Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste


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       Antrag an meine lieben Mitmenschen

      WÜRDEN SIE BITTE ALLE, ja unbedingt und ausnahmslos alle, 24 Stunden am Tag, rund um die Uhr, ohne Pause und lebenslang, ein Schild mit dieser Aufschrift um Ihren Hals tragen:

      Das Elend hat viele Gesichter

      – wie gefällt Ihnen meins?

      Das stünde Ihnen allen nämlich sehr gut zu Gesicht.

      1993

       »Den Faschisten Barolo bieten!«

      ES IST UNGLAUBLICH WARM IN DER KNEIPE »Zur betrunkenen Antifa« an diesem Sommerabend im Prenzlauer Berg. Mehrere hundert zumeist junge Menschen stehen sich in dem winzigen Kellerlokal in der Nähe des Kollwitzplatzes gegenseitig in den Schuhen. Getrunken wird viel, vor allem Wernesgrüner Bier, aber auch die Hausspezialität, ein Wodkacocktail namens »Stalin-Orgel«, findet reißenden Absatz. Dietmar Dath, bei Spex und Heaven Sent als Dauerrekonvaleszent unter Vertrag, trägt auch bei 45° Celsius und subtropischer Luftfeuchtigkeit eine schwarze Skimütze aus Wolle mit aufgenähtem weißen X: Wer schön blöd sein will, muss leiden. »Malcolm zehn«, quatscht ihn ein Kumpel an, »hab ich mir nicht angekuckt. Ich hatte die ersten neun Teile nicht gesehen. Da wäre ich dann nicht mehr reingekommen.«

      Im Hinterzimmer ist die Luft noch dicker. Auf einer Kleinstbühne findet eine Podiumsdiskussion statt. Thema ist natürlich: Deutschland und die Welt. Soeben liest junge Welt-Chefredakteur Jürgen Elsässer angewidert aus der FAZ vor; Konkret-Herausgeber Gremliza hört nicht minder angeekelt zu. »Hermann L. Gremliza, grammatisches Gewissen der Nation / Verteilt Zensuren für den besten antideutschen Spott und Hohn«, ruft der blutjunge Kollege Gumhur Güzel schnippisch in die Runde, räumt nach einem gestrengen Blick aber selbst ein:

      »Das ist natürlich viel besser, als wenn Martin Walser den Faschos im Spiegel gute Deutschnoten gibt.« Puuh, das war knapp, aber für dieses Mal kann der Generationskonflikt in der Welt des Linksradikalismus noch abgebogen werden.

      »Kein Fassbreit den Faschisten!« grölt ein Kreuzberger Alt-81er unter Beifall in die Runde; »Genau! Scheiß-Flaschisten! Das sind doch voll leere Typen! Und wo is’ überhaupt mein Glas, ey?« pflichtet ihm ein schon etwas angeschlagener Baseballkappenträger – Schirm natürlich nach hinten! – bei.

      Alles will sich in Wohlgefallen und Seligkeit auflösen, da betreten zwei späte und unerwartete Gäste den antifaschistischen Boden: Diether Dehm, marxistischer Überbeau der SPD und Texteschreiber u.a. für Klaus Lage, dem z.B. die Zeile »das Telefon schweigt wie gefrorenes Holz« gelang, und, das ist Der Hammer: Gregor Gysi. Arm in Arm stehen die beiden Hoffnungsträger. Und lächeln, obwohl keine Kamera da ist. »Wir kommen gerade aus der Toscana«, strahlt Dehm, und Gysi nickt ihm zu und lacht: »Faschisten, Diether, Faschisten muss man Barolo bieten! Prösterchen.« – »Prostata, Gregor. Prostata.«

      1993

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