Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Wiglaf Droste

Die schweren Jahre ab dreiunddreißig - Wiglaf Droste


Скачать книгу
nennt er in der taz vom 17.10.88 den »Dschungel«, natürlich gibt es einen Aufschrei der Empörung, »Ungeheuerlichkeit«, »Verharmlosung der NS-Verbrechen«, »Verhöhnung der Opfer« heißt es, aber da, und das ist ein berechtigter Vorwurf, will Kapielski nicht gewusst haben, was er getan hat. Wenn man ein Tabu bricht, um eine Diskussion in Gang zu bringen, muss man diese hinterher auch führen.

      Kapielski hat in eine Eiterbeule hineingestochen, und jetzt brodelt es. Die Reflexe wollen ans Licht, pawlowsch die meisten. Sprache ist verräterisch: »Dass der Mord an den Juden kein Anlass für ein Wortspiel sein darf, steht nicht in Frage«, beginnt Klaus Hartung am 5.11. seinen Text »Wir sind nicht frei«; natürlich meint er nicht »Anlass«, sondern »Gegenstand« eines Wortspiels. Ein entscheidender Unterschied, zumal gerade Hartung Sorgfalt und Genauigkeit fordert und anderen »grenzenlose Verluderung« der Sprache vorwirft – der Halbalphabet als Sprachrichter in einer Debatte, in der wie so oft die Träne den Gedanken ersetzen muss und die Empörung das Argument.

      Das Fürsichgepachtethaben der Moral soll aber nicht nur die sprachliche Labbrigkeit, die der geistigen entspringt, kaschieren helfen; hier zeigt sich zuallererst die Deformation derer, die vor zwanzig Jahren antraten, die Bundesrepublik Deutschland als direkten NS-Nachfolgestaat zu demaskieren und radikal zu verändern, und die dann mit demselben Staat ihren Frieden gemacht haben. Aus zornigen jungen Menschen wurden saturierte mitlaufende staatstragende Elemente, aus ihrer Anklage gegen ihre Nazi-Eltern wurde folgerichtig Hetze gegen alle, die es mit der Veränderung ernst meinen und sich nicht so billig und willig versöhnen lassen: wer etwa dem Teufel der Militanz nicht abschwört, gerät augenblicklich in den Verdacht »faschistischer Methoden« oder ihrer Rechtfertigung; Autonome werden als »neue SA« tituliert.

      Die Opfer des Nationalsozialismus spielen im Eiertanz der x-mal Gebrochenen eine wichtige Rolle; kämpfte man einst gegen einen »Rechtsstaat«, in dem nazistische Herrschaftsmethoden nur leicht abgedämpft weitergeführt werden, in dem das Kapital aus praktischen Erwägungen von Faschismus auf »Demokratie« umgerüstet hat, so ist jetzt von Versöhnung die Rede, von Wiedergutmachung. Beides kann es nicht geben. Wie kann ein ermordeter Jude, Kommunist, Homosexueller sich versöhnen? Nichts kann ungeschehen gemacht werden. Verharmlost wird nicht von extrem rechter, sondern von liberaler und konservativer Seite, allen voran Richard von Weizsäcker mit seinen rituellen Sonntagsreden, die suggerieren, der Nationalsozialismus sei eine bedauerliche Entgleisung der Geschichte und nicht eine bei Bedarf jederzeit wiederholbare, perfekte Variante der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen; die breiigen Betroffenheitsvokabelmischungen eines Weizsäcker abzunicken, fällt niemand schwer, beruhigt aber ungemein und vermittelt das gute Gefühl, das Richtige zu denken, Hauptsache, es zieht keinerlei Konsequenz nach sich.

      Besonders perfide ist dabei der Pachtvertrag mit den NS-Opfern, den mancher ehemalige Linke bzw. sich links Fühlender so gerne abgeschlossen hätte: jeder jüdische Mensch wird auf die Rolle des Opfers festgeschrieben, wird zum Haken, an den man sein Kreuz, den Schuldkomplex, hängen kann: vom ewigen Juden zum ewigen Opfer, ein Paria, ein Stigma auf Beinen, das man mit gesenktem Haupt zum seelischen Mülleimer degradiert, verzeih mir, verzeih mir: Tazionalsozialismus oder: die Fortsetzung des Holocaust mit liberal-humanistischen Mitteln.

      Niemand von uns hat das Recht, in Ruhe gelassen zu werden mit Bildern von in Gaskammern qualvoll verreckenden Menschen; ein Kapielski, der diese Bilder mit einem dumpfen Vergleich wachruft, verharmlost und verniedlicht weniger als all die, die sich jetzt die Orden des Guten, Wahren und Schönen an die Brust heften. Dass die Debatte von Seiten ihrer Betreiber nur vorgeschoben ist, steht dabei noch auf einem ganz anderen Blatt. Die Rechtsstaats- und Revanchismus-Clique um K. Hartung, M.T. Mehr und V. Gaserow hat sich mit der Fraktion zur Rettung des sauberen Journalismus (»Nachrichtensicherheit«), einer berufsbetroffenen Frauenredakteurin und dem taz-Patriarchen Arno Widmann zur Koalition der SelbstgeRechten verbündet; nach Vorwürfen wie Unseriosität, Pornographie usw. fuhr man kollektiv das dickste Geschütz auf, und all die, die man zuvor schon nur mit gramverzogenem Mundwinkel ertragen mochte, wurden ruckzuck zu »Antisemiten« erklärt.

      Wenn Mehrheiten Geschichte schreiben, kommt immer Geschichtsfälschung dabei heraus. Die taz-intern-Seite vom 4.11. ist ein Paradebeispiel für Verdrehung und Lüge. Zwar ist richtig, dass die beiden Redakteurinnen Sabine Vogel und Regine Walter-Lehmann sich trotzig bzw. steindumm verteidigt haben, der dramatische Schmierenauftritt V. Gaserows (»Ich will mit diesen Leuten nicht mehr arbeiten, heul schluchz buuuhuuuhuuu...«) bleibt aber ebenso unerwähnt wie differenziertere Stellungnahmen oder die Kopf-ab-Atmosphäre, in der aus Kolleginnen blitzschnell Delinquentinnen wurden. Sprache als Instrument der Selbstentlarvung: »Prozess« meint eben nicht das Procedere, sondern den kurzen Prozess, der im Brustton der Selbstgefälligkeit zum medialen Schauprozess ausgeweitet wird.

      »Geschichtslosigkeit« wurde den beiden Redakteurinnen vorgeworfen; nach der »Gaskammervoll»-Versammlung aber rief taz-»Chefin« Georgia Tornow Regine Walter-Lehmann an und erklärte: »Wenn das alles vorbei ist, gehen wir beide mal essen.«

      Überhaupt wimmelt es von Geschichtslosigkeiten in der taz: dass Hartung 1986 ihm unliebsame nachrotierende Grünen-Abgeordnete als »Parasiten der öffentlichen Hand« bezeichnet, wen kümmert’s? Dass Hartung Kritiker regelmäßig als »Denunzianten« bezeichnet? Auch egal, Hauptsache der Durchmarsch der taz-Rechten verläuft reibungslos, Sprachregelung inklusive. Wenn man statt von »Endlösung« von »Entsorgung« spricht, ist das die Endlösung eben nicht nur der Dudenfrage; wenn die Vokabel nur aseptisch ist, darf der Begriff so dreckig sein wie er will, so der Sprachkodex einer Zeitung, die außer dem täglichen Stillhalte- und Kapitulationsangebot an die Verhältnisse nichts mehr vorzuweisen hat.

      Würden sich Hartung, Widmann & Co. an den für sich reklamierten moralischen Kategorien messen, sie müssten sich fristlos selbst entlassen. Widmann etwa kostet es allenfalls ein müdes Lächeln, zur Abrechnung mit seiner K-Gruppen-Vergangenheit mal eben lässig über 20 Millionen tote Russen hinwegzugehen; jetzt spielt sich der Bigott zum Chefankläger auf und nennt seinen Kollegen Mathias Bröckers »das Kriminellste vom Kriminellen«. Wer die Macht will, schafft sich eine doppelte Moral an, Menschenrechte ja, aber nur für rechte Menschen. Dass der taz-interne Machtkampf auf dem Rücken der NS-Opfer ausgetragen wird, zeigt, wo es hingeht mit der »neuen taz«: eine Widerwärtigkeit, die ihresgleichen sucht, aber so leicht nicht finden wird.

      1988

       Laut Stammeln und Nuscheln

       Grönemeyer kann nicht tanzen

      HERBERT WAR HIER. IN BERLIN. Tempodrom. Total ausverkauft. Aber billig. Feiner Zug. Könnte mehr nehmen. Ist populär genug. Herbert hackt Sätze. Nuschelt. Klingt lustig. Auch irgendwie kaputt.

      LP heißt »Sprünge«. Was meint er? Große Sprünge? Bochum-Hollywood? Sprung in der Schüssel? Weiß nicht. Kann nichts sagen. Angst. Deutschland. Kindheit: Vater Pils. Mutter Putzen. Alles total kaputt.

      Herbert schmachtet. Balladen: »Gib mir den Schmerz zurück, ich brauch deine Liebe nicht.« Teenies toben. Tränen. Trauer. Wut.

      Amerika: Entsetzlich. Thema zwei. Unberechenbar. Überheblich. Noch schlimmer als Deutschland.

      Herbert ist klug. Mehr im Kopf als Publikum. Publikum ballt Faust. Ruft: »Buh«. Spendet Applaus.

      Band ist gut. Wuchtig. Schlagzeuglastig. Schwer. Trocken. Bisschen schwülstig. Herbert lacht. Schwitzt. Winkt. Freut sich. Gibt, was er hat. Hat den Jaul, nicht den Soul. Klingt leicht abgestochen. Aber voll da.

      Tanzen. Herbert kann nicht tanzen. Kein Rhythmus. Kein Körper. Sieht komisch aus. Krank. Hospitalistisch. Autistisch. Herbert hebt Zeigefinger. Ständig. Zeigt ins Publikum. Warum? Weiß nicht. Angst. Kann nichts mehr sagen. Aus.

      1989

       Gürtellinie, Dudenfrage

      WENN MAN, HÄNDE AUF DEM RÜCKEN, unsere schöne Kulturstadt abschreitet und inspiziert, kann es einem passieren, dass ein Mitmensch ohne geeignete Ventile die Straße entlanggerast kommt, armerudernd, beineschlenkernd und die Fäuste


Скачать книгу