Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste


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allem anderen jedoch eins: eine Lebensversicherung für die im Land lebenden Ausländer und Juden, die sich jetzt mit dem nichtverordneten Antifaschismus des Herrn di Lorenzo bescheiden müssen, der zwar irre phantasievoll, aber auch irre wirkungslos ist; es könnte sich erweisen, dass die angepriesene »Ermutigung« via Lichterkette den einen oder anderen Ermutigten das Leben kostet. Bürgersfrauen und -männer, die ihrem Staatsoberhaupt (wichtig: Mann mit Vergangenheit) nahe sein wollten, taten das in den 80er Jahren, indem sie mit Karl Carstens singend durch den deutschen Wald eierten. Heute sind die fortschrittlicheren VolksgenossInnen (hier stimmt das I) mit Richard von Weizsäcker in Sachen Lichterkette unterwegs und denken sich buchstäblich nichts dabei; die Carstens-NS-Wanderer waren vergleichsweise erträglich, weil sie nicht ständig von sich reden machten, was für tollklasse spitzenhumanistisch gesonnene Eins a Top- Mitmenschen und alles sie doch wären.

      Wer sich mit der Selbstverständlichkeit, dass er das Anzünden und Totschlagen von fremden Menschen scheußlich findet, im Brustton des eigenen notorischen Gutseins auf die Straße stellt, muss jedes Gespür für Peinlichkeit verloren haben. »Ich bremse auch für Ausländer!« rufen und stolz drauf sein, geht einfach nicht.

      Wem all das nicht reicht, der sei mit Reinhard Mey gestraft: Was ich noch zu sagen hätte / dauert eine Lichterkette / und ein letztes Fass im Stehn.

      1993

       Zur Dialektik von Vatermutterkind

       Ein dringend erforderlicher Einwurf, geschrieben in schwerer Zeit

      EINERSEITS IST GERADE DIE JUNGE, moderne, aufgeschlossene, ja aufgeklärte, bewusste, politisch um Himmels Willen keineswegs desinteressierte, undressierte und feministisch vollfrisierte Frau von heute zum Verzicht aufs Jungekriegen nun nicht länger bereit, sondern im Gegenteil zum Werfen, Gebären, Sichvermehren und Abmuttern wüst und wild entschlossen, so dass eine Fortsetzung von Kevin Costners »Robin Hood« unter dem Titel »Motherhood« wohl unabwendbar ins Haus steht;

      andererseits fantert und gackert gerade diese Klientel über kein anderes Thema so gleichermaßen aufgekratzt wie ahnungslos durcheinander wie über das Modesujet der Saison 1992/93, Kindesmissbrauch. Denn über nichts lässt sich in entsprechenden Kränzchen und Runden, bzw. wenn der Fahrstuhl steckenbleibt, prickelnder und raumgreifender sprechen als über, so heißt das einschlägig, die diesbezüglichen eigenen »Erinnerungen und Nicht-Erinnerungen«, wobei noch zu klären wäre, was enervierender ist: das Sich-Brüsten mit tatsächlich Erlittenem, das Sich-Ergehen in permanenter Opfer-Gestik und -Rhetorik oder aber das Kramen in Nicht-Erinnerungen, das Zutagefördern erfundener Schrecken, um im Zuge der allgemeinen Wichtigmacherei nicht abseits stehen zu müssen;

      drittens aber – auf These und Antithese folgt stets und zwingend die Prothese – hat die klassische Kleinfamilie als Organisationsform zur Sicherung des Populationsbestandes quasi ausgedient und verspielt, und das kleine Glück ist gleichermaßen fragil wie fragwürdig geworden, leicht geht alles in die Dutten und groß sind dann Ach und Krach;

      und so kommt viertens und schlussendlich den jungen, frischgebackenen Vätern die schwere Aufgabe zu, sorgengepeitschte Mütter zu entlasten, beruhigend auf sie einzuwirken, ihnen mit Hilfe von vertrauensbildenden Maßnahmen die Angst, wenn nicht sogar die Ängste zu nehmen; denn wer Angst sagt, muss auch Ängste sagen, Angst vor der Zukunft z.B., oder, mit Björn gesprochen: »ein Stück weit Ängste vor den Zukünften«. In Zeiten allerdings, wo Woody Allen, der es wagte, ein Verhältnis mit einer zwar jungen, aber komplett volljährigen Frau zu haben, dennoch aber weiterhin seine kleine Tochter dann und wann auf dem Knie zu schaukeln, sie auf den Schoß zu nehmen u. dergl. und dafür in Emma von Alice Schwarzer zum Kinderficker deklariert wurde, als Verkörperung des Bösen schlechthin gilt – klar, Frau Schwarzer: Mann, Intellektueller, Komiker und auch noch Jude, das kann einfach nicht gutgehn –, in all dieser wirren Verzwacktheit aus Mutterschaft, bösen Onkels – nein, nicht auch noch die Nazi-Rocker mit ins allgemeine Gereiher hineingerührt, die sind hier nicht gemeint – und sog. »neuen Vätern« ist die Latte für den männlichen Erziehungsberechtigten hoch, sehr hoch gehängt, und unter den gleichsam hoffnungsvollen, wiewohl misstrauisch strengen Augen der Mütter kann es leicht zu einem folgenschweren Schnitzer kommen.

      Ein Beispiel? – Nur zu gern: Kürzlich hatte ich Gelegenheit, Herrn Worgitzky, einem Kollegen und Neu-Vater, beim Wickeln seiner vier Wochen zuvor geschlüpften Tochter Charlotte zuzusehen. Ruhig und geduldig, sanft und liebevoll, befreite sich der gut erhaltene Vierziger freudig von seiner Aufgabe und sein Töchterchen von der Kinderkacke. Die Kleine juchzte wonnig, alles war eitel Harmonie und Glück, an dem teilzuhaben die Mutter jetzt nahte, und kaum stand das familiäre Trio vereint, da entfuhr es Worgitzky geistesabwesend: »Aah, Lolita, du kleine geile Schlampe ...«

      Muss ich noch berichten, wie die Sache ausging? Von Worgitzkys Zwangseinweisung in ein sog. Männerhaus erzählen? Ich glaube kaum.

      1993

       Keine Macht den Drögen!

      MAN MUSS SIE NUR EINMAL ANSEHEN, die »Keine Macht den Drogen!«-Models: Berufslächler wie Jürgen Klinsmann, Landsertypen wie Lothar Matthäus, arme Schweine wie Steffi Graf, Dumm-macht-Sport-Figuren, gedopt und mit Medikamenten bis in die Haarspitzen voll; Jungpolizysten, die an der IQ-Minimalgrenze entlangschrappen; CSU-Heinis, chronisch im Dschum und dann bevorzugt mit dem Automobil unterwegs, damit eine kleine Todesfolge (für jemand anderes, natürlich) nicht unterbleibt, und alle gemeinsam mahnen und warnen und nölen und grölen sie dann, weil Denken ihre ganz starke Seite ist: Wer Haschisch spritzt, der raucht auch Heroin! Und nicken wichtig mit der Rübe und merken nichts, vor allem nicht, dass ihnen eh niemand zuhört, Millionen Kiffer im Lande nicht und auch sonst keiner, weil man seine Lebenszeit nicht mit Leuten verschwenden mag, die sich permanent als Lebensschützer aufspielen und so sichtlich alles hassen, was lebt und sich bewegt.

      »Wenn Richter Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, droht sich der Rechtsstaat ad absurdum zu führen«, kommentierte Ede Stoiber von der bayerischen Trinker- und Todesstrafepartei den Vorstoß des Lübecker Richters Nescovic zur Legalisierung von Cannabis und hat beinahe recht: Ja, wenn selbst ein Richter Allgemeinplätze bezweifelt und eigenständig zu denken beginnt, dann entfernt er sich tatsächlich von landesüblichen Gepflogenheiten. Dabei ist die Debatte de facto längst entschieden: Durchgezogen wird an jeder Ecke, die Einstiegsdrogentheorie ist, außer bei den ganzganz Dummen, längst vom Tisch, ob legal oder illegal gekifft wird, ist den Kiffern längst so gut wie scheißegal, sie tun es so oder so.

      Und nicht einmal Angehörige und Freunde von toten Junkies, sonst die allerletzte Talkshow-Waffe im Anti-Hanf-Kampf, lassen sich mehr willig zu Instrumenten einer falschen Drogenpolitik machen, die, weil sie keine Argumente hat, auf nichts setzen kann als auf Ressentiments, Uninformiertheit und die daraus resultierende Betroffenheit.

      Wer einem allen Ernstes ein drogen- und rauschfreies Leben andienen möchte, ist entweder sehr schlicht, Christ oder lügt; dass die Trinkerfraktion im Lande aus Angst vor Illegalisierung ihrer Droge andere kriminalisiert, ist der dumpfe Reflex von Abhängigen, die sich ihre Ration sichern wollen und dabei das Rauschrecht anderer verletzen, das da heißt, dass jeder nach seiner Fasson high werden möge. Ob er dazu 100 Kilometer läuft, damit körpereigene Opiate ausgeschüttet werden, ein paar Schachteln Pils oder diverse Kannen Sekt in sich hineinpüttchert oder eben den einen oder anderen Joint schmaucht, ist in erster Linie eine Frage des persönlichen Stils und Geschmacks; dass aber gerade die Alkoholikermajorität futterneidisch jede andere Droge neben König Alkohol wegzubeißen versucht, ist unverschämt: Trinken ist eine feine Sache, wenn sie zum zufriedenen Betrunkensein führt, aber gerade der Trinker fällt im Gegensatz zum Kiffer immer wieder unangenehm auf, benimmt sich schlecht, schlägt Frau, Kind, Hund, und das ist nicht gut. Die Süchtigen aller Fraktionen sollen sich vertragen, Politiker sollten sich, wenn überhaupt, statt zu ihrer uninteressanten Homosexualität zu den von ihnen bevorzugten Drogen bekennen, und wer meint, dass ein drogenfreies Leben ein Garant für einen klaren Kopf sei, der soll in diesem Wahn leben und andere damit zufrieden lassen, anstatt ihnen weiszumachen, ein rauschfreies Leben sei nicht


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