Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
weitaus schneller gewachsen. Von dem, was Daly eine Ökonomie der „leeren Welt“ nannte, sind wir zu dem übergegangen, was er als Ökonomie der „vollen Welt“ bezeichnet.
„Das wirtschaftliche Wachstum hat die Welt mit uns und unseren Dingen angefüllt, aber sie hat sie im Vergleich dazu der Dinge entleert, die vor uns da gewesen sind – was nun uns und unseren Dingen einverleibt ist, nämlich das natürliche System, welches das Leben erhält und das wir seit Kurzem in später Anerkennung seiner Nützlichkeit und Knappheit ‚natürliches Kapital‘ nennen. Eine weitere Expansion der ökologischen Nische des Menschen steigert nun oftmals die Kosten für die Umwelt schneller, als sie die Vorteile der Produktion vermehrt, und leitet damit eine neue Ära des antiökonomischen Wachstums ein […] eines Wachstums, das eher zur Verarmung als zur Bereicherung führt, da es unter dem Strich mehr kostet, als es wert ist. Dieses antiökonomische Wachstum macht es schwerer und nicht etwa leichter, die Armut zu besiegen und die Biosphäre zu schützen.“ (Daly 1996, 218)
Ein nicht nachhaltiger Pfad
Wir haben bereits eine Weise erwähnt, wie man die Wirtschaft der „vollen Welt“ verstehen kann: das Nettoprimärprodukt (NPP). Die Menschen verbrauchen nun über 40 % der Energie, die mittels Fotosynthese an Land erzeugt wird; 3 % werden direkt verbraucht, während der Rest schlicht verschwendet oder zerstört wird (durch Verstädterung, Entwaldung, Verschwendung von Feldfrüchten etc.) Der Anteil des verbrauchten NPP steigt noch weiter an, wenn wir die zerstörerischen Auswirkungen von Verschmutzung, globaler Erwärmung und Ausdünnung der Ozonschicht mit einbeziehen. (Meadwos et. al. 1992) Bei den derzeitigen Wachstumsraten werden wir um das Jahr 2030 80 % des NPP zu Lande für uns beanspruchen. (Korten 1995)
Ein anderer Zugang, um die Grenzen des Wachstums zu begreifen, ist die Vorstellung vom „ökologischen Fußabdruck“, wie sie William Rees und Mathias Wackernagel aus Britisch Kolumbien entwickelt haben. Ein ökologischer Fußabdruck basiert auf der Berechnung der Landfläche, die nötig ist, um die Lebensmittel, das Holz, das Papier und die Energie für einen Durchschnittsbewohner einer bestimmten Region oder eines Landes zu produzieren.
Während wir einen sehr kleinen Teil von 12 % der Landfläche der Erde nichtmenschlichen Arten überlassen (diese Größenordnung scheint schon fast auf skandalöse Weise gering zu sein), stehen jedem Menschen für seinen Unterhalt zurzeit 1,7 Hektar (bzw. 1,8 Hektar, wenn man auch die Meeresressourcen mit einbezieht) zur Verfügung. Doch der durchschnittliche Fußabdruck pro Person beträgt bereits 2,3 Hektar.12 Mit anderen Worten: Wir verbrauchen bereits 30 % mehr als das, was langfristig aufrechterhalten werden kann, und zwar vor allem aufgrund unseres Verbrauchs nichterneuerbarer Ressourcen. Wenn wir einen Anteil von 33 % des Landes anderen Lebewesen überließen – was eher der Vernunft entspräche ‒, dann hätte jede Person weniger als 1,3 Hektar zur Verfügung. Das bedeutet, dass wir in diesem Fall 75 % mehr konsumieren als das, was dem Kriterium der Nachhaltigkeit entspräche.
Oberflächlich betrachtet, könnte man daraus den Schluss ziehen, dass die Weltbevölkerung um mindestens ein Drittel reduziert werden müsste. Natürlich spielen die bloßen Zahlen eine Rolle, aber sie enthalten nicht die ganze Geschichte. Der Durchschnittsbewohner von Bangla Desh zum Beispiel hat einen ökologischen Fußabdruck von 0,6 Hektar, ein Peruaner braucht 1,3 Hektar. Die reichsten Nationen der Erde andererseits brauchen irgendetwas zwischen 5,4 Hektar (Österreich) und 12,2 Hektar (USA). Wenn jeder Erdenbewohner so viel bräuchte wie ein Bewohner des Nordens im Durchschnitt, dann würden wir mit etwa 7 Hektar pro Person ungefähr drei bis vier weitere mit der Erde vergleichbare Planeten benötigen, um unser Dasein zu erhalten. Es ist also klar, dass der übermäßige Konsum im Norden eine der Hauptursachen der ökologischen Bedrohung ist.
Ein weiterer Beleg für die Unmöglichkeit eines stetigen uneingeschränkten Wirtschafswachstums wird von einer ausgefeilten Computersimulation geliefert, wie sie die Autoren des Buches „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows et. al. 2006) benutzt haben. Wenn wir den derzeitigen Wachstumspfad in herkömmlicher Weise fortsetzen, ohne dabei größere politische Veränderungen vorzunehmen, werden unser materieller Lebensstandard und der menschliche Wohlstand kurz nach der ersten Dekade unseres Jahrhunderts dramatisch abnehmen – spätestens um 2025.
Je nach den unterschiedlichen Strategien und Szenarien, deren man sich bedient, kann der schnelle Niedergang des menschlichen Wohlstands hinausgezögert werden. Doch es ist verblüffend, dass selbst eine Verdoppelung der verfügbaren nichterneuerbaren Ressourcen einen relativ geringen Effekt hat. Nimmt man verbesserte Technologien in Verbindung mit einer größeren Verfügbarkeit von Ressourcen hinzu, dann verspricht dieses Szenario mehr Aussichten, den Kollaps zu vermeiden, obwohl sogar in diesem Fall die Lebenserwartung um die Mitte des Jahrhunderts zurückgeht. Doch dieses Szenario geht von den allerkühnsten optimistischen Annahmen aus: eine Verdoppelung der bekannten Ressourcen, eine effektive Kontrolle der Verschmutzung, deutlich höhere Ernteerträge, Schutz vor Bodenerosion und eine deutlich verbesserte Ressourcenproduktivität. Längerfristig (nach 2100) jedoch wird der Lebensstandard letztlich nicht mehr nachhaltig sein, da die Kosten steigen.
Man sollte auch anmerken, dass die Abänderung auch nur einer dieser optimistischen Annahmen ausreichen würde, um einen dramatischen Niedergang des menschlichen Wohlstands zu bewirken. (So zum Beispiel wenn man die Annahme revidiert, dass eine deutlich höhere Ressourceneffizienz durch eine verbesserte Technik erreicht werden kann: In diesem Fall würde die Projektion im Ergebnis einen Kollaps rund um das Jahr 2075 zeigen). Es kann auch sehr wohl der Fall sein, dass dieses Modell die Auswirkungen des Klimawandels unterschätzt, den wir bereits in Gang gesetzt haben. Schließlich bemerkt Meadows:
„Solange es exponentielles Wachstum der Bevölkerung und Industrie gibt, solange diese beiden verankerten Wachstumsprozesse durchstarten und immer mehr Bedürfnisse erzeugen, macht es nicht viel Unterschied, von welchen Annahmen man im Hinblick auf die Technologie, auf die Ressourcen und auf die Produktivität ausgeht. Irgendwann ist die Grenze erreicht, man schießt über das Ziel hinaus und kollabiert […] Selbst wenn man von kühnen Annahmen in Bezug auf die Technologie oder die Ressourcen ausgeht, dann verzögert das den Zusammenbruch vielleicht um ein Jahrzehnt. Es wird immer schwerer, sich eine Reihe solcher Annahmen vorzustellen, die in diesem Modell zu nachhaltigen Ergebnissen führen.“ (zitiert bei Gardner 2006, 38)
Wenn andererseits das Bevölkerungswachstum stabilisiert und der Pro-Kopf-Verbrauch deutlich gesenkt werden kann (während man gleichzeitig die Verschmutzung effektiver kontrolliert und den Boden schützt), kann der wirtschaftliche und ökologische Zusammenbruch immer noch vermieden werden. Im Gegensatz zum vorhergehenden Szenario kommt dies ohne die – wahrscheinlich unrealistische – Annahme einer Verdoppelung der verfügbaren nichterneuerbaren Ressourcen aus.
Doch die Zeit ist ein kritischer Faktor. Die Projektionen, die Meadows und andere durchgeführt haben, zeigen, dass das Ergebnis weniger Verschmutzung, mehr nichterneuerbare Ressourcen für alle und ein leicht höherer allgemeiner Wohlstandsindex gewesen wäre, wenn die wesentlichen Veränderungen, die in diesem Szenario vorausgesetzt werden, vor zwanzig Jahren tatsächlich stattgefunden hätten. Umgekehrt: Je länger wir damit warten, das Wachstum zu stoppen, umso katastrophaler werden die Folgen sein und umso schwieriger der Übergang zur Nachhaltigkeit. Die Autoren bemerken:
„Wachstumsvorgänge, besonders exponentielles Wachstum, sind deshalb so tückisch, weil sie die für wirksame Aktionen verfügbare Zeit immer mehr verkürzen. Die Belastung eines Systems wächst immer rascher an, bis schließlich die Fähigkeit zum Handeln nicht mehr ausreicht. Bei einer langsameren Entwicklung wäre sie aber mit dem jeweiligen Problem noch fertig geworden […] Wenn die Bevölkerung und die Wirtschaft die materiellen Grenzen der Umwelt überzogen haben, gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: entweder der Zusammenbruch infolge nicht mehr beherrschbarer Mangellagen und Krisen oder bewusste, freiwillige Reduzierung der Durchsatzmengen als soziale Gemeinschaftsaufgabe.“ (Meadows et.al. 1992, 218; 228–229)
Und in jüngerer Zeit:
„Wenn wir die Verringerung der Durchsatzmengen und den Übergang zur Nachhaltigkeit aufschieben, bedeutet dies bestenfalls, dass wir die Optionen zukünftiger Generationen einschränken – und schlimmstenfalls, dass wir den Zusammenbruch beschleunigen.“ (Meadows et.al.