Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste


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Bärbel Bohley, die so malen kann wie Stephan Krawczyk singen, betreibt die Talkshow als Existenzform, und Wolf Biermann, der politisch in der Nähe jeder Fernsehkamera steht, macht für den Spiegel Klamauk im Hause Gauck und ernennt sich dreimal täglich zum Heine von heute.

      In dem Schleim aus Christlichkeit, Schuld und Sühne und medialer Wichtigtuerei wirkt Till Meyers klares Bekenntnis zur Stasi befreiend – es hätte für meinen Geschmack ruhig noch eine Nummer selbstbewusster ausfallen können.

      1992

       Komm, Erster Mai!

       Jährliche Rede zum Tag der Arbeit

      »HERAUS ZUM 1. MAI!« heißt eine alte Parole, die der Anarchist Fritz Teufel vor einigen Jahren aus der Gefängniszelle heraus so kommentierte: »Mir ist auch jeder andere Termin recht.« Dem kann ich nur zustimmen: Das Jahr hat 365 Tage, da muss nicht alles an diesem einen wegerledigt werden. Man kann es ruhig angehen lassen am Ersten Mai; es ist ein schöner Tag zum Schlachtenbummeln. Leicht aufgepeitscht von sog. »Frühlingsgefühlen« – die Vögel, die Bienen und alles, jaja – stromert und strolcht man durch die Straßen und setzt sich den Vibrationen seiner Mitmenschen aus, wird mit den Augen vernascht und vernascht zurück, in der Luft knistert eine allgemeine, sehr freundliche Geilheit, man pimpert mit Blicken und in Gedanken, aber auch in Worten und Werken, nimmt seine Süße, einmal her und einmal hin, und spielt ein schönes Spiel. Es heißt »Zusammenlegung jetzt!« Oh ja, so soll das sein, und kann man den Kampftag der Arbeiterklasse angemessener ehren als so?

      Natürlich kann man sich auch ernsthafter amüsieren gehen und z.B. bei einer Demonstration des DGB mitmarschieren. Denn so unsympathisch einem Gewerkschaftsfunktionäre, die Phänotypen von Korruptheit und geistiger Fettarschigkeit, auch sein mögen: Gewerkschaften sind, salopp gesagt, ganz ganz prima und können gar nicht stark genug sein. Denn ginge es nach denen, die idiotischer- und perfiderweise »Arbeitgeber« genannt werden – obwohl sie ja Arbeitnehmer sind, denn sie nehmen die Arbeit von denen, die ihre Arbeit und Arbeitskraft geben, die also die wahren Arbeitgeber sind, und sie bezahlen sie immer zu schlecht –, ginge es also nach der Nase der »Arbeitgeber« sich nennenden Arbeit-Nehmer, die Lohnabhängigen würden in Positionen von vor ca. 100 Jahren zurückgeboxt und hätten noch dankbar dafür zu sein. Denn das ist ja der Zweck, wenn man die, die ihre Arbeit geben, »Arbeitnehmer« nennt: ihnen das Bewusstsein, den Stolz, kurz: das Rückgrat zu brechen und sie auch noch zu verhöhnen. »Säg nicht am Ast, auf dem wir alle sitzen!« hebt die auf anderer Leute Knochen reich gewordene Bande noch den Moralfinger – als ob »wir alle« eine Fabrik besäßen (oder auch bloß eine besitzen wollten). Nein, den »sozialen Unfrieden« muss man nicht herbeireden, er ist da, er herrscht.

      Freunde eines verschärfteren Unterhaltungsprogramms werden am Ersten Mai in Kreuzberg gut versorgt: Dort findet die jährliche »letzte Schlacht« statt: Junge Helden in schwarz treffen auf Vertreter des »Schweinesystems« bzw., so will es der 1992er Jargon, »der imperialistischen Ausbeuter-Power« in waldgrün. Nicht, dass mir das Herz bräche, wenn Scheiben von Bankfilialen klirren, Schnapsläden niedergetrunken und Polizeiautos angezündet werden, aber muss man »die Weltrevolution« (darunter tun sie’s nicht) bei der Polizei anmelden und sie jedes Jahr am selben Tag und im selben Bezirk begehen? Anstatt sie immer wieder räumlich und zeitlich ein bisschen zu verlegen, damit das Spiel für die Aktiven auf beiden Seiten und für die Zuschauer spannend bleibt? (Ein kleiner Leckerbissen am Rande sind in jedem Jahr die Versuche des Kreuzberger alternativen Mittelstands, sozialarbeiterische Arschkriecherei als »Vernunft« auszugeben und sich schlichtend zwischen die Kontrahenten zu stellen. Bisher haben sie noch immer bekommen, was sie verdienen: tüchtig Haue von beiden Seiten.)

      Möglichkeiten, den Ersten Mai fröhlich und stimmungsvoll zu begehen, gibt es also reichlich. Mancher nimmt sich vielleicht auch nur still ein Winkelement und wedelt ein letztes Mal. Und drückt vor Rührung eine Träne ab, wg. »früher«.

      Ich wünsche alle Beteiligten an den Feierlichkeiten zum Ersten Mai den Spaß, den sie sich wünschen. Auf dass es ein eindrucksvoller Tag werde, eben einer von 365 im Jahr.

      1992

       Eiapopeia mit Negern

      HEISSA: WIR BEGEHEN DIE Woche des ausländischen Mitbürgers. Heißa und Hosianna: Wir bilden Menschenketten aus Ketten-, nein Quatsch!, aus Nervensägen. Wir haben nichts zu verlieren als unsere Menschenketten. Wir zünden Kerzen an, Lichtlein der Wärme und Liebe in einer kalten, kalten Welt. Wir nehmen uns bei den Händen und tanzen Ringelreihen: Seht her – wir fassen Ausländer an. Sogar ganz dunkle, sogar kohlenschwatte. Jaha. Sind wir nicht gut? Doch: Wir sind gut, Gutsein ist gut, alles wird jut, tut tut tut. Wir hauen – Bongo! Bongo! – auf das Fell von toten Tieren, arhythmisch, aber begeistert, in kuhäugiger Verzückung. Schramm schramm macht die Gitarre. Wir hampeln im Kreis und singen Lieder. Jesus macht auch mit bei uns. Das ist gut. Jetzt singen die ausländischen Mitbürger. Es sind Neger. Sie singen »Nggolloah hee, nggolli huu«, immer wieder, »Nggolloah hee, nggolli huu«, sie sehen schön aus dabei, fröhlich. Sie ermuntern uns, mitzutun, und so singen schon bald auch wir: »Nggolloah hee, nggolli huu« und schunkeln dabei. Was heißt »Nggolloah hee, nggolli huu«? Weiße Mann viel Scheiß in Kopp? Ja, genau das heißt es. Aber das wissen wir nicht. Wir singen nur ein schönes Lied für eine bessere Welt, in der ein Kind noch ein Rind sein darf, in der es Batterien nur für Taschenlampen, aber nicht für Hühner gibt, in der wir bedenkenlos die Milch glücklicher Schweine trinken können. Prost! Ein Toast auf uns und das Haus der Welt, an dem wir bauen: Aus Holz von gewaltlos gefällten Bäumen wird es sein und selbstverständlich nestwärmeisoliert. Und wenn es fertig ist, dann machen wir, die Schäfchen, ein kleines Schläfchen: mäh mäh, bzw. »Nggolloah hee, nggolli huu«.

      1993

       Vokabeltest

      »IHR HABT AUF HEUTE WÖRTER GELERNT!« – mit dieser ebenso drohenden wie unzutreffenden Behauptung betrat fünfmal die Woche Lateinlehrkraft Frl. Gebauer, eine kleine, zähe und energische Person mit viel Haar auf den Zähnen und einigem davon auf der Oberlippe, den Klassenraum. »Wörter gelernt«, d.h. Vokabeln gepaukt hatte man eben nicht, und so fürchtete man sich nicht wenig, denn ein Entkommen gab es selten oder nie: »Zehn Minuten Vokabeltest!« Und wenn auch die Segnungen bzw. Verwüstungen des Latinums lange verweht sind – die Vokabeltests, die vergeblichen Versuche, Kauderwelsch und wichtigtuerisches Gebrabbel in Sprache zu transponieren, haben seitdem nicht aufgehört.

      Nein, ich spreche hier nicht von Fachchinesisch oder vom oft gegeißelten Behördendeutsch. Aber haben Sie jemals versucht, eine Kommandoerklärung der RAF ins Deutsche zu übersetzen? Was sind Ihre geheimen Gedanken, wenn Sie Sportkommentatoren des Satans wie Heribert Fassbender oder Dieter Kürten Worte wie Nickligkeiten oder Standardsituationen raunzen hören? An was denken Sie bei Spielerfrauen? Sind Sie vielleicht selbst ein Gurtmuffel? Kaufen Sie im Schnäppchenmarkt? Oder bevorzugen Sie Restposten? Haben Sie eine Lebensgefährtin bzw. einen Lebensgefährten? Buchen Sie Ihren Resturlaub zum Schnupperpreis? Fühlen Sie sich wohl in der Okay-Gesellschaft? Und wie denken Sie über eine Ampelkoalition?

      Gleichermaßen wunder- wie qualvolle Gelegenheiten, den eigenen Wortschatz zu mehren, sind Wahlabende. Aus veritablen Sprech- und Sprengköpfen eimert es dann mit beneidenswert fröhlicher Dummheit heraus, man gibt sich dabei auch noch dezidiert, und das macht die Sache erst richtig schön. Am 24. Mai 1992, am Abend der Berliner Kommunalwahlen, saß ich, Ohren und Bleistift gespitzt, vorm TV-Apparat und ließ meinen Zoologischen Blick über Erscheinungen schweifen, deren Namen und Gesichtszüge man sich zum Glück nur selten merken kann. Auf und zu klappten die Münder, Berlin habe Brennglasfunktion, fiel aus einem heraus, der Rest der Bande nickte beflissen. Schade eigentlich, dachte ich, dass man Berlin nicht einfach wie eine Lupe nehmen, mit ihr den Rest des Landes in Brand stecken und sie hinterher, umweltgerecht natürlich, im nächsten Altglascontainer entsorgen kann!

      Allerhand Sonderbares gab es zu erfahren, ein sich vor die Kameras drängender


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