Bildung gegen den Strich - eBook. Sara Sierra Jaramillo

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Kindern schuldig gemacht. In Gambia stehen junge Männer europäischen Frauen für sexuelle Dienste zur Verfügung. Auf dem afrikanischen Kontinent ist der Glaube verbreitet, dass der Geschlechtsverkehr mit Kindern vor der Ansteckung mit dem HI-Virus schütze. Deshalb machen sich Männer auf die Suche nach minderjährigen Geschlechtspartnerinnen. In Wirklichkeit infizieren sich Kinder besonders leicht. Stark gefährdet sind Aidswaisen, denen als einzige Verdienstmöglichkeit zum Überleben die Prostitution bleibt.

      Netzwerke der Ausbeutung

      Sexuelle Ausbeutung von Kindern ist ein sich immer weiter ausdehnendes Phänomen, und es steht in einem direkten Zusammenhang mit der nationalen Entwicklung eines Landes und der globalen Veränderung unserer Welt. In einigen Teilen der Welt brechen die Familien und die sozialen Netzwerke aufgrund zunehmender Armut, aber auch wegen des Zusammenbruchs gesellschaftlicher Strukturen infolge bewaffneter Konflikte, sozialer Unruhen, Naturkatastrophen oder der Auswirkungen von HIV und Aids immer öfter auseinander (…)

      Es hat den Anschein, als wäre die sexuelle Ausbeutung von Kindern einem dauernden geographischen Wandel innerhalb der Länder, aber auch über die Landesgrenzen hinweg und zwischen den Weltregionen unterworfen (…) Die Auflösung sozialer Schutzmechanismen verstärkt auch das Risiko für Kinder und Jugendliche, innerhalb der eigenen Familie oder Gemeinschaft Opfer von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung zu werden (…) Die steigende Mobilität und der vereinfachte Zugriff für die Täter erhöhen das Missbrauchsrisiko für Kinder durch Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornographie.

      Aktuelle Schätzungen: In Asien soll es mehr als eine Million Personen geben, darunter junge Frauen, Kinder und Jugendliche, die ihr Auskommen in der Prostitution suchen. Auf den Philippinen sind angeblich 60 000 bis 100 000 Kinder in der Sexindustrie tätig. Berüchtigt sind die südasiatischen Länder Bangladesch, Indien, Nepal, Pakistan und Sri Lanka, wo religiöse Traditionen die Prostitution Tausender Kinder legitimieren. Armut, Diskriminierung und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern gehen in Indonesien, China, Vietnam, Kambodscha, Laos, Taiwan und Birma Hand in Hand. Der lebhafteste Handel mit Kinderprostituierten findet im Süden und Südosten Asiens statt.

      In Osteuropa sieht es in dieser Hinsicht nicht viel besser aus als in Afrika und Lateinamerika. In Russland, der Tschechischen Republik, Polen und Rumänien werden Frauen und Minderjährige von ausländischen Sextouristen ­ausgebeutet. Zwischen Surinam und Holland soll ein reger Frauen- und Mädchenhandel stattfinden, der für den Nachschub von Prostituierten nach Europa sorgt. Dabei sind Netzwerke aktiv, die die Verbindung zwischen Uruguay (Montevideo) und Ita­lien (Mailand) aufrechterhalten. In Italien leben angeblich 18 000, vielleicht sogar 25 000 minderjährige Prostituierte ohne Aufenthaltsgenehmigung. In Rom hat man angeblich 3000, in Mailand 2000 ausländische Prostituierte gezählt. Die meisten jungen Prostituierten in Rom, Mailand und Neapel kommen aus Alba­nien, dem ehemaligen Jugoslawien und aus Nigeria. Unter sie mischen sich junge Peruanerinnen, Polinnen und Kolumbianerinnen. Auch in Deutschland expandiert der Markt für die sexuelle Ausbeutung von Kindern.

      Kinderprostitution an der deutsch-tschechischen Grenze

      Die Mädchen und Jungen halten sich an Tankstellen, Bushaltestellen oder Raststätten auf. Innerhalb der Ortschaften findet man sie auch in Parks, vor Supermärkten und Eingängen von Spielhallen, am Bahnhof oder in Hauseinfahrten. In einer Kleinstadt wurde beobachtet, wie sich Kinder an den Fenstern bordellähnlicher Einrichtungen präsentierten. In manchen Straßenvierteln warten die Kinder in Autos oder am Fenster von Wohnhäusern auf die Sextouristen. Auch Frauen mit Kleinkindern oder sogar Säuglingen auf dem Arm halten hier Ausschau nach Sextouristen.

      Säuglinge und Kinder bis zum Alter von etwa sechs Jahren werden den Sextouristen meist von Frauen angeboten. Kinder ab etwa sieben ­Jahre werden oft von männlichen Jugendlichen oder Erwachsenen begleitet. Auf Parkplätzen oder vor Supermärkten fallen immer wieder kleine Kinder auf, die nur deutsche Männer ansprechen: (»Kannst du mich ein bisschen mitnehmen?«) und um Geld oder Essen betteln (»Kannst du mir ein Eis kaufen?«). Viele steigen bei deutschen Sextouristen ins Auto und fahren mit ihnen weg. Die größeren Kinder ab etwa acht Jahren verhandeln oft wie selbstverständlich über Preise und Sexualpraktiken. Sie bieten sich an mit Fragen wie »Willst du Sex? Willst du blasen? Willst du ficken?« Die Männer fahren mit ihren Opfern fast immer allein im Auto zu Orten, die sie »Strichplätze« nennen, damit sie die Kinder dort unbeobachtet missbrauchen können. Diese Plätze befinden sich an Stadträndern, in nahe gelegenen Waldstücken, in der Nähe von Parkanlagen und abgelegenen Garagen oder in unbelebten Seitenstraßen. Oder die Peiniger gehen mit ihren ­Opfern – manchmal in Begleitung des Zuhälters – in eine Wohnung in der Nähe des Standplatzes. (…)

      Als Bezahlung erhalten die Kinder meist fünf bis 25 Euro. Manchmal gibt es auch nur Süßigkeiten. Einige Sextouristen gehen mit den Kindern auch zum Essen oder unterstützen die Familien materiell. »Der K. schläft manchmal bei uns, und dann geht der mit meiner Mutter einkaufen«, berichtet Petr, 13. (…) Der elfjährige Antonin erzählt im Interview: »Ein Deutscher hat mich im Auto gefesselt und mir den Mund zugeklebt.« (…)

      Die beobachteten Zuhälter kommen aus Tschechien oder der Slowakei, vereinzelt gab es männliche vietnamesische Zuhälter. (…) Oft sind die Zuhälter Verwandte der Opfer: Mütter, Großmütter, andere Familienangehörige oder auch Bekannte der Familie. Einige der Mütter arbeiten auch selbst als Prostituierte. »Meine Mama hat mir gesagt, wie ich das machen muss«, erklärt die zehnjährige Iveta im Interview. Auch ältere Kinder, die schon länger in der Prostitution arbeiten, werden oft als Aufpasser eingesetzt, oder sie müssen die Jüngeren anlernen. Schon 13-Jährige vermitteln jüngere Kinder. (…)

      Die Täter sind vorwiegend deutsche Sextouristen aus den angrenzenden Regionen der Bundesländer Bayern und Sachsen – erkennbar an den Autokennzeichen. Immer häufiger kommen aber auch Wagen aus ganz Deutschland, aus Österreich und Italien. Auch US-amerikanische Kennzeichen wurden beobachtet. Die Sextouristen reisen fast immer alleine an – meist mit Mittel- und Oberklassewagen, manchmal auch in Kleinbussen mit verdunkelten Scheiben. Ihr Alter liegt zwischen 18 und 80 Jahren (…).

      Kinder aus anderen Regionen der Tschechischen Republik und aus mittel- und osteuropäischen Staaten werden in die Grenzregionen oder von dort aus nach Deutschland verkauft, um sie sexuell auszubeuten. So wurden in der Grenzregion Kinder aus entfernten Regionen Tschechiens, aus der Slowakei und weiteren Ländern, zum Beispiel Moldawien, Ukraine, Litauen und Weißrussland, beobachtet und befragt. Ihre Aussagen sowie insbesondere die Interviews mit erwachsenen Prostituierten machen deutlich, dass Zuhälterbanden systematisch Minderjährige in die deutsch-tschechische Grenzregion verschleppen und zur Prostitution zwingen.


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