Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
der Regierung abhängigen Trägern tätig sind. Heute gibt es Dutzende solcher Forschungs- und Studieneinrichtungen auf der ganzen Welt. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie ihre Arbeit innerhalb eines ausdrücklich formulierten Rahmens gemeinsamer zentraler Werte durchführen.
Die meisten dieser Forschungseinrichtungen bilden Gemeinschaften von Wissenschaftlern und Aktivisten gleichermaßen, die sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte und Kampagnen engagieren. Dabei scheinen sich die größten und aktivsten Koalitionen an der Basis auf drei Themenbereiche zu konzentrieren. Der eine betrifft die Umgestaltung der herrschenden Spielregeln und Institutionen der Globalisierung; einen weiteren bildet der Widerstand gegen genetisch manipulierte Nahrungsmittel und die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft; und der dritte ist das ökologische Design, das heißt ein konzertiertes Bemühen darum, unsere Infrastruktur, die Städte, die Technologien und Industrien so umzugestalten, dass sie ökologisch nachhaltig werden.
Im weitesten Sinne meint Design die Gestaltung von Energie- und Materialströmen für die Zwecke des Menschen. Ökologisches Design ist ein Prozess, im Verlauf dessen unsere menschlichen Zwecksetzungen sorgfältig mit den umfassenderen Mustern und Strömen der Natur verknüpft werden. Die Prinzipien des ökologischen Design bilden die Organisationsprinzipien ab, welche die Natur entwickelt hat, um das Gewebe des Lebens dauerhaft zu erhalten: ein steter Kreislaufstrom der Materie, die Nutzung von Sonnenenergie, eine Abkehr vom Bestreben herauszufinden, was wir der Natur entnehmen können, und eine Hinwendung zu dem, was wir von ihr lernen können.
In den letzten Jahren nahmen die Praktiken und Projekte eines ökologisch orientierten Designs einen enormen Aufschwung; sie alle sind inzwischen gut dokumentiert. Dazu zählen eine weltweite Renaissance ökologischer Landwirtschaft; die Neuorganisation verschiedener Industriezweige zu Einheiten, innerhalb derer der Abfall des einen die Ressource des anderen bildet; die Abkehr von einer am Produkt orientierten Wirtschaft hin zu einer an Dienstleistungen und Stoffströmen orientierten Wirtschaft, in welcher die industriellen Rohmaterialien und technischen Komponenten beständig zwischen Herstellern und Verbrauchern zirkulieren; Gebäude, die so gestaltet sind, dass sie mehr Energie erzeugen als verbrauchen (Passivenergiehäuser), keinen Abfall produzieren und ihren Betrieb aus eigenen Ressourcen aufrechterhalten; Autos mit Hybridantrieb, die gegenüber herkömmlichen Autos eine um ein Vielfaches effizientere Nutzung des Treibstoffs aufweisen, etc.
Diese Techniken und Projekte des Ökodesign setzen allesamt die Grundprinzipien der Ökologie um und weisen deshalb einige wesentliche Gemeinsamkeiten auf. Es sind tendenziell Projekte kleinen Zuschnitts, die eine reichhaltige Vielfalt aufweisen, die Energie effizient nutzen, keine Verschmutzung verursachen, am Gemeinwesen orientiert und arbeitsintensiv sind und damit eine Menge Arbeitsplätze schaffen. Die heute verfügbaren Techniken liefern den schlagenden Beweis dafür, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Zukunft kein technisches oder konzeptionelles Problem mehr darstellt. Er ist lediglich eine Frage von Werten und des politischen Willens.
Es hat den Anschein, als hätte dieser politische Wille in den letzten Jahren bedeutend zugenommen. Ein bemerkenswertes Anzeichen dafür ist Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit, der für die Förderung des ökologischen Bewusstseins eine wichtige Rolle gespielt hat. Im Jahr 2006 hat Al Gore persönlich zwölfhundert Freiwillige darin geschult, seine berühmte Dia-Show vorzuführen und die Botschaft weltweit zu verbreiten. Bis 2008 hatten sie fast zweitausend Präsentationen durchgeführt und damit ein Gesamtpublikum von zwei Millionen Menschen erreicht. In der Zwischenzeit hatte das Klima-Projekt, Gores Organisation, über tausend in gleicher Weise engagierte Personen in Australien, Kanada, Indien, Spanien und Großbritannien geschult. Sie verfügen nun über 2600 Referenten und haben weltweit ein Publikum von mehr als vier Millionen Menschen erreicht.
Eine weitere wichtige Entwicklung stellt das Erscheinen des Buches Plan B 3.0. So retten wir die Welt von Lester Brown, dem Gründer des Worldwatch Institute und einem der einflussreichsten ökologischen Vordenker dar. Der erste Teil von Browns Buch ist eine detaillierte Darstellung der grundlegenden wechselseitigen Verflochtenheit unserer hauptsächlichen Probleme. In einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig lässt, zeigt er auf, wie der Teufelskreis von Bevölkerungsdruck und Armut zur Erschöpfung der Ressourcen führt ‒ zu sinkenden Grundwasserspiegeln, versiegenden Quellen, schrumpfenden Wäldern, schwindenden Fischbeständen, Bodenerosion, Ausbreitung von Wüsten usw. – und wie diese Erschöpfung von Ressourcen, die durch den Klimawandel noch verschärft wird, gescheiterte Staaten hervorbringt, deren Regierungen ihren Bürgern keine Sicherheit mehr gewährleisten können. Von diesen werden einige aus purer Verzweiflung Terroristen.
Dieser erste Teil ist – wie nicht anders zu erwarten – deprimierend. Der zweite Teil hingegen, ein detaillierter Wegweiser zur Rettung der Zivilisation, ist optimistisch und höchst spannend. Er enthält die Beschreibung mehrerer gleichzeitiger Aktionen, die sich wechselseitig verstärken und damit die wechselseitige Abhängigkeit der Probleme, auf die sie reagieren, abbilden. Jeder einzelne der Vorschläge kann mithilfe von bereits vorhandenen Techniken umgesetzt werden, und tatsächlich werden auch alle Vorschläge anhand von erfolgreichen Beispielen irgendwo auf der Welt illustriert. Browns Buch ist möglicherweise der klarste Aufweis der Tatsache, dass wir über das Wissen, die Techniken und die finanziellen Mittel verfügen, um die Zivilisation zu retten und eine nachhaltige Zukunft aufzubauen. […] Es bleiben jedoch einige grundlegende Fragen. Warum hat es so lange gedauert, bis wir die ernsthaften Gefährdungen des Überlebens der Menschheit erkannten? Warum sind wir so furchtbar langsam darin, unsere Wahrnehmung, unser Denken, unseren Lebensstil und unsere Institutionen zu ändern, die die Ungerechtigkeit und die Zerstörung der Fähigkeit unseres Planeten, Leben dauerhaft zu beherbergen, beharrlich fortschreiben?
Diese Fragen bilden die Hauptthemen dieses Buches. Die Autoren – einer kommt aus dem Süden des Globus, der andere aus dem Norden ‒ haben beide sehr gründlich über theologische Fragen sowie Fragen um das Thema Gerechtigkeit und Ökologie nachgedacht. Ihre Antwort auf die oben gestellten Fragen ist, dass die grundlegende Herausforderung in viel mehr besteht als in der Verbreitung von Wissen und in der Veränderung von Gewohnheiten. Aus ihrer Perspektive sind all die Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, Symptome einer tiefer liegenden kulturellen und spirituellen Krankheit, von der die Menschheit befallen ist. Dem System, das zurzeit herrscht und unsere Welt ausplündert, wohnt – so behaupten sie – eine tief sitzende Krankheit inne. Armut und Ungleichheit, Raubbau an der Erde und die Vergiftung des Lebens stellen sie als die drei Hauptsymptome dieser Krankheit heraus, und sie stellen fest, dass „dieselben Kräfte und Ideologien, welche die Armen ausbeuten und ausgrenzen, auch die gesamte Lebensgemeinschaft der Erde verwüsten“.
Die Überwindung dieser tief sitzenden Erkrankung erfordert nach Meinung der Autoren eine grundlegende Veränderung des menschlichen Bewusstseins. „In einem sehr realen Sinne“, schreiben sie, „sind wir dazu aufgerufen, uns selbst als Art neu zu erfinden.“ Diesen Prozess tiefer Veränderung bezeichnen sie als „Befreiung“. Sie verwenden diesen Ausdruck in dem Sinn, in dem er innerhalb der Tradition der Theologie der Befreiung benutzt wird, das heißt sowohl im persönlichen Sinne spiritueller Entfaltung oder Erleuchtung als auch im kollektiven Sinne eines Volkes, das danach strebt, sich selbst aus der Unterdrückung zu befreien. Meiner Ansicht nach verleiht dieser zweifache Gebrauch des Terminus „Befreiung“ dem Buch seinen einzigartigen Charakter. Denn er versetzt die Autoren in die Lage, die gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, ökologische, emotionale und spirituelle Dimension der gegenwärtigen globalen Krise im Zusammenhang zu bedenken.
Wie Hathaway und Boff im Prolog feststellen, ist das „Tao der Befreiung“ ein Streben nach der Weisheit, die nottut, um tiefgehende befreiende Veränderungen in unserer Welt zustande zu bringen. Im Bewusstsein, dass eine solche Weisheit letztlich nicht in Worte gefasst werden kann, haben sie sich dazu entschlossen, sie mithilfe des alten chinesischen Wortes Tao („der Weg“) zu beschreiben. Dieses meint sowohl einen individuellen spirituellen Weg als auch die Art und Weise, wie sich das Universum entfaltet. Der taoistischen Tradition zufolge erreichen wir spirituelle Erfüllung dann, wenn wir in Einklang mit der Natur handeln. Mit den Worten des chinesischen Klassikers Huai Nan zu formuliert: „Diejenigen, die der natürlichen Ordnung folgen, treiben im Strom des Tao.“
Die Weisheit, die nötig ist, um von einer von unbegrenztem Wachstum und materiellem Konsum besessenen