Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

Befreite Schöpfung - Leonardo Boff


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bedeutet gleichzeitig, dass es Hoffnung gibt, sie in sinnvoller Weise zu bewältigen. Tatsächlich haben viele Menschen mit Einsicht und Fantasie hart daran gearbeitet, praktische Alternativen aufzuzeigen, die es der Menschheit ermöglichen könnten, in Würde zu leben, ohne die Gesundheit der Ökosysteme der Erde zu gefährden.

      Wir sind davon überzeugt, dass wir über den Großteil der Information und der Kenntnisse verfügen, die wir brauchen, um unsere gegenwärtige Krise zu überwinden. Macy und Brown stellen mit Recht fest:

      „Wir können das Leben wählen. Ungeachtet unheilsschwangerer Vorhersagen können wir immer noch handeln, um eine Welt zu erhalten, in der man leben kann. Entscheidend ist es, sich über Folgendes klar zu sein: Wir können unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne das System zu gefährden, das Leben ermöglicht. Wir haben das technische Wissen und die Kommunikationsmittel, um das zu leisten. Wir haben genügend Grips und Ressourcen, um genügend Nahrungsmittel zu erzeugen, eine saubere Luft und sauberes Wasser sicherzustellen und die nötige Energie mithilfe von Sonne, Wind und Biomasse zu erzeugen. Wenn wir nur wollen, dann haben wir die Mittel, das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren, Waffensysteme abzubauen und Kriege abzuwenden und in demokratischer Selbstverwaltung jedem eine Stimme zu geben.“ (1998, 1)

      Natürlich werden harte Arbeit, aufeinander abgestimmtes gemeinsames Handeln und Organisation erforderlich sein, um diese Alternativen in die Praxis umzusetzen. Doch zu allererst bedürfen wir der Energie, der Vision, des Sensoriums und der Weisheit, die unserem verändernden Handeln den Weg weisen – wir bedürfen eines echten Tao, das zur Befreiung führt. Wir müssen die verschiedenen Dimensionen der globalen Krise und die Kräfte verstehen, die sich vereint haben, um sie zu verewigen. Wir brauchen ein immer tieferes Verständnis der Wirklichkeit selbst, gerade auch davon, welcher Art die Veränderung ist. Und wir müssen unser Gespür schärfen und unser Wahrnehmungsvermögen entwickeln, damit es imstande ist, in schöpferischer und effektiver Weise zu reagieren.

      Im Streben nach dieser Art von Weisheit müssen wir zuerst erkennen, dass all die Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, in gewisser Weise als Symptome einer tiefer liegenden kulturellen und spirituellen Krankheit sind, von der die Menschheit befallen ist, insbesondere jene 20 % der Menschen, die den Großteil des Wohlstands der Welt konsumieren. Das veranlasst uns dazu, unsere Kulturen, unsere Werte, unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme und uns selbst genauer zu betrachten. Der Psychologe Roger Walsh bemerkt, dass die Krisen, mit denen wir es zu tun haben, dazu dienen können, „unsere Schutzpanzer abzulegen und uns dabei zu helfen, uns sowohl mit dem wahren Zustand der Welt als auch mit unserer Rolle dabei zu konfrontieren“ (1984, 77). Sie haben das Potenzial, uns zu wirklich tiefgreifenden Veränderungen unserer Lebensweise, unseres Denkens und Handelns, ja tatsächlich auch der Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen, hinzuführen.

      Krisenzeiten können schöpferische Zeiten sein, Zeiten, in denen neue Visionen und neue Möglichkeiten entstehen. Das chinesische Zeichen für Krise, wei-ji, setzt sich aus den beiden Zeichen für Gefahr und Chance zusammen (sie werden von einem nicht aufzuhaltenden Speer und einem undurchdringbaren Schild repräsentiert). Das ist nicht einfach ein Widerspruch oder ein Paradoxon. Die Gefahr selbst, der wir ins Auge sehen, spornt uns dazu an, tiefer zu sehen, nach Alternativen zu suchen und Chancen zu ergreifen. Unser eigenes Wort Krise kommt vom altgriechischen Verb krinein, was „trennen, unterscheiden“ bedeutet. Damit ist eine Wahl zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten angesprochen. Wenn wir nicht handeln, um die Situation der sich verschlimmernden Armut und ökologischen Zerstörung zu verändern, dann entscheiden wir uns dafür, den Weg fortzusetzen, der in den Abgrund der Verzweiflung führt.

      Doch es gibt auch die Möglichkeit einer anderen Wahl: Wir haben die Chance, uns für eine neue Weise, auf unserem Planeten zu leben, eine neue Weise, miteinander und mit den anderen Kreaturen der Erde zu leben, zu entscheiden. Es gibt viele Inspirationsquellen für eine veränderte Welt. Einige davon sind alt und entstammen dem Erbe verschiedener Kulturen und spiritueller Traditionen. Andere entstehen aus Strömungen wie etwa der Tiefenökologie, dem Feminismus, dem Ökofeminismus und der neuen Kosmologie, die von den Naturwissenschaften ausgeht. Eine neue Sichtweise der Wirklichkeit, eine neue Weise des In-der-Welt-Seins wird möglich. Macy und Brown bemerken zu Recht:

      „Das auffallendste Merkmal der derzeitigen historischen Situation auf Erden ist nicht, dass wir dabei sind, unsere Welt zu zerstören – das ist tatsächlich schon eine ganze Weile der Fall. Es besteht vielmehr darin, dass wir gerade wie aus einem tausend Jahre langen Schlaf aufwachen und empfänglich werden für eine neue Beziehung zu unserer Welt, zu uns selbst und zueinander. Dieser neue Bezug zur Wirklichkeit macht die Große Wende möglich.“ (1998, 37)

      Wenn eine echte Veränderung, die in eine Welt auf der Grundlage einer neuen Vision mündet, als schwierig erscheint, dann ist das weitgehend darauf zurückzuführen, dass eine ganze Reihe von miteinander zusammenhängenden Hindernissen einen Wandel unmöglich erscheinen lassen. Ein wichtiger Schritt auf der Suche nach einem Tao der Befreiung besteht daher darin, die ganz konkreten Faktoren zu begreifen, die einem Wechsel im Weg stehen. Um dies deutlicher zu sehen, werden wir die Hindernisse, mit denen wir konfrontiert sind, von drei unterschiedlichen Perspektiven aus in den Blick nehmen. Bildlich kann man sich das etwa als einen Prozess vorstellen, in dessen Verlauf mehrere Schichten abgetragen werden. Wir werden bei Gelegenheit wieder auf dasselbe Hindernis zurückkommen, um es von einer anderen, oftmals subtileren Ebene aus zu betrachten. Doch in gewissem Sinne sind all diese unterschiedlichen Schichten oder Perspektiven einander ergänzende Weisen, eine einzige Wirklichkeit zu sehen.

      Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus sind die von uns in Augenschein genommenen Hindernisse systemischer Natur. Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Welt zerstören die Erde aktiv und verhindern gleichzeitig ein effektives Handeln zur Lösung der Probleme. In zunehmendem Maße hat eine kleine Anzahl von transnationalen Konzernen die Macht inne, die von demokratischen Instanzen immer weniger zur Verantwortung gezogen werden können. Die Wirtschaft des globalen Kapitalismus hat eine Ideologie des Wachstums und des quantitativen Fortschritts zur Grundlage. Ein immer größerer Teil des Profis wird mittels Spekulation erzielt, während den wirklich produktiven Tätigkeiten der Natur und der Sozialökonomie wenig Wert beigemessen wird. Immer weniger Menschen profitieren von diesem System, während ein immer größerer Teil der Menschheit schlicht ausgeschlossen wird. Das Leben der Natur und das Leben der Armen werden in lebloses Kapital in Form von Geld verwandelt – Geld, das von seinem Wesen her eine abstrakte Größe ist und keinen Wert in sich hat. Da dies kein nachhaltiges System ist, kann nicht einmal jene Minderheit der Menschen, die zurzeit davon profitiert, hoffen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Kurz: Unsere Welt wird von einem krankhaften System außerhalb jeder Kontrolle beherrscht, das, sich selbst überlassen, die Erde selbst zu zerstören droht.

      Indem wir dieses krankhafte System untersuchen, wollen wir seine Dynamik klarer verstehen und seinen von Grund auf ungesunden Charakter aufzeigen. Dabei werden wir sehen, wie der transnationale Kapitalismus seine Wurzeln sowohl im Patriarchat (der Beherrschung der Frauen durch die Männer) als auch im Anthropozentrismus (der Beherrschung der Natur durch den Menschen) hat. Die Herausforderung, eine Alternative zu entwickeln, besteht zum Teil darin, das Wesen von Macht neu zu fassen, und zwar nicht als Kontrolle, sondern als schöpferisches Potenzial, das in die Beziehungen des wechselseitigen Einflusses hineinverwoben ist.

      Aus einer zweiten Perspektive gesehen verbinden sich die Strukturen globaler Ausbeutung und Herrschaft, um unsere Fähigkeit zur Veränderung auf einer psychisch-spirituellen Ebene zu untergraben. Objektive Unterdrückung erzeugt eine psychische Resonanz in Gestalt internalisierter Ohnmacht. Die Schwere der Krisen, mit denen wir es zu tun haben, bringt tendenziell auch eine Dynamik der Verleugnung, Schuld und – wenn wir den Mut haben, die Wirklichkeit ungeschönt zur Kenntnis zu nehmen – der Verzweiflung hervor. Ein Suchtverhalten kann als Abwehrmechanismus entstehen, um die schwer zu ertragende Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu müssen. Unser Geist wird abgetötet, und wir hören auf, in vollem Sinn als Menschen zu leben. Die Medien, unser Bildungssystem, der Konsumismus und (in vielen Ländern) militärische Unterdrückung verstärken zusammen mit einer ganzen Reihe subtilerer kultureller Mechanismen diese Herrschaft über den Geist. Unsere Wirklichkeitswahrnehmung selbst ist von einem System verzerrt,


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