Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

Befreite Schöpfung - Leonardo Boff


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nachhaltigen Wirtschaft überschritten haben, scheinen wir immer noch weit davon entfernt zu sein, uns freiwillig zu einer Reduktion des Konsums oder des „ökonomischen Durchsatzes“ zu entschließen. Tatsächlich bestehen die meisten Wirtschaftswissenschaftler und Politiker nach wie vor darauf, dass Wachstum ein wesentliches Merkmal einer gesunden Wirtschaft sei. Warum ist Wachstum nach wie vor so attraktiv?

      Die Befürworter führen ins Feld, dass weiteres Wachstum zur Bekämpfung der Armut nötig sei. Es ist ganz offensichtlich, dass viele Menschen – wahrscheinlich der größere Teil der Menschheit – nicht über genügend Ressourcen verfügen, um ein Leben in Würde zu führen. Wachstum wird als ein „leicht gangbarer“ Weg betrachtet, diesem Problem zu begegnen. Wir müssen auf diese Weise den Kuchen nicht anders verteilen, sondern ihn bloß größer machen.

      Doch die Tatsache, dass es sehr konkrete Grenzen des Wachstums gibt, bedeutet, dass dieser Weg schlicht nicht möglich ist. Geht man davon aus, dass die Weltbevölkerung im Lauf dieses Jahrhunderts auf neun Milliarden Menschen ansteigen wird, dann müsste die Wirtschaft mindestens um das Zwanzigfache wachsen, um für alle Menschen jenes Konsumniveau zu gewährleisten, das derzeit die reichsten 20 % genießen. Die UN haben die Schätzung vorgelegt, dass die Wirtschaft, wenn wir uns bei der Armutsbekämpfung allein auf das Wirtschaftswachstum verlassen, um das Fünf- bis Zehnfache wachsen müsste, nur um für die heute Armen einen vernünftigen Lebensstandard zu gewährleisten. (McKibben 1998, 72) Da die Wirtschaft bereits heute jedes nachhaltige Niveau überschritten hat, würde der ökologische und ökonomische Zusammenbruch lange vor Erreichen dieser Ziele eintreten. Warum also reden Politiker und Wirtschaftsfachleute dem Wachstum als Mittel zur Armutsbekämpfung immer noch beharrlich das Wort? Das Worldwatch Institute hat dazu folgende Beobachtung gemacht:

      „Die Sichtweise, dass das Wachstum einen immer größer werdenden Kuchen an Reichtümern herbeizaubert, ist ein einflussreiches und geeignetes politisches Instrument, denn sie macht es möglich, die unbequemen Themen der Ungleichheit der Einkommen und einer Schräglage in der Verteilung des Wohlstandes zu vermeiden. Die Menschen gehen davon aus: Solange es Wachstum gibt, kann sich das Leben der Armen verbessern, ohne dass die Reichen Einbußen an ihrem Lebensstil hinnehmen müssen. Die Wahrheit jedoch sieht anders aus: Eine ökologisch nachhaltige Weltwirtschaft zu erreichen ist nicht möglich, ohne dass diejenigen, die Glück (sic!) hatten, ihren Konsum begrenzen, um den Armen die Möglichkeit einzuräumen, den Ihrigen zu steigern.“ (Brown et. al. 1991, 119–120)

      Jedenfalls hat ein Jahrhundert eines unvorhergesehenen „Wachstums“ zu keiner wirklichen Abnahme der Armut geführt, und es sieh auch nicht so aus, als könnte dies in Zukunft der Fall sein. Selbst wenn sich die wirtschaftlichen Wachstumsraten der armen Länder verdoppeln würden, würden nur sieben von ihnen im nächsten Jahrhundert zu den reichen Ländern aufschließen, und nur neun weitere im nächsten Jahrtausend. (Hawken 1993)

      Der Entwicklungsexperte David Korten betont sogar, dass gerade eine Politik der Wachstumsförderung die Armut verschlimmern kann, da sie „Einkommen und Vermögen an diejenigen, die Eigentum besitzen, zulasten derjenigen, die ihr Leben durch ihrer Hände Arbeit fristen, umverteilt“ (1995, 42). Ein Umstieg auf landwirtschaftliche Exportprodukte zum Beispiel mag das Wachstum steigern, doch er fördert auch das große Agrobusiness zulasten der Kleinbauern, die Lebensmittel erzeugen. Mehr Abholzung steigert das Wirtschafswachstum, doch es führt auch zur Vernichtung traditioneller Lebensweisen, deren Grundlage die Ressourcen des Waldes sind, und gleichzeitig bewirkt es auch eine zunehmende Bodenerosion und verminderten Regen.

      Vieles, was als Wachstum zählt, ist einfach ein Wechsel von einer nicht-monetären zu einer monetären Wirtschaft. Häufig wird das dadurch erreicht, dass man die Armen ihrer traditionellen wirtschaftlichen Grundlage beraubt und sie dazu zwingt, innerhalb einer monetären Wirtschaft zu abhängigen Arbeitern zu werden. Korten zieht daraus den Schluss:

      „Das fortgesetzte Streben nach Wirtschaftswachstum als dem Organisationsprinzip der Politik beschleunigt den Zusammenbruch der Regenerationsfähigkeiten der Ökosysteme und des sozialen Netzes, das menschliche Gemeinschaft erhält. Gleichzeitig intensiviert es den Wettlauf zwischen Arm und Reich um Ressourcen – ein Wettlauf, den die Armen zwangsläufig immer verlieren.“ (1995, 11)

      Der einzige Weg, den Problemen von Armut und Ungleichheit wirksam zu begegnen, ist es deshalb, dass diejenigen, die das Meiste haben, ihren Konsum drastisch reduzieren, damit die begrenzten Reichtümer der Welt gerechter unter allen verteilt werden. Natürlich mag einiges dieser Reduktion durch eine effizientere Nutzung vorhandener Ressourcen erreicht werden, etwa durch den Umstieg auf nachhaltige Energieformen oder die Umschichtung von Ressourcen aus den Militärausgaben. Doch eine gleichzeitige Reduktion des Konsums insgesamt und eine Zunahme der Ressourcen für die Armen erfordern immer noch eine Änderung des Lebensstils der Reichen (und mächtigsten) 20 % der Menschheit.

      Die Herausforderung, den Konsum im Norden zu reduzieren und Wohlstand an den Süden umzuverteilen, mag auf den ersten Blick überwältigend erscheinen, doch dies käme letztlich allen zugute. Einige Vorteile daraus wären ökologischer Natur. Das Worldwatch Institute hebt hervor, dass die sich weitende Kluft zwischen Reich und Arm ein wesentlicher Faktor ökologischer Zerstörung ist. Einerseits richten diejenigen, die auf der Einkommensskala ganz oben sind, aufgrund ihres hohen Konsumniveaus und der Erzeugung riesiger Mengen von Abfall und Verschmutzung den größten ökologischen Schaden an. Andererseits tragen auch diejenigen, die in extremer Armut leben, zur Schädigung der Ökosysteme bei, während sie immer weiter an den Rand gedrängt werden. Aufgrund dieser Situation können sie gezwungen sein, mageres Land zu überweiden, Wälder zu schädigen, weil sie Brennholz brauchen, und Feldfrüchte an Abhängen anzupflanzen, die anfällig für Bodenerosion sind. Im Gegensatz dazu beeinträchtigt der Teil der Menschheit mit einem bescheidenen, aber ausreichenden Auskommen tendenziell die umfassendere planetarische Gemeinschaft am wenigsten. Ein größeres Maß an Gleichheit würde also viele der Schäden beseitigen, die aus den Extremen von Wohlstand und Armut resultieren. (Brown et. al. 1994)

      Darüber hinaus würde eine Neuverteilung des Wohlstands der Welt Milliarden Menschen aus der Verzweiflung und dem Elend bedrückender Armut befreien, es ihnen ermöglichen, ihr menschliches Potenzial stärker zu entfalten, und auf sinnvolle Weise zu einer nachhaltigen Zukunft beizutragen. Die Vorteile einer solchen Umverteilung für den Norden sind nicht so unmittelbar erkennbar, doch man kann sicher die Meinung vertreten, dass eine Abkehr von der Konsumkultur der überentwickelten Welt letztlich zu einer Erneuerung des Gemeinschaftslebens verhelfen würde, da die Leute von einem von Stress und Konkurrenz geprägten Lebensstil befreit würden. Eine bessere Verteilung von Einkommen und Wohlstand könnte eine bessere Gesundheit aller bewirken. So schreibt Korten:

      „Sauberes Wasser und geeignete Sanitäranlagen sind vielleicht die wichtigsten Faktoren für Gesundheit und langes Leben. Die Erfahrung an Orten wie zum Beispiel dem indischen Bundesstaat Kerala zeigt, dass diese notwendigen Dinge bereits ab einem ganz bescheidenen Einkommensniveau erreichbar sind. Im Gegensatz dazu ist in Ländern mit einem hohen Einkommensniveau eine Zunahme von Krebserkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, Stress und Herz- und Gefäßerkrankungen, von Schädigungen der Leibesfrucht und eine Abnahme der Spermienzahl zu verzeichnen. Es gibt eine zunehmende Fülle von Belegen dafür, dass all diese Phänomene Nebenprodukte des Wirtschaftswachstums sind und auf die Verschmutzung der Luft und des Wassers, chemische Zusätze und Pestizidrückstände in der Nahrung, hohe Lärmpegel und einer zunehmenden Beeinträchtigung durch elektromagnetische Strahlung zurückgehen. (1995, 40–41)

      Schließlich ist es ein Vorteil größerer Gleichheit, dass diese sehr wahrscheinlich der Schlüssel für eine Eindämmung der Überbevölkerung sein könnte. Gewöhnlich begann das Bevölkerungswachstum erst dann zurückzugehen, wenn die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt waren und die Leute sich sicher genug fühlten, um weniger Kinder zu haben (diese stellen eine Grundform der Altersvorsorge dar). Es ist bemerkenswert, dass in den Siebzigerjahren, als die Einkommen im Süden stiegen, die Bevölkerungswachstumsraten deutlich zurückgingen. Mit dem Beginn der Verschuldungskrise und der Durchsetzung einer harten Austeritätspolitik in den Achtzigerjahren sanken die Einkommen drastisch, und gleichzeitig stiegen die Raten des Bevölkerungswachstums an. Erst in den Neunzigerjahren sanken diese wieder, doch selbst zu dieser Zeit konnte etwa ein Drittel der Reduktion auf die Aids-Pandemie


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