Vicky Victory. Barbara Sichtermann
Verlauf der Dinge gern mit ihm geteilt hätte, aber der Kerl arbeitet verbissenen Gesichts am Tschaika-Schloß, das offenbar nicht aufgehen will. Er hat jetzt keinen Sinn für den Faktor Mensch. Ich dafür umso mehr!
»Tja«, fahre ich fort, »da komm’n wir ja gerade richtich.« Ich gewahre den Jungen, wie er dem Hund einen Klaps gibt und ihn ins Haus schickt, dann die Tür von außen schließt und quer durch den Vorgarten huscht, um sich durch eine Zaunlücke in den Nachbargarten zu zwängen. Mir gefällt das nicht. Sieht so aus, als liefe er vor seiner Mutter davon. Und die ist eine so nette Person!
»Aber det Se ooch bei de Verkehrswacht Nachtschicht schieben müssen!«
»Na, wat denken Sie, jute Frau, nachts passieren doch die Schweinereien! Wat machen denn die Leute, wenn sie die erste Rate für’n Opel Kadett zusammenhaben? Wat machen die mit ihre Trabis? Richtich, die entsorgen die wild! Nummernschilder runter und raus damit nach Weissensee uff’n Marderberg oder in’t Jebüsch neben die S-Bahn-Schienen. Und wann machen sie det? Nachts! Und wir, wir müssen det vahüten. Sehen Se …«
»Immer uff Draht, wa?«
»So isset doch. Det verlangt der Steuerzahler, is sein jutet Recht. Sie woll’n doch ooch hier in Ihre Garage …«
»Nee, ick bin froh, det Se jekomm’n sind«, bekräftigt die Mutti und knetet ihr starkes Kinn. - »Det war doch keen Zustand hier mehr. Regelrecht jefährlich. Ja, mein Sohn sacht: Der Wagen hat schon Sammlerwert. Wie ’ne Antiquität. Unbezahlbar. Sowat zieht Elemente an. Polen usw. Die lungern hier rum und machen sich dran zu schaffen …«
Sie tritt, angeregt wohl durch den Gartenzaun, der bekanntlich mehr verbindet als trennt, nah an mich heran und raunt mit weicher Stimme:
»Der Wagen soll ja Mielke jehört ham!«
»Nee!«
»Wird jemunkelt. Mielke. Der immer so bieder jetan hat. Aber da komm’n jetzt ja Jeschichten raus …!!«
»Ick kann Ihnen sagen …«
»Jeschichten komm’n raus! Wo unsereiner Vazicht jeleistet hat der juten Sache wegen, ham die Böbberschten in Saus und Braus …«
»Und in solche Karossen …! Is ’ne Schande, wa? Wo unsereiner …«
»Sie sind auch von hier?«
Glühenden Auges begrüßt sie, eine Hand im Bogen auf mich zuführend, den Ost-Genossen in mir. Manus manum tenet. Ich bin so eingenommen von meinen Ablenkungskünsten, dass ich Junis Schnalzlaute, durch die er mir bedeuten will: Wir können jetzt, erst mal überhöre und mit Frau Teichmann (denn so heißt sie) noch ein paar Takte über die Korruption in Wandlitz und über Mielkes Wagenpark verplaudere.
»Betrogene Betrüger«, ruft sie aus und strahlt, »det sind se nun zusamm’n, die Towarischtschi!«
☆
Juni kann gerade noch verhindern, dass ich Frau Teichmanns Einladung auf ein Gläschen in ihren selbstgebauten Wintergarten annehme - er erinnert mich daran, dass wir im Dienst sind, auch nachts und gerade nachts; da muss man eisern bleiben. Ich winke lässig, als Juni mir den Schlag aufhält und ich in Mielkes schwarzes Leder plumpse. Der Tschaika duftet schwer nach Tannenharz.
»Ich habe das Schloss gesprengt«, zischt Juni zwischen den Zähnen. »Die Tür geht jetzt nicht mehr zu. Wir müssen sie von innen festbinden.«
Wahrend sich Frau Teichmann auf ihr Haus zubewegt, hantiert Juni schnaufend mit einem Stück Paketschnur zwischen Tschaika-Tür und Sitz-Verstellhebel hin und her.
»Wie fandste mich?« gluckse ich, auf ein Lob aus. - »Ein paar Minuten länger und die Alte hätte mich zum Alleinerben eingesetzt.«
»Noch sind wir nicht zuhause«, bemerkt Juni nervös. - »Lass mich sehen. Ist’n Gang drin? So. Okay. Jetzt geht’s ab. Du machst nichts, außer dass du das Lenkrad festhältst und schön sanft mitgehst in den Kurven. - Das hier ist die Bremse, klar? Wenn beim Golf die roten Lichter angehen, trittst du drauf. Und mach dir keine Sorgen, ich fahr fünfundzwanzig.«
Er springt in seinen Wagen und zündet ihn. Langsam, langsam krabbelt der Golf vorwärts, bis sich das Seil strafft und der Tschaika zu rollen beginnt. Ich fühle mich augenblicklich wie ein Bonzen-Chauffeur und lenke, beide Arme besitzergreifend über das Steuerruder verteilt, professionell mein Gefährt aus der Lücke. Na, wie haben wir das geschaukelt?! Juni muss auf dreihundert hochgehen. Wenn nicht sogar … Mir schwant, dass er ein Vermögen macht mit diesem Russen-Kreuzer.
Am Ende der Kuckhoffstraße - Juni hat schon den Blinker gesetzt, um nach Süden abzubiegen und den Westen zu gewinnen - am Ende der Straße ist etwas im Weg. Was es ist, erkenne ich erst, als Juni anhält und auch ich, leicht erschrocken, ruckartig gebremst habe: Die Scheinwerfer des Golfs strahlen ein paar junge Männer an, fünf an der Zahl, die breitbeinig dastehen und als lebende Schranke die Straße sperren. Der Junge in der Mitte dürfte niemand anders sein als Teichmann junior. Mir fällt, obwohl ich das jetzt gar nicht wissen will, die Ähnlichkeit mit seiner Mutter auf: dasselbe lange Kinn. Und einen langen Stock hält dieser Knabe in der Faust - das könnte ein Billard-Queue sein. Der neben ihm spielt mit einer Heckenschere. Ein weiterer trägt einen Wagenheber bei sich, lässig wie ein Eis am Stiel hält er sich das Ding vor’s Gesicht. Mir wird speiübel. Mielke kann sich nicht so elend gefühlt haben, als man ihn verhaftet hat.
Einstweilen lassen mich die Gangster ungeschoren. Auf Juni haben sie es abgesehen, denn der verfügt über ’n laufenden Motor. Er macht auch einen Versuch durchzustarten, ich höre den Motor kurz hochgehen und spüre das Seil rucken, aber wie der Wind sind alle fünf Kerls auf der Haube, und der mit der Heckenschere zertrümmert die Windschutzscheibe. Ich kann nicht ausmachen, was sie Juni antun, ich höre ihn nur schreien, so furchtbar und gar-nicht-mehr-menschlich, dass ich in Horror erstarre! Irr vermisse ich ein Bett, unter das ich schlüpfen könnte; der Tschaika-Rücksitz ist, so scheint es mir, zu schmal. Da kommt auch schon eine Figur auf mich zu, lächelnd, böse, einen Queue erhoben und versucht, den zugebundenen Wagenschlag aufzureißen.
Mitten in der Gefahr reagiert auch ein ängstlicher Mensch instinktiv kühl. Ich lasse meinen Blick über die auslaufende Kuckhoffstraße schweifen, um abzuschätzen, ob ein Hilfeschrei lohne. Der Ort ist für ’ne Falle bestens gewählt; hier gibt es nur Gärten und Brache. Ich kurble die Scheibe herunter. An beiden Türen steht je ein Bursche.
»Die Spritztour ist zu ende, Herr Wachtmeister«, sagt Brikettfrisur. - »Dein Kollege da vorne hat es sich anders überlegt. Du jehst jetzt hin und hilfst ihm abhauen.« Und er reicht mir Junis Wagenschlüssel.
»Mit deiner Mutter hab ich mich besser verstanden«, sage ich in breitester Ruhe, erleichtert konstatierend, dass die Übelkeit weicht. »Der wird das nicht gefallen, was du hier nachts so treibst.«
»Raus«, brüllt der Typ auf der Rechten und rüttelt am Schlag. »Raus!«
Teichmann junior senkt sein langes Kinn und macht Anstalten, durch das Fenster nach mir zu greifen, als ein kleiner, massiger Schwarzschopf dazwischenfährt - der mit der Heckenschere. Er blitzt mich durch die Fensteröffnung an und fuchtelt mit seiner Waffe.
»Okay«, sage ich, »schneid mich los.«
Ich zeige ihm das Paketschnurnetz zwischen Tür und Sitz. Er reißt seine Schere auf und hackt auf die Schnur ein, schon gibt die Tür nach und schiebt ihn sanft zur Seite. Ich steige aus. Der enge Blaumann kneift mich in den Schritt. Sie werden’s dir noch zeigen, spricht eine Stimme in mir. Sie werden dich ohne Abschiedsgruß nicht ziehen lassen. So spricht die Stimme, doch Angst kommt nicht auf. Ich bewege mich vorwärts, ich trete auf das von der Heckenschere durchgeschnittene Abschleppseil. Ich gehe.
Bis der Hieb mich trifft und gegen den Golf schleudert. Der Schmerz wirft mir einen Sack über Augen und Hände, die nichts mehr finden. Und doch kann ich aufstehen und Schritte tun. Das war das Queue, das war’s auf meinem Rücken, meinem Nierenbecken. Trotz des Schleiers vor’m Gesichtsfeld identifiziere ich die Beifahrertür, ziehe sie auf und steige ein. Alles passiert wie unter