Bildung gegen den Strich - eBook. Sara Sierra Jaramillo

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Interdisciplinario de Estudios en Género

       Universidad de Antioquia

       Centro de Recursos Integrales para la Familia

       Universidad de Antioquia, Fundación para la Educación Especializada

       Fundación Universitaria Luis Amigó

       Instituto Colombiano de Bienestar Familiar

       Mujeres Unidas Zona NorOccidental

       Profamilia

       Red Colombiana de Mujeres por los Derechos Sexuales y Reproductivos.

      Für das Projekt wurden viele Millionen Dollar investiert. Interessant sind die Daten, die von den Projektverantwortlichen zusammengetragen wurden:

       Im Jahr 2004 hatte die Stadt 2 071 500 Einwohner.

       Davon waren 17 Prozent, das heißt 353 000, Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 19 Jahren.

       In Medellín waren 12,5 Prozent aller Mütter erst zwischen 15 und 19 Jahre alt, die meisten zwischen 15 und 24.

       Schwangerschaften Minderjähriger häufen sich in den Slums (insbesondere in den Comunas Aranjuez, Villa Hermosa, Popular usw.), die wenigsten gibt es in den wohlhabenden Vierteln (Laureles, El Poblado usw.).

       Die meisten minderjährigen Schwangeren sind arm und haben wenig schulische Bildung genossen.

       Meist gehen Jugendschwangerschaften mit folgenden Phänomenen einher: städtische und ländliche Marginalität, kriegsähnliche Konflikte auf dem Land, bewaffnete Auseinandersetzungen und Gewalt in den Städten, gewaltsame Vertreibungen, soziale Exklusion, Schulabbrüche, fehlender Zugang zum Gesundheitswesen, Arbeitslosigkeit, Kinder- und Jugendarbeit, Kinderprostitution, sexuelle Ausbeutung.

      Was die Wirksamkeit des Projekts »Sol y luna« betrifft, so konnte es sein Ziel, die Anzahl der Minderjährigenschwangerschaften zu vermindern, nicht erreichen. Im Gegenteil: Von Jahr zu Jahr gibt es mehr schwangere Mädchen und Kindermütter in Medellín. Das Straßenbild im Umfeld des Rojas-Pinilla-Platzes unterstreicht diesen Befund. Einige Zahlen:

       Zwischen Januar und August 2004 bekamen in Medellín 4448 junge Mädchen Kinder. Das waren 22 Prozent aller Geburten.

       Im selben Zeitraum wurden in öffentlichen Einrichtungen 345 Abtreibungen registriert. Die Dunkelziffer lag gewiss viel höher.

       Von 2004 auf 2005 fiel die Anzahl der Schwangerschaften Jugendlicher im Alter zwischen zehn und 19 Jahren zwar von 7021 auf 5266. Aber dieser Trend hielt nicht an. Anschließend gab es wieder mehr Minder­jährigenschwangerschaften. Allein zwischen 2007 und 2008 kletterte die Zahl der jungen Mütter unter 19 Jahren erneut um fünf Prozent auf 8556.

      Und die neuesten Zahlen? Im Jahr 2011 wurden über 19 000 Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren Mutter. In den ersten vier Monaten des Jahres 2012 wurden bereits 9365 Geburten in dieser Altersgruppe registriert. »Das Problem der Minderjährigenschwangerschaften hat sich in Kolumbien zu einem gravierenden sozialen Problem entwickelt«, schreibt die Tageszeitung El Espectador. Es betrifft 19 Prozent der unter 19-Jährigen, aber 35 Prozent der Mädchen in den ärmsten Wohngegenden (estrato 1 y 2) (vgl. http://www.elespectador.com/noticias/bogota/articulo-367968-9365-nacimientos-jovenes-entre-los-15-y-19-anos). Nach Angaben von Dane (Departamento Administrativo Nacional Estadistica) wurden in der Hauptstadt Bogotá im Jahr 2011 456 Geburten von Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren gezählt, im ersten Semester 2012 waren es bereits 250. Frühzeitige Schwangerschaften, so El Espectador, sind meist mit anderen Problemen verbunden – mit Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Geschlechtskrankheiten, Abtreibung und Kindestod.

      Eine konsequente Fortsetzung des Programms »Sol y luna« gibt es in Medellín nicht. Die Stadt hat sich das Vorhaben des Projekts nicht zu eigen gemacht und verfolgt die formulierten Ziele keineswegs mit Nachdruck. Die Mädchen, die zwischen El Prado und der Kathedrale der Prostitution nachgehen und schwanger werden, kennen weder ihre Rechte noch irgendwelche Institutionen, deren Aufgabe es ist, ihnen in ihrer Not zur Seite zu stehen. Die Mädchen finden den Weg dorthin nicht, und die Institutionen und Projekte denken offenbar nicht daran, sie dort aufzusuchen, wo sie sich aufhalten – auf der Straße.

      Weitere Informationen über »Sol y luna«:

       http://www.medellin.gov.co/irj/portal/ciudadanos?NavigationTarget= navurl://8d3b03c0e1c61a17a4c49c6c6254e4cd

        http://www.medellin.gov.co/irj/go/km/docs/ wpccontent/Sites/Subportal%20del%20Ciudadano/Salud/Secciones/Plantillas%20Gen%C3%A9ricas/Documentos/2012/Revista%20Salud/Revista%20Vol.%205,%20suplemento%201/3.%20PROYECTO%20SOL%20Y%20LUNA.pdf

      Die Gegend zwischen der Plazoleta Rojas Pinilla, El Prado und der großen Kirche ist ein quirliges Viertel. Unzählige gelbe Taxis, bunte Busse, klapprige Kleinlastwagen verstopfen die Straßen. Menschen hasten durch die engen Gassen, und auf der Avenida entlang der Metro stehen gegen Abend die fliegenden Händler mit Obst, Fisch, Fleisch und allen cachivaches (Kleinkram) der Welt dicht an dicht. Der Verkehrslärm bricht nie ab. Dieser Teil des Stadtzentrums scheint sich, äußerlich betrachtet, von den benachbarten Vierteln nicht zu unterscheiden. Und dennoch liegt zwischen der Plaza Botero und der Zone der Prostitution eine unsichtbare Grenze. Man sieht keinen Schlagbaum, keine Wächter, aber man fühlt den Übergang von einer in die andere Welt, von der Normalität in die Verwerflichkeit. Man spürt es auf der Haut.

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      Das Gebiet gilt als gefährlich, besonders nach Einbruch der Dunkelheit. Wer von der Metrostation zur Fußgängerzone, zur Plaza Cisneros oder zum Junín gehen muss, beschleunigt den Schritt. Die Menschen, die im Süden wohnen, in El Poblado mit den grünen Hängen, Parks und Schwimmbädern, werden – wenn irgend möglich – das Zentrum meiden. Hier schlendert man nicht, es locken keine Schaufenster mit Auslagen. Auf der Avenida rasen die Busse, als hätten sie es auf die Passanten abgesehen, die ängstlich versuchen, die Straßenseite zu wechseln.

      Was die Gegend abstoßend macht, ist ihre Armut, das erbärmliche Aussehen der Menschen, die hier wohnen, ihre Verkommenheit. Auf den Bürgersteigen sammelt sich Schmutz, die Gebäude überbieten einander an Hässlichkeit. Der Gestank nach Urin und Menschenkot, aufgeweicht von tropischen Regengüssen, verschlägt einem den Atem.

      Das wachsende Unbehagen beim Überqueren der unsichtbaren Grenze speist sich jedoch weniger aus der sichtbaren Realität als aus den Vorstellungen, die man sich davon macht, was hier vor sich gehen mag. Alle Stadtbewohner haben Geschichten parat von Diebstählen, gewaltsamen Überfällen und Morden in diesem Viertel, obgleich nur wenige etwas Derartiges persönlich erlebt haben. Phantasien steigern die reale Gefahr ins Unermessliche. Das ist wohl typisch für alle Gegenden der Welt, in denen die Gesellschaften ihre Prostituierten angesiedelt haben.

      Prostitution ist heikel. Umstritten kann man sie indes nicht nennen, denn es wird darüber ja nicht gesprochen. Jedes Kind in der Stadt weiß, dass man dorthin nicht geht, aber keiner fragt, warum nicht. Blicke ins unbekannte Terrain erlaubt man sich bestenfalls verstohlen und im Vorübergehen, aus dem Bus oder der Metro heraus, gesenkte Blicke. Jeder Anflug von Interesse wird durch Scham unterdrückt. Man meidet das Risiko, durch das, was man zu sehen bekommen könnte, angesteckt, infiziert, verunreinigt zu werden.

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      Die vermeintliche Kenntnis über das tatsächlich Unbekannte ist der sprachlosen Haltung abgerungen, die die


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