Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski. Gundolf S. Freyermuth
kleinen grauen Haus in den Hollywood Hills, hoch über dem Smogsuppenbecken von Los Angeles, zusammengetragen hat. Jahr ein, Jahr aus schleuste er Schreiber des deutschen Journalismus durch Bukowskis Bude und half so, den Ruhm des Autors in dem Land zu mehren, das seine Eltern verlassen hatten, als er gerade zwei Jahre alt war. Im Laufe ihrer langen Freundschaft wurde Michael Montfort, zwanzig Jahre nach Bukowski ebenfalls in Deutschland geboren, dem Objekt seiner Bewunderung immer ähnlicher. Mehr als ein Fan des Dichters verwechselte den Fotografen auf den ersten Blick mit dem gemeinsamen Idol. Montfort lebt ein Stück weit für und von Bukowski, und er lebt auch wie Bukowski.
“Verdammt, Michael hat mich im Supermarkt ertappt, wie ich eine Wassermelone in den Fingern hatte, verstehst du?” erzählte Bukowski schon 1977 Jörg Fauser: “Michael hatte seinen Schiebekarren randvoll mit Büchsen Bier und Kartoffelchips, und was hatte ich drin? Pfirsiche! Trauben! Kopfsalat! Und grade verging ich mich an einer Wassermelone! Ich spielte natürlich den coolen Daddy und grinste ihn an, aber zum Teufel, er durchschaute mich! Bukowski flippt!”
Die Kran-Gerippe, die neben dem Freeway auftauchen, drehen sich untätig im sanften Küstenwind. Ein paar Containerschiffe dümpeln in den Docks. Und am Ende des Horizonts paaren sich die weißen Wolken mit den leeren Wellenkämmen des Pazifik. Wir nähern uns dem Hafen von San Pedro.
“Als Hank 1978 hierher zog, dachten wir alle wirklich, er sei verrückt geworden!” sagt Michael Montfort: “Daß er in San Pedro lebte, schien mir verdammt unpraktisch. Wenn er mal bei ‘Musso and Frank’s’ essen gehen wollte, seinem Stammlokal am Hollywood Boulevard, war er im Auto über eine Stunde unterwegs. Hank war plötzlich zum Vorstädter geworden, zu einer Art Vergnügungs-Pendler.”
Die möblierten Müllhaufen links und rechts der Straße verschwinden, nachdem wir vom Freeway abgefahren sind. Dieser Teil von San Pedro sieht aus, als hätten die Einwohner die Straßen blank geschrubbt, die Häuser abgeseift und sich anschließend in heiße Luft aufgelöst. Eine sonntägliche Geisterstadt, freundlich und friedlich und ein bißchen langweilig.
“Hank verdiente damals gerade das erste richtige Geld”, erzählt Montfort weiter: “Und sein Finanzberater meinte, er müsse steuerlich was unternehmen. Am besten sich eine Immobilie zulegen.” Montfort lacht. “Hank haßte es, die Häuser anderer Leute zu besichtigen. Also kaufte er kurzerhand das zweite, in das ihn sein Makler schleppte.”
Wenige Wagen sind unterwegs, und Fußgänger gibt’s sowieso nicht. Wir sind im gutbürgerlichen Niemandsland zwischen wohlhabend und reich. Stäbe mit den blauweißen Schildchen der privaten Wachgesellschaften säumen die Auffahrten und Vorgärten wie Garde-Gartenzwerge.
“Hank ist ... eigentlich ...”, sagt Michael Montfort und wühlt vergeblich in seinen Gefühlen nach Worten.
In der ruhigen Nebenstraße riecht es nach Sonntagsbraten. “And there is nothing short of dying”, singt Johnny Cash in meinem Kopf: “Half as lonesome as the sound on the sleepin’ city sidewalks, Sunday mornin’ comin’ down ...”
Charles Bukowskis Eigenheim ist ein gemütliches Zwanziger-Jahre-Häuschen, das in den Siebzigern modernisiert und erweitert wurde. Der Eingang liegt versteckt hinter hohen Bäumen am Ende einer langen engen Einfahrt. Kaum daß der Motorenlärm unseres Wagens verklingt, winkt in der Auffahrt ein gebückter und recht schmaler älterer Herr. Seine Bewegungen sind schildkrötenhaft langsam, die Bewegungen eines Überlebenden.
Michael Montfort winkt zurück, strahlt und weiß wieder, was er sagen wollte:
“Hank ist eigentlich viel zu gutmütig. Ein Seelchen.”
V
Beim Schaf im Wolfspelz.
- Erster Wortwechsel -
“Tolle Gegend, was?”
Charles Bukowski lächelt müde, müder denn je, lebensmüde, als er uns begrüßt. Sein bulliges, in langen Nächten verwittertes Gesicht ist schmal geworden, sein gewaltiger Bierbauch verschwunden, sein Händedruck fast sanft. Buk trägt Tennisschuhe, eine hellblaue Leinenhose mit ausgebeulten Taschen, die um seinen dünn gewordenen Leib schlabbert, und darüber ein weites, grünblau kariertes Hemd.
“Yeah, toll hier”, wiederholt er tief durchatmend, “besser als in einem verrotteten Apartment in East-Hollywood. Du kannst einen Haufen anstellen, bevor die Nachbarn nach der Polizei rufen.”
Das Lachen dazu ist kurz und schadenfreudig. Die charakteristische Melodie seiner Stimme klingt immer noch, wie Bob Dylan singt; falsch und richtig zugleich. Die Gesten, die seinen knurrenden Spott begleiten, kommen jedoch mit der minimalen Verzögerung einer Satellitenübertragung - als hätten die Befehle, die seine Gliedmaßen steuern, ihren Ursprung jenseits unseres Planeten.
“Aber laßt euch von der Fassade nicht täuschen”, sagt Bukowski. “Wir haben unsere Abenteuer. Neulich nachts sind um die Ecke im mexikanischen Ghetto zweihundert Schüsse gefallen.”
Er bedeutet uns vorwegzulaufen und folgt mit vorsichtig schleppenden Schritten.
“Ich meine, in LA kümmert sich natürlich keiner groß um so was. In San Pedro reicht das als Gesprächsstoff für Wochen. Dabei gab’s nicht mal Tote.”
Wir gehen an den beiden dunklen Acura-Coupés vorbei, die in der Einfahrt stehen. Charles Bukowski muß sich an ihnen abstützen. Und als er es tut, gleicht er für Augenblicke einem, der dem Sterben ins Auge sieht, wie es die Menschen nur bei Hemingway tun.
Das Elend im Duell mit dem Tod ist vom Schicksal des Pferdewetters nicht sehr verschieden. In beiden Fällen fürchten auch erfolgreiche Spieler so lange, zu verlieren, bis es geschieht. 1992, mit zweiundsiebzig Jahren, bekam Charles Bukowski Leukämie. Die Chemotherapie ließ seine Haare ausfallen. Er verlor Gewicht, seine Bewegungen wurden langsam, langsamer, als sie es ohnehin seit Jahren waren, und seine Haltung gebückter. Bukowski gewöhnte sich an, einen Hut zu tragen. Auf den Rat der Ärzte stellte er von einem Tag auf den anderen das Rauchen ein. Er trank keinen Tropfen Alkohol mehr und orderte zum Abendessen eiskalt heißen Kräutertee. Kaum waren die Haare halbwegs nachgewachsen, ergab der regelmäßige Bluttest wiederum erhöhte Werte. Bukowski unterzog sich einer zweiten Chemotherapie, die ihn noch mehr zum Greis machte als die erste.
Niemand weiß das besser als Charles Bukowski selbst; und nichts beweist dieses Wissen besser als seine demonstrative Gelassenheit. “Zeit ist da, um vergeudet zu werden”, hat er einmal geschrieben. Je knapper seine Zeit nun wird, desto großzügiger scheint er mit ihr umzugehen. Früher zeigte sein Blick bisweilen eine hektische Leere, dem 00:00-Blinken eines Videorecorders gleich, der seine Programmierung verloren hat. Heute scheint Bukowski ruhiger und entspannter denn je.
“Ich hatte nie viel Glück”, sagt er. “Bis ich fünfzig wurde. Da begann meine gute Phase. Hat ziemlich lange gehalten.”
Seine Augen gleiten über Linda Bukowski, die gerade die Treppe aus dem ersten Stock herunterkommt. Der Blick verrät, daß diese Frau, die ihn seit 1976 mit Vitaminen vollstopft und umsorgt, mit seiner Glückssträhne und dem relativen Frieden seiner letzten Jahre einiges zu tun hat.
“Ich habe keine Ahnung, ob ich für Linda gut bin”, hat er mal gesagt, “aber ohne sie wäre ich nicht hier.”
Linda ist schmal, zierlich und schaut ein wenig verloren drein. In seinem Roman “Hollywood” hat Bukowski sie als eine Ehefrau nach Art der klugen Nora Charles beschrieben (aus den “Dünne Mann”-Screwball-Filmen, die in den dreißiger Jahren nach Dashiell Hammetts gleichnamigem Krimi gedreht wurden). Trinkfest und schlagfertig, wie sie ist, konnte Linda mit Bukowski all die Jahre gut mithalten. Das Kleid, das sie heute trägt, läßt Taille und Hüfte frei und weckt Gedanken, die mit Literatur und Tod kaum zu tun haben.
“Es ist gemütlich. Wie bei einem Bauunternehmer nach Feierabend”, schrieb Matthias Matussek im “stern”, nachdem er Bukowski vor Jahren in San Pedro besuchte. Mich erinnert das Haus eher an das bürgerliche Heim eines älteren amerikanischen Professors.
Der Boden im offenen Küchenbereich ist dunkelrot gekachelt. Den Blick zum Wohnzimmer hin hemmt ein hohes Bücherregal, gefüllt mit Bukowskis Werken