Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste


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Bahn brach aufs Papier ohne Rücksicht auf den dann lächerlichen Umstand, dass es diese Worte vorher noch gar nicht gegeben hat: »gneisen«, oder »jabbeln« schrieb er – nein, er »schrub«, oder wie Sigmar Gabriel »vor sich hin leberwurstet«, oder eben Feldjäger mit »Waschbrettköpfen«. In seiner dann plötzlich letzten Kolumne in der taz beschrieb er diesen göttlichen Moment der Wortwerdung:

      »Es kam aus dem Leben selbst zu mir, legte sich auf meine Zunge und verlangte, als Wort geboren zu werden. Ich erfüllte dem Wort seinen Wunsch, sprach es aus und entließ es in die Welt: Trittbrettficker«.

      Die Kolumne erschien dann bereits in der jungen Welt, für deren Feuilleton er seit 2011 fest frei schrieb. Die Wuchtschmähung »Trittbrettficker« münzte er auf die »Gesellschaft für deutsche Sprache«, der als »Wort des Jahres 2006« nur »Fanmeile« eingefallen war. Wiglaf hingegen war der Solitär für deutsche Sprache, ein »Häuptling Eigener Herd« im Sprechen und Schreiben wie im Speisen. Mit Vincent Klink versah er diese Papier gewordene Appetitlichkeit viele Jahre, dichtete über Wurst, Wein, Weihnachten. Die »kulinarische Kampfschrift« erschien so »vierteljährlich wie möglich«, denn man kann nichts schreiben, was man nicht gegessen hat. Da schwärmte der drastische Droste, dichtete Hymnen, ließ einem Wasser in Mund und Augen treten.

      Hier also umarmte Wiglaf Droste – in der Kunst, in der Literatur, der Musik, in der Küche und im Lieben und im Leben. An diesen Mut zum Guten, den Wiglaf vorlebte, werden wir uns heute tapfer und unerschrocken halten. Wir wissen, dass Nähe für Droste kein leichtes Geläuf war. Doch was bleibt uns, wenn wir das Glück hatten, einem Großen zu begegnen, auch wenn er jeden Hauch eines falschen Tons der Nähe nachgerade drostoid wegzurempeln verstand? Wir schulden es ihm, was immer daraus folgen mag. Es muss ja doch gesagt werden: Lieber Wiglaf, Du warst ein Großer!

Portrait

      Foto: Sunhild Pflug

       Familienbande

      NIEMALS BIN ICH EIN ANHÄNGER jenes weitverbreiteten Irrglaubens gewesen, man müsse in all die Mitmenschen, mit denen man zufälliger- und dummerweise verwandt ist, auch noch verliebt sein; seit sich aber nach einer langen Zeit des Exils vom familiären Schrecken immer häufiger Gesichter und Erinnerungen in Tag- und Alpträume hineinschleichen, gestehe ich mir doch die achselzuckende Fügung in die Einsicht zu, dass man seinen Wurzeln allenfalls bedingt entfliehen kann.

      Besonders häufig, mitunter sogar recht gern, erinnere ich mich an den fünfzigsten Geburtstag meines Vaters. Dieser Tag erscheint mir heute als Kulminations- und Knotenpunkt meiner menschlichen Erfahrung; mit der Geballtheit aller Worte und Taten, mit der Wucht, die damals innerhalb nur weniger Stunden auf mich einhieb, erhielt ich wohl das Rüstzeug, um in den Fährnissen der menschlichen Gesellschaft zu bestehen.

      Dabei ließ sich der festliche Akt zunächst eher harmlos an. Zwar hatten sämtliche Haupt-, Flach- und Nebenkräfte des Freundes-, Bekanntschafts- und Verwandtschaftslebens komplett ihr Erscheinen angedroht, und die gut einhundert Personen starke Meute tröpfelte auch nach und nach recht pünktlich ein, dennoch aber plätscherten die Gespräche zunächst eher zäh und gedämpft, und auch den alkoholischen Getränken wurde nur mäßig zugesprochen. Eine erste einschneidende Wendung erfuhr der Abend möglicherweise mit dem Eintreffen von Onkel Erich; dieser damals soeben in Rente gegangene knorrige Lastkraftwagenfahrer war in der gesamten Verwandtschaft gefürchtet für seine unablässig vor sich hin stinkenden Zehnpfennigzigarren und seinen schier unerschöpflichen Redeschwall, den er auf jedermann, dessen er nur irgend habhaft werden konnte, rückhaltlos ausgoss. Allein seine Frau, Tante Hilla, war in der Lage, ihn in seine Schranken zu verweisen: Mach doch den Kopp zu, du Tünsel! war die Zauberformel, mit der sie sich ihn erfolgreich vom Leibe hielt.

      Onkel Erich jedenfalls begann augenblicklich nach seiner Ankunft einen ausladenden Bericht über seinen jüngsten Jugoslawienaufenthalt: Alles Knallköppe da unten. Keine Ahnung von Rasenmähen und Heckenschneiden. Hab ich ihnen aber alles beigebracht, und nach zwei Wochen spurten die Brüder piccobello. Währenddessen hatte er taktisch geschickt seinen Schwager, Onkel Horst, in eine Ecke des Sofas gedrängt und sich massig halb in ihn hineingedreht, um sich für die nächsten Stunden wenigstens einen Zuhörer fest zu sichern; Onkel Horst aber gehört zu jenen Menschen, die vor den sozialen, kulturellen und ethnischen Konflikten der Welt und ihrer Bewohner die Augen zu verschließen nicht bereit sind; das wie lapidar hervorgestoßene Jugoschlawen, Jugoschlawen seines Gegenübers Erich fand daher durchaus nicht seine Zustimmung, nennenswerten Widerspruch aber wagte er keinen, sondern griff wie schicksalsergeben zu einer von eben jenem Jugoslawienaufenthalt mitgebrachten Literflasche Slivowitz, schüttete sich ein großes Glas ein, schmetterte dieses auf einen Schlag hinab und goss augenblicklich nach, während Onkel Erich mit meckerndem Lachen die Geschichte erzählte, wie er bereits vor einigen Jahren seinem Nachbarn, während dieser einige Monate verreist war, den Garten in Schuss gehalten und dort sogar mal richtig klar Schiff gemacht hätte; ganze Anhänger voller Unkraut hätte er ausgerissen und weggeschafft, geschuftet wie ein Berserker hätte er, bis überraschend früh der Nachbar wiedergekommen sei und augenblicklich auf ihn eingezetert habe, er sei Botaniker und züchte seltene Pflanzen, zigtausend Mark Schaden usw., von wegen seltene Pflanzen, alles gammeliges olles Kroppzeug, hähä, polterte Onkel Erich.

      Nur wenige Plätze weiter juchzte Tante Frieda, schwer gallekrank und strikt auf Diät gesetzt, Ach was, nur ein kleines Likörchen, das schadet doch nicht auf ihre Tochter Hannelore ein, die mit den prophetischen Worten Frieda, morgen ist Galletag ein- und später auch bereitwillig nachschenkte; vor dem nach einigen Stunden sich dann zügig abspulenden Debakel Oh! Bin ich schlecht! Bin ich schlecht! Ich hab Malheur gemacht! aber hatte Tante Frieda zunächst noch Gelegenheit, über ihre Schwägerin Luise herzuziehen, die seit dem Tod ihres Mannes vor sechs Monaten bereits sieben Heiratsanzeigen aufgegeben hatte: Die ist doch vom Stamme Nimm! Willi war noch nicht kalt, da hatte die schon drei Neue!

      Inzwischen war auch meine Großmutter, im folgenden auch Omma bzw. Omma Kotsch genannt, eingetroffen, eine übermäßig rüstige, hektische und ruhelose Person, wie ja überhaupt unseren Greisen immer häufiger ein wütendes Nichtruhegebenwollen, ein Hang zum ewigen Weiterramentern eigen geworden ist – ich sage nur: Trude Unruh, Graue Panther und alles! – meine Omma jedenfalls hatte bis zu ihrem späteren unfreiwilligen Ausscheiden einen Hauptanteil am Scheitern bzw. eben auch Gelingen dieses prächtigen Abends. Aus einer völlig zerrütteten Ehe inklusive Scheidung hatte sie schon vor Jahren die originelle Schlussfolgerung gezogen, Ehe und Familie allein seien die Horte irdischer Freude, die sie fortan schützen und bewahren zu müssen glaubte. Opfer dieses Trugschlusses waren in erster Linie meine armen Eltern, deren Glücksstern nach fünfundzwanzig Ehejahren durchaus schon etwas matter funkelte, als Omma Kotsch das wahrhaben wollte.

      Zum fünfzigsten Geburtstag meines Vaters hatte sie eine mehrschichtige Säuberungsstrategie ersonnen; ihr Plan sah vor, im Obergeschoss des Hauses, in das sich die jüngeren Besucher, allesamt Freunde meines Bruders, zurückgezogen hatten, zu beginnen, das Feld quasi von außen her aufzurollen und dann ins Zentrum des Feindes vorzustoßen. Gegen zweiundzwanzig Uhr erschien sie, zunächst unter dem Vorwand, nur mal nach dem rechten sehen zu wollen, Habt ihr auch alles? Noch


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