Das war's. Letzte Worte mit Charles Bukowski. Gundolf S. Freyermuth
Stofftier. Ein Wolf im Schafsfell. Bei mir ist es Begierde auf den ersten Blick.
“Yeah”, sagt Bukowski. “Jeder, der das Viech sieht, will es haben.”
Er nimmt das Stofftier auf den Schoß. Das Bild gleicht einer eigentümlich dialektischen Pieta: ein Wolf im Schafspelz, im Arm gewiegt von Bukowski, der wohl eher ein Schaf im Wolfspelz ist.
“Wir sollten die Dinger en masse herstellen. Wir könnten reich werden.”
Die wegwerfende Bewegung, die er dem Satz nachschickt, ist eindeutig. Der Wunsch geriet ihm aus einem anderen Leben auf die Zunge. Charles Bukowski braucht kein Geld. Schon eine ganze Weile nicht mehr, und erst recht nicht für die paar Monate, die ihm bleiben.
Woran er gerade arbeitet? Bukowski, der bis zu diesem Tag über vierzig Bücher veröffentlicht hat, Romane, Kurzgeschichten und ein gutes tausend Gedichte, hebt abwehrend die rechte Hand, in der er immer noch den Wolf samt Schafspelz hält.
“Die Verbrechensrate, unsere Alarmanlagen, die ewige Belästigung durch Raucher - darüber reden wir hier in San Pedro. Nicht über Literatur und Hemingway.”
Er stockt und beobachtet, wie ich einen Block aus meiner Jackentasche fingere.
“Verdammt!” sagt Bukowski zu allen und niemandem. “Ich wette, der Kerl hat auch ein Tonband!”
Viele, die ihn trafen, haben den desperat-amüsierten Gesichtsausdruck beschrieben, mit dem Bukowski auf literarische Fragen zu reagieren pflegt. “Ein paar Freunde und ich hatten ihn in die Ecke gedrängt”, erinnert sich etwa David Baker an einen Partyabend mit “Saint Hank of Hollywood” in den frühen siebziger Jahren: “Wir wollten mit ihm über Literatur reden. Er schaute drein, als wolle er davonkriechen in irgendeinen dunklen, ruhigen Raum und dort sterben wie ein verwundetes Tier ... ”
Schlimmer als von pubertierenden Jung-Poeten angehauen zu werden, ist in Bukowskis Augen nur noch eins: Interviews zu geben. Diesen Ritus des faktenversessenen Journalismus haßt er wie so viele Autoren. Eine Zeitlang verschreckte er potentielle Fragesteller mit der Forderung: “Tausend Dollar die Stunde.” Die Runde in den Talkshows zu machen, hat er stets abgelehnt. Und Sean Penn empfahl er, und zwar, als der ihn interviewte: “Also, wenn du was über mich wissen willst, lies nie ein Interview. Und ignoriere das hier ....” Denn: “Sowas macht mich verlegen. Weshalb ich nicht immer die Wahrheit sage. Ich albere lieber herum und mache Quatsch, behaupte also einen Haufen falsches Zeug, nur so zum Spaß und um Scheiße zu bauen.”
Wer schreiben kann, findet wenig Grund, rohe Texte in ein Mikrophon zu sprechen. Das letzte größere Frage-und-Antwortspiel, auf das er sich einließ, hat Bukowski daher schriftlich absolviert.
Warum er dann und ausgerechnet heute ...
“Na, gewiß nicht, um Bücher zu verkaufen.” Bukowski lächelt. “Ich meine, es wäre doch viel schöner, wir könnten hier einfach sitzen und uns unterhalten, was essen und so.”
Der alte Mann verzieht den Mundwinkel in einem Unwillen, der sichtlich gespielt ist.
“Aber ich feiere Geburtstag. Ich muß nett sein.”
Er grinst zu Michael Montfort hinüber. Ein Vater-zum-Sohn-Lachen.
“Außerdem sollen die Leute mal nett über mich reden ... Ich meine, soweit die Leute zu sowas überhaupt in der Lage sind.”
VI
“Wie eine Spinne ihr Netz webt.”
- Bukowski übers Schreiben -
“‘Die Sonne steht in Agoniiie / über Saint Louiiis!’- und anderen Schwachsinn dieses Kalibers. Sowas habe ich, als ich anfing, oft nachträglich in die Gedichte reingeschrieben, weil ich wußte, daß die Redakteure ihre Poesie am liebsten poetisch hatten und nicht so hart wie meine Zeilen. Ich habe ihnen die Zeilen als Köder hingeworfen und gedacht: Lutscht das aus! Hätte ich vielleicht nicht tun sollen. Aber so wurde ich mein erstes Zeug los ... War’s das? Können wir aufhören?”
“Ich habe noch gar keine Frage gestellt ...”
“Okay, dann mach weiter ...”
Wir sitzen in dem Vorgarten-Park, den Charles Bukowski seinen “Garten Eden” nennt. Ein paar Meter weiter dreschen, angetrieben vom Wind, zwei hölzerne Silhouetten-Boxer aufeinander ein. Das luftige Spielzeug ist Michael Montforts Geburtstagsgeschenk für Bukowski. Der schaut dem rastlosen Duell zu und grinst.
“Wahrscheinlich willst du als nächstes wissen, warum ich überhaupt schreibe? Ja? Natürlich. Habe ich mir gedacht ... Also, ich schreibe, um nicht verrückt zu werden. Das ist heute so, wie es früher war. Inzwischen werde ich aber gut bezahlt. Damals hat mir keiner was dafür gegeben.”
“Fürs Schreiben bezahlt zu werden”, hat er behauptet, “ist so, als ginge ich mit einer wunderschönen Frau ins Bett, und hinterher steht sie auf, geht zu ihrem Portemonnaie und gibt mir eine Handvoll Geld. Ich nehm’s natürlich.”
“Ist das Geld”, frage ich, “auch gut für das, was du schreibst?”
“Natürlich ist es besser, ein bißchen was zu haben”, sagt Bukowski. “Ich habe lange genug gehungert. Und gehungert. Und gehungert. Ich meine, zu hungern ist nicht so schlimm. Doch auf Dauer geht es an die Substanz. Du wirst dünn. Und deine Zähne fallen aus. Ich konnte mir die Dinger einfach aus dem Mund ziehen. Hab’ sie auf den Boden geworfen.” Er schweigt einen Augenblick. “Okay, ich habe also genug gehungert. Und heute, wo ich es nicht mehr tue, fühle ich mich nicht schuldig. So einfach ist das ...”
“Du hast gesagt, du schreibst, um nicht durchzudrehen ...”
“Um nicht verrückt zu werden. Yeah ...”
“Und?” frage ich: “Hat’s geholfen?”
“Du meinst, ich sei verrückt? Daß es nicht geholfen hat?” Bukowski lacht müde: “Das ist gut! Aber stell dir vor, ich hätte nicht all das Zeug geschrieben, ich meine ... Wahrscheinlich steckte ich heute in einer Gummizelle. Glaube ich jedenfalls. Schreiben ist eine Entspannung, eine Erlösung ... War’s das? Nein?”
Er atmet durch und zeigt auf Michael Montfort, der um uns herumturnt und den Motor seiner Kamera surren läßt.
“Wenn der was Gutes sagt, tu einfach so, als wäre der Spruch von mir.”
“Klar”, nicke ich. “Andererseits ist das nicht so wichtig. Ich erfinde die Zitate sowieso.”
“Gut”, sagt Bukowski, “dann bin ich beruhigt. Aber paß auf, für den Fall, daß dir nichts einfallen sollte, erzähl ich dir jetzt eine Geschichte, wie das mit dem Schreiben ist ...” Mit einer müden Handbewegung wischt er die Fliege beiseite, die über seinen altersfleckigen Handrücken kroch. “Vor Jahren hockte ich total pleite in so einer Bretterbude in Atlanta. Ich hatte nicht mal eine Schreibmaschine, und ich hatte Hunger. Auf dem Boden zwischen einem Haufen alter Zeitungen hab’ ich ‘nen Bleistiftstummel gefunden. Mit dem kritzelte ich auf die weißen Ränder der alten Zeitungen. Anderes Papier hatte ich nicht. Ich wußte genau, daß kein Mensch je eine Zeile davon lesen würde. Aber ich mußte es trotzdem tun. Automatisch, zwanghaft, wie eine Spinne ihr Netz webt. Verstehst du das? Ich bin ein geborener Schreiber. Ich kann dagegen nichts machen. Außer eben zu schreiben. Und dann geht’s mir besser.”
“Weißt du noch, was du damals geschrieben hast?”
“In der Bretterbude? Um Gottes willen! Nicht ein Wort ...”
“Ich kannte einen Schriftsteller, der hatte 1940 auf der Flucht vor den Nazis in einem französischen Lager gesessen”, erzähle ich, “und da schrieb er seine Gedichte wie du mit einem Bleistiftstummel auf Papierfetzen. Und ein halbes Jahrhundert später, als er fast neunzig und altersblind war und die geretteten Texte archiviert wurden, da konnte niemand mehr die Schrift lesen ...”
“Da siehst du’s”, sagt Charles Bukowski, “hat keinen Sinn, so Zeugs aufzuheben ...”
“Die Geschichte geht weiter: Der alte Mann, er hieß Hans Sahl,