie eine Tochter haben«, erwiderte Denise erstaunt. »Darüber hatten wir aber auch noch nie gesprochen. Jetzt verstehe ich, wieso Sie so viel Einfühlungsvermögen für Kira entwickeln können. Ich finde es großartig von Ihnen.«
Ellen lächelte etwas verlegen, freute sich aber sehr über dieses Lob. Sie selbst wusste natürlich auch, dass manche Menschen keine Probleme damit hatten, gleichgültig über die Schicksale anderer aus ihrem näheren Umfeld hinwegzugehen. Sie gehörte nicht dazu, und darüber war sie froh.
Herzlich verabschiedete sie sich nun von Kira, Denise und den anderen Kindern, die in der Nähe standen, und machte sich auf den Heimweg.
*
Wenn die Kinder im Park spielten, beteiligte Kira sich nur selten daran. Immerhin ging sie mit in den Park und schaute den anderen zu. Dabei saß sie meistens irgendwo in der Nähe auf der Wiese oder einer Bank.
An diesem Tag hatten sich mehrere Kinder im Park eingefunden, um Boccia zu spielen. Nachdem bei dem alten Spiel mehrere Kugeln auf wundersame Weise verschwunden und nie wiederaufgetaucht waren, hatte Denise für ein neues Spiel gesorgt. Das wollten die Kinder nun unbedingt ausprobieren.
»Wenn du mit uns spielen willst und die Regeln nicht kennst, erklären wir sie dir gern«, sagte Pünktchen zu Kira. »Boccia ist ein tolles Spiel und macht eine Menge Spaß. Versuche es doch einmal.«
»Nein, ich mag nicht«, entgegnete Kira abweisend. »Aber ich schaue euch zu. Das macht auch Spaß.«
Pünktchen und auch die anderen Kinder stellten schnell fest, dass Kira nicht wirklich ihren Spaß hatte. Zumindest machte sie ein relativ gelangweiltes Gesicht und schien mit ihren Gedanken nicht bei dem Spiel sondern ganz woanders zu sein.
»Schaut mal, diese Wolke da oben sieht aber lustig aus!«, rief Vicky plötzlich und wies zum Himmel. Die Kinder blickten sofort nach oben.
»Eine runde Wolke mit richtigen Zacken außen am Rand«, stellte Martin fest. »Die sieht beinahe so aus wie ein Stern, auch wenn die Zacken nicht so spitz sind.«
»Das sind sie wirklich nicht«, pflichtete Pünktchen dem Jungen bei. »Aber sieh mal, genau in der Mitte der Wolke ist ein kreisrunder kleiner Fleck, der nicht ganz so weiß ist wie die Wolke selbst. Mich erinnert sie eigentlich nicht an einen Stern, sondern an ein riesengroßes Edelweiß.«
Bei dem Begriff ›Edelweiß‹ merkte Kira sofort auf und betrachtete die Wolke nun eingehend. Ja, sie erinnerte tatsächlich