Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

Befreite Schöpfung - Leonardo Boff


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sich innerhalb kurzer Zeit und übertrifft nun tatsächlich noch seine vergangene Schönheit. Diese Epoche – das Känozoikum – weist eine überbordende Fülle und Vielfalt des Lebens auf, wie es sie noch nie zuvor gegeben hat.

      In diesem atemberaubend schönen Zeitalter entstehen Menschen. Vor zwölf Tagen begannen unsere ersten Vorfahren, aufrecht zu gehen. Sechs Tage danach fängt der Homo habilis an, Werkzeuge zu benutzen, und gestern zähmte der Homo erectus das Feuer. Die modernen Menschen von der Spezies des Homo sapiens sind vor zwölf Stunden geboren worden.

      Den Großteil des Nachmittags und Abends dieses kosmischen Tages lebten wir in Einklang mit der Natur, waren mit ihren Rhythmen und Gefahren vertraut. Unser Dasein hatte tatsächlich wenig Einfluss auf die größere Gemeinschaft des Lebens – bis wir vor vier Minuten mit der Erfindung des Ackerbaus das erste Mal Pflanzen kultivierten und Tiere züchteten. Das Ausmaß unserer Eingriffe nahm immer stärker zu, wenn auch langsam, bis dann vor zwanzig Minuten einige von uns damit begannen, Städte zu bauen und in ihnen zu wohnen. Gerade mal vor zwei Minuten wurde der Einfluss der Menschheit auf die Ökosysteme um ein Vielfaches größer, als Europa sich zu einer Technologiegesellschaft zu entwickeln begann und seine eigene Macht durch koloniale Ausbeutung ausdehnte. Genau in dieser Zeit begann auch die Kluft zwischen Arm und Reich schnell zu wachsen.

       – Wir haben fast die Hälfte aller größeren Wälder der Erde, der grünen Lunge unseres Planeten, zerstört. Viele der wichtigsten und größten Waldgebiete – darunter die großen borealen Wälder, die Regenwälder in gemäßigten Zonen und die tropischen Regenwälder – unterliegen immer noch einem Prozess beschleunigter Zerstörung. Jedes Jahr wird eine Waldfläche, die größer ist als Bangla Desh, abgeholzt.

       – Wir haben riesige Mengen Kohlendioxid und andere Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt, was einen gefährlichen Kreislauf globaler Erwärmung und Instabilität des Klimas in Gang setzte. Die weltweite Temperatur hat im Durchschnitt bereits um 0,5 Grad Celsius zugenommen und könnte im Verlauf der nächsten zwanzig kosmischen Sekunden um zwischen 2 und 5 Grad Celsius ansteigen.7

       – Wir haben in der Ozonschicht, der schützenden Haut unseres Planeten, die die schädliche UV-Strahlung herausfiltert, ein gigantisches Loch verursacht. In der Folge hat die UV-Strahlung Rekordwerte erreicht und bedroht die Gesundheit vieler lebender Organismen.

       – Wir haben die Fruchtbarkeit der Böden und ihrer Fähigkeit, Pflanzen zu ernähren, ernsthaft gefährdet. 65 % des einst bebaubaren Landes sind inzwischen bereits verloren gegangen, davon etwa die Hälfte in den letzten neun kosmischen Sekunden, und weitere 15 % der Landoberfläche des Planeten werden zur Wüste. Während der letzten fünf kosmischen Sekunden hat die Erde eine solche Menge an Boden verloren, wie sie der kultivierten Fläche von Frankreich und China zusammengenommen entspricht. Zwei Drittel aller Ackerflächen wurden durch Erosion und Versalzung mäßig bis schwer geschädigt.

       – Wir haben Zehntausende von neuen chemischen Stoffen in die Luft, den Boden und das Wasser des Planeten eingebracht. Bei vielen von ihnen handelt es sich um langlebige giftige Substanzen, die die Lebensprozesse schleichend vergiften.

       – Wir haben tödlichen nuklearen Abfall erzeugt, der über Hunderttausende von Jahren hindurch in gefährlicher Weise radioaktiv sein wird. Das ist eine Zeitspanne, die weitaus länger ist als diese zwölf kosmischen Stunden, in denen der moderne Mensch existiert.

       – Wir haben Hunderttausende von Pflanzen- und Tierarten zerstört. Jährlich verschwinden etwa 50.000 Arten, und die meisten davon aufgrund von menschengemachten Ursachen. Man schätzt, dass die Rate des Aussterbens zehntausendmal größer ist als vor dem Auftauchen des Menschen auf dem Planeten. Und man nimmt an, dass wir derzeit die größte Massenvernichtung der Erdgeschichte durchmachen. Wissenschaftler sagen voraus, dass 20 bis 50 % aller Arten im Verlauf der nächsten dreißig Jahre (das entspricht sieben kosmischen Sekunden) verschwunden sein werden, wenn die derzeitigen Trends anhalten.

       – Die Menschen verbrauchen bzw. verschwenden zurzeit 40 % aller Energie, die für alle auf dem Land lebenden Lebewesen auf der Erde zur Verfügung steht (dies wird als die Nettoprimärproduktion, NPP, des Planeten bezeichnet). Und wenn wir fortfahren wie bisher, werden wir innerhalb der nächsten acht kosmischen Sekunden (das sind fünfunddreißig irdische Jahre) 80 % in Anspruch nehmen und nur 20 % allen anderen Lebewesen übriglassen.

      Unser Planet, das Ergebnis von vier Milliarden Jahren kosmischer Evolutionsgeschichte, wird von einer relativ kleinen Minderheit der Menschheit verschlungen, und selbst diese privilegierte Gruppe kann nicht darauf setzen, dass dieser Ausbeutungsprozess noch lange andauern kann. Es überrascht daher kaum, dass eine Gruppe von sechshundert Wissenschaftlern, darunter mehr als hundert Nobelpreisträger, anlässlich eines Treffens im Jahr 1992 eine „Warnung an die Menschheit“ veröffentlichten:

      „Es bleiben nur noch ein oder wenige Jahrzehnte, bevor die Gelegenheit zur Abwendung der Bedrohungen, vor denen wir heute stehen, verloren ist und die Aussichten für die Menschheit enorm abgenommen haben […] Wir brauchen eine neue Ethik ‒ eine neue Bereitschaft zur Einlösung unserer Verantwortung, sorgsam mit uns selbst und der Erde umzugehen. Aus dieser Ethik muss eine große Bewegung entspringen, die widerstrebende Politiker und Regierungen davon überzeugt, die erforderlichen Veränderungen vorzunehmen.“ (Brown 1994, 40)

      Inzwischen sind seit dieser Warnung, während wir dies niederschreiben, siebzehn Jahre ins Land gegangen. Auch wenn einige auf Weltebene einflussreiche Persönlichkeiten die Probleme von Armut und ökologischer Zerstörung ernster nehmen, gibt es immer noch keine miteinander abgestimmte Bewegung, um die Energien der Menschheit zu mobilisieren und der bevorstehenden Krise entgegenzutreten. Tatsächlich wird dem sogenannten Krieg gegen den Terrorismus (der weitgehend ein Krieg zur Sicherung der Ölquellen und des „Weiter so wie bisher“ ist) weitaus mehr Energie gewidmet als den Bedrohungen, die das Leben in einem bisher noch nie da gewesenen Ausmaß zerstören.

      Zum ersten Mal in der Entwicklung der Menschheit sind alle größeren Krisen, mit denen wir es zu tun haben – die Zerstörung der Ökosysteme, die bedrückende Armut von Milliarden Menschen aufgrund von Gier und aufgrund von systembedingter Ungerechtigkeit und die weiterhin bestehende Bedrohung durch Militarismus und Krieg – von uns selbst verursacht. Zusammengenommen haben diese Krisen das Potenzial, nicht nur eine bestimmte Kultur oder eine einzelne Region der Welt, sondern die menschliche Zivilisation als ganze und wahrlich auch die Integrität des gesamten Lebensnetzes auf unserem Planeten zu zerstören. Nicht nur die gegenwärtige, sondern auch die künftigen Generationen der planetarischen Gemeinschaft sind bedroht.

      Verständlicherweise erzeugen die Gefahren, denen wir ins Auge sehen, Angst. Es ist wichtig, dass wir beides wahrnehmen: die Situation als solche, und die Gefühle, die sie in uns hervorruft. Wenn wir die der Krise angemessene Dringlichkeit betonen, dann ist es deshalb auch entscheidend, apokalyptische Warnungen zu vermeiden,


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