Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski. Gundolf S. Freyermuth
Rhein als Sohn einer deutschen Mutter und eines polnisch-amerikanischen Gis und in Los Angeles aufgewachsen, verstand kaum ein Wort deutsch. Von dem toten Pressetycoon hatte er noch nie gehört. Recht vergeblich versuchte ich, ihm die kolossale politische Bedeutung zu erklären, zu der es der Verblichene als Haßobjekt der bundesrepublikanischen Studentenrevolte gebracht hatte.
Bukowski lauschte meinem hilflosen Gestammel über “einer wie Hearst” und “Citizen Springer”, bis sein Weinglas leer war und ein Kellner kam, um es wieder aufzufüllen.
“Laß mal!” lächelte er mir wölfisch zu. “Ist sowieso nicht mehr so wichtig!” Gutgelaunt hob er das Weinglas.
“Ein Toast?” fragte Linda.
“Auf das Arschloch!”
“Na ja”, zögerte ich.
“Los, Mann!” sagte Buk. “Jetzt, wo der Springer-Kerl tot ist, kann er kaum noch Schaden anrichten. Wenn wir das Atmen erstmal eingestellt haben, reicht’s gerade mal zu ein bißchen Umweltverschmutzung, und das war’s dann.”
III
Das Leben als Testfall.
- oder: Bukowskis langes Sterben -
Mancher Leute Leben steht der Natur, und das heißt dem Tod, näher; der Mediziner etwa dem fremden Sterben, der Abenteurer dem eigenen. Solange er sich erinnern konnte, lebte Charles Bukowski als Abenteurer - allerdings der spätmodernen Art. Die Gefahren, denen er seinen Körper aussetzte, waren nicht die längst anachronistischen Widrigkeiten von Wüste oder Dschungel. Er erforschte die Verderbnisse der zweiten, künstlichen Natur; jener, die von Menschen geschaffen wurde, um die Not ihrer Natürlichkeit zu verdrängen, zu vergessen. Bukowskis Terra incognita lag im nur menschenmöglichen Untergrund der großen Städte: verlorene Liebe und verzweifelter Sex, Alkohol, Pferderennen und, das gewagteste und perverseste aller künstlichen Abenteuer, Literatur.
Die Etiketten, die ihm jene anhängten, die Charles Bukowski auf diesem letzten Terrain als seine natürlichen Gegner erwuchsen, die Kritiker, konnten sich in Brutalität und Widersprüchlichkeit bisweilen mit seinem eigenen Werk messen. Den offiziellen “Outsider des Jahres” und gleichgültigen “Chronisten der Subkultur” schimpften sie einen “alkoholgeschwängerten Lobsänger der Gosse” und “schmuddeligen Narziß”, einen “Sex- und Suff-Maniak”, “Großmeister der Brunft” und “Gammler mit intellektuellem Pfiff”, ein “fossiles Gegenstück zur Null-Bock-Generation”, einen “Elder Statesman abgewirtschafteter und versoffener Ausschweifungen” sowie “Poeta laureatus des Schlüpfrigen”. Wohlwollendere Experten vermuteten in Bukowski einen “Majakowski des Pazifik” und “proletarischen amerikanischen Künstler mit bestens entwickeltem Überlebensinstinkt”. Sie nannten ihn den “Schutzheiligen des Punk” und ebenso den “Schutzheiligen aller trinkenden Schreiber oder schreibenden Trinker”. Sie verehrten ihn als “Barden der Bars und Bordelle, direkter Nachfahre der romantischen Visionäre, die am Altar ihrer persönlichen Exzesse, der Gewalt und des Wahnsinns opferten”. Sie bewunderten den “Überlebenden und merkwürdigen literarischen Platzhirsch”, den intimen “Fremdenführer zu den Alpträumen seiner eigenen Persönlichkeit”. Sie priesen ihn als “Philosophen der Straße”, “Historiker seiner privaten Fickgeschichten” oder stellten schlicht und erregt fest: “Bukowski ist eine alte Drecksau.”
Treffend ist dabei die umstandslose Verbindung zwischen Bukowskis physischer Existenz und seiner Teilhabe an den Verirrungen der Epoche. Das Bild vom Künstler als Helden hat in der Moderne ein anderer Dichter vornamens Charles ausgeformt - Baudelaire, der “Lumpensammler” und “Apache”, der Priester Pariser Ausschweifungen. Über ihn schrieb Walter Benjamin, was - mutatis mutandis - für den rastlosen Sunset-Boulevardier in der Hauptstadt des zwanzigsten Jahrhunderts gilt. Im Duell mit den Schrecken moderner Erfahrung, einer endlosen Kette sensorischer Schocks, die formend auf das Bewußtsein einhämmern, hat Charles Bukowski, ganz popmoderner Spiegelfechter, es sich “zu seiner Sache gemacht, die Chocks mit seiner geistigen und physischen Person zu parieren, woher sie kommen mochten”.
Eine solche Existenz, die sich selbst zum Testfall bestimmt, muß ums Überleben und damit um den Tod kreisen. Er steht denn auch allzeit bereit, in Bukowskis Texten über den “American Way of Life and Death” ebenso wie in nahezu allem, was über seine Person geschrieben wurde. In einer Titelgeschichte von “Rolling Stone” erzählte Glenn Esterly 1976 vom Beinahe-Tod des Dichters und gab so das Leitmotiv vor: Mit fünfunddreißig sei “Bukowski fast am Alkohol gestorben. Mit einer Magenblutung wurde er ins Los Angeles County Hospital eingeliefert, wo man elf Flaschen Blut in ihn abfüllte. Als er entlassen wurde, eröffneten ihm die Ärzte, die nächste Sauftour werde sein sicherer Tod sein. Das machte ihn so ner-vös, daß er sofort in die nächste Kneipe ging und einige Glas Bier kippte ...” Das eigene Treffen mit Bukowski beschrieb Esterly nicht minder dramatisch: “Das Bier geht rapide zur Neige, und seine blutunterlaufenen Augen sitzen jetzt sehr tief in diesen Löchern unter den buschigen Augenbrauen [...] Bukowski sieht aus, als sei er schon halb in Verwesung übergegangen.”
So oder ähnlich heulte es von nun an durch den dunklen Blätterwald; lauter als in den USA noch in Deutschland, wo Bukowski in den siebziger Jahren zum Superstar der literarischen Szene aufstieg. Esterlys Artikel wurde auf Deutsch als Vorwort zu “Schlechte Verlierer” nachgedruckt. Ein Schriftsteller, der dem Tod ins Auge starrte - Kritiker und Reporter rochen Blut. Am Anfang überwog Randgruppen-Sympathie für den armen Underdog: “Hetzt den alten Mann nicht zu sehr”, schrieb Wolf Wondratschek 1977 im “Spiegel”: “Und laßt ihn in Ruhe sein Bier trinken. Überweist ihm regelmäßig seine Tantiemen, bevor er endgültig seinen Freund Ernie [Hemingway] besucht, sein noch immer unerreichtes Vorbild.” Und Peggy Parnass sorgte sich ein Jahr später in “konkret”: “Wußte, er ist ein Säufer und schwerkrank. Ging hin, weil ich dachte, daß ich ihn sonst vielleicht für immer verpasse.” Später obsiegte dann ungeduldiger End-Achtziger-Haß auf einen, der nicht sterben wollte, obwohl seine Zeit längst abgelaufen schien und er als Untoter unangenehm die Ex-Fans daran erinnerte, daß sie mit seiner wie mit ihrer eigenen Vergangenheit leben mußten, bis der Tod sie schied: “Und deshalb fahr endlich zur Hölle, Papa Buk, schreib nie wieder was”, fluchte Maxim Biller 1990 in “Tempo”: “Dein letztes Buch reicht gerade noch für einen stilvollen Abgang.”
Doch was die Meute zusammenschrie und -schrieb, sie hatte Papa Buk dabei auf ihrer Seite. Denn der schaufelte von Anfang an kräftig mit an seinem Grab. Jörg Fauser, der im Leben wie in der Literatur ein prächtiger Bukowski-Nachfolger als “dirty old man” hätte werden können, wenn er nicht beim harten Losmachen vor seinem Idol draufgegangen wäre, zeigte Bukowski 1977 den Platz auf dem Friedhof von Inglewood, nahe der Pferderennbahn, an dem er sich verscharren lassen wollte: “Mein Grab wird Richtung Ziellinie liegen.” Für Michael Montforts Kamera bettete er sich 1983 in ein frischgegrabenes Gemüsebeet: “Schütte eine Schaufel Erde auf mich und leg mir eine Blume aufs Gesicht.” Patrick Goldstein von der “Los Angeles Times” sagte er 1987: “Man schleppt einen Haufen Dunkelheit mit sich herum, die jeden Tag mehr wird. Wenn der Tod endlich kommt, sagst du sofort: ‘Hey, Freundchen, froh, dich zu sehen!’” Und im selben Jahr klagte er seinem Schauspieler-Freund Sean Penn:
“Es widert mich an. Der Tod widert mich an. Das Leben widert mich an. Es widert mich an, zwischen beiden gefangen zu sein. Weißt du, wie oft ich Selbstmord versucht habe? [...] Laß mir Zeit, ich bin erst sechsundsechzig Jahre alt. Ich arbeite noch dran.”
IV
Nach San Pedro.
- Auf Pilgerfahrt -
Dennoch, wie begegnet man einem Mann, der den Toten bereits näher ist als uns Lebenden? Wie vor allem spricht man mit ihm über das Sterben? Zum letzten Mal treffe ich Charles Bukowski am 15. August 1993. Es ist ein sonniger Sommersonntag und der Tag vor Charles Bukowskis dreiundsiebzigstem Geburtstag.
“Den nächsten wird er wohl nicht mehr erleben”, sagt Michael Montfort. Der Verkehr auf dem Hollywood Freeway gleicht sämiger Brühe. Montfort fährt schneller als der Strom, und hinter der Brille schwimmen in seinen Augen die Tränen. Viel kann er nicht mehr sehen. “Hank hat den Tod immer wieder vertrieben. Immer wieder. Aber diesmal schafft