Heute oder nie!. Valentin Krasnogorov
tritt ein. Überrascht davon, Marina mit dem Doktor zusammen zu sehen, bleibt sie abrupt stehen.
JOHANNA: Du hast mich gerufen?
MARINA: Ja.
DOKTOR: (Verwundert.) Wie, Sie kennen sich?!
MARINA: Wie Sie sehen.
DOKTOR: Ich verstehe gar nichts.
MARINA: Bald werden wir alles erklären. Lassen Sie uns nur zuerst alleine miteinander reden. Ich werde Sie rufen. (Pause. Der Doktor geht hinaus.)
JOHANNA: Was ist passiert?
MARINA: Alles ist aufgeflogen. Die Bank fordert Geld.
JOHANNA: (Erschüttert.) Schon?
MARINA: Irgendwann musste das passieren.
JOHANNA: Und trotzdem ist es so unerwartet. Und so schrecklich. (Fasst sich wieder.) Wir müssen handeln.
MARINA: Du meinst die Sache mit dem Doktor?
JOHANNA: Ja. Heute noch, gleich jetzt müssen wir ihn bis zum Ende bringen.
MARINA: Ich will nicht.
JOHANNA: Warum?
MARINA: Überleg selbst, welche verhassten Rollen wir spielen. Wirst du dich denn danach noch selber achten können?
JOHANNA: Lieber sich selbst nicht achten in Freiheit, als sich achten im Gefängnis.
MARINA: Wir verhalten uns unwürdig.
JOHANNA: Wir kämpfen nur für uns selbst.
MARINA: Und vernichten ihn dabei.
JOHANNA: Ich verstehe nicht – hast du dich etwa in den Doktor verliebt?
MARINA: Und wenn es so wäre, was dann?
JOHANNA: Na das, dass sich Frauen in einem bestimmten Alter eben nicht mehr verlieben.
MARINA: So ein Alter gibt es für Frauen nicht.
JOHANNA: Verlier den Verstand nicht. Wir haben trotzdem keinen anderen Ausweg.
MARINA: Es gibt einen Ausweg: Alles gestehen.
JOHANNA: Und unser Leben zerstören.
MARINA: Keine Sorge, ich nehm´ alles auf mich.
JOHANNA: Du hältst das für Heldentum, aber es ist Dummheit.
MARINA: Das ist Berechnung. (Sanft.) Überleg selbst. Wenn wir unseren Plan umsetzen, dann sitzen wir höchstwahrscheinlich alle vier: Wir drei wegen Betrugs, und der Doktor wegen der gefälschten Krankengeschichte. Aber im Fall eines Geständnisses sitze nur ich alleine, und ihr bleibt in Freiheit. Ihr werdet mir Päckchen bringen. Außerdem habt ihr Kinder, und ich bin alleine. Nicht zu reden vom reinen Gewissen.
JOHANNA: (Nach langem Schwanken.) Wahrscheinlich hast du Recht. (Weint.) Was bin ich nur für ein Mensch: Die Dummheiten haben wir zusammen gemacht, aber ausbaden musst du sie alleine. Verzeih mir. (Umarmt Marina.)
MARINA: Na, na, wer wird denn gleich? (Beide weinen sich an den Schultern der anderen aus.) Also, nun, rufen wir den Doktor?
JOHANNA: Ruf ihn, wenn du willst.
MARINA: (Geht zur Türe und ruft den Doktor.) Sie können eintreten. (Der Doktor kommt herein. Die Frauen trocknen ihre Tränen ab.) Setzen Sie sich. (Er setzt sich.)
MARINA: Jetzt erklären wir Ihnen alles. Sache ist die, dass… (Zu Johanna.) Erzähl besser du.
JOHANNA: Gut. (Zum Doktor.) Nehmen Sie zuerst Ihre Tropfen. (Er nimmt sie gehorsam ein.) Sind Sie bereit, zuzuhören?
DOKTOR: Ja.
JOHANNA: Beginnen wir damit, wer wer ist. Ich bin die Frau von Anton, er ist mein Mann, Marina ist seine Schwester und er ihr Bruder. Klar?
DOKTOR: (Völlig überrascht.) „Er ist mein Mann, Marina seine Schwester…“ (Klarheit bekommend.) Aber das ist doch wunderbar! Das verändert die Sache vollkommen. Wir heilen ihn und dann…
JOHANNA: Warten Sie. Ihn braucht man überhaupt nicht zu heilen, denn er ist absolut gesund.
DOKTOR: Gestatten Sie, aber sein Gedächtnisverlust…
MARINA: Simulation, alles nur gespielt. Er hat ein hervorragendes Gedächtnis. Nicht von ungefähr gilt er als der beste Kartenspieler in der Stadt.
DOKTOR: Warum haben Sie denn dann…
JOHANNA: (Im Ton eines Rechtsanwalts.) Doktor, wenn Sie dauernd Fragen stellen, kommen wir nie zum Ende.
DOKTOR: Entschuldigen Sie.
JOHANNA: Jetzt hören Sie. Vor zwei Jahren hat Anton im Casino eine erhebliche Summe Geld verspielt. Er fleht Marina an, ihm die Summe zu besorgen und verspricht, sie schnell zurückzugeben. Andernfalls, sagte er, würde man ihn erschießen. Marina besorgt ihm über die Bank Geld, und ich habe sie leider nicht von diesem Schritt abgebracht. Ich hatte Angst um den Mann und die Kinder.
DOKTOR: Und was war dann weiter?
JOHANNA: Weiter hat Anton, anstatt die Summe zurückzugeben, auch dieses Geld verspielt. Die Schulden verdoppelten sich. Er rennt wieder zur Schwester und fleht sie an, ihn zu retten. Marina liebt den Bruder bis zum Gedächtnisverlust und gibt nach. Und so versanken wir langsam aber sicher in einem Loch, aus dem wir nicht mehr herauskommen. Sie stellen sich nicht vor, wie schwer das ist: Zu wissen, dass der Mann ein Spieler ist, dass er auf der schiefen Bahn ist und die ganze Familie mit sich zieht, ihn zu lieben und retten zu wollen und nicht in der Lage zu sein, irgendetwas zu ändern…
DOKTOR: So… Aber was habe ich mit all dem zu tun?
JOHANNA: (Verwirrt geworden.) Ehrlich gesagt, diesen Teil der Geschichte zu erzählen ist besonders unangenehm, aber wer „A“ sagt, muss auch „B“ sagen. Uns an Sie zu wenden, das ist meine eigene Idee.
DOKTOR: Und worin bestand die Idee?
JOHANNA: Wir begriffen, dass man uns dicht auf den Fersen ist und aufdecken wird, und in mir reifte der Plan, schnellstens dafür zu sorgen, dass Anton für unzurechnungsfähig erklärt wird. Dann könnte er Gericht und Urteil überstehen. Aber dazu brauchte man die Bescheinigung eines kompetenten und ordentlichen Arztes. So eines, wie Sie.
DOKTOR: Ach, so liegt die Sache…
JOHANNA: Wir begriffen, dass auf gewöhnlichem Weg von Ihnen eine Bescheinigung zusammen mit der Krankengeschichte zu bekommen unmöglich ist.
DOKTOR: Richtig.
JOHANNA: Und so habe ich mir ausgedacht, einen massierten Angriff gegen Sie zu starten, um Sie durcheinanderzubringen, in völlige Verwirrung, um auf diese Weise zu bekommen, was wir brauchten. Wir studierten die Symptome der Krankheit aus einem Fachbuch und haben Ihnen zu dritt dieses Spektakel vorgespielt. (Schuldbewusst.) Ich gestehe, dass das nicht klug war, unordentlich und grausam. Wir bedauern das sehr.
Marina sitzt die ganze Zeit mit gesenktem Kopf.
DOKTOR: Was weiter?
JOHANNA: Nichts. Aus.
DOKTOR: Marina, wollten Sie mir das gestehen?
MARINA: (Ohne den Kopf zu heben.) Ja.
JOHANNA: Jetzt können Sie uns hinaus werfen. Aber wir werden auch selbst gehen. Wir bitten nicht um Verzeihung – wir verdienen sie nicht. (Nimmt Marina an der Hand und geht mit ihr zum Ausgang.)
DOKTOR: Warten Sie. (Freudig.) Sie denken, dass Sie mich betrübt hätten, aber tatsächlich haben Sie mich sehr erfreut.
JOHANNA: Womit?
DOKTOR: (Findet seinen Optimismus und seine Selbstsicherheit wieder.) Erstens damit, dass Sie gestanden und dadurch die Schuld von sich genommen haben. Zweitens, weil ich mich noch vor einer halben Stunde für einen Schwachsinnigen hielt, jetzt aber überzeugt bin, dass ich vollkommen gesund bin. Und die Hauptsache, Marina erweist sich nicht als verheiratet, sondern als frei!
JOHANNA: Ja, frei. Wenn man nicht berücksichtigt, dass