Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

Befreite Schöpfung - Leonardo Boff


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zu benennen, ist der Ausdruck „Industrielles Wachstumssystem“. Er stammt vom norwegischen Ökophilosophen Sigmund Kwaloy und betont die Abhängigkeit des Systems von einem stets wachsenden Ressourcenverbrauch ebenso wie eine Mentalität, welche die Erde als „Lagerhaus und Kloake gleichermaßen“ betrachtet. (Macy/Brown 1998). Letztlich haben alle drei Termini ihre Berechtigung, sie ergänzen einander und sind hilfreich. Sie werden mehrmals in diesem Buch benutzt, ebenso wie andere Ausdrücke wie zum Beispiel „globaler Kapitalismus der Konzernherrschaft“.

      Das Tao des Himmels ist wie ein Bogen:

      Es drückt das Hohe hinab und hebt das Niedrige empor.

      Es nimmt von denen, die zu viel haben,

      und gibt denen, die zu wenig haben.

      Der meisten Menschen Weg verläuft umgekehrt:

      Sie benutzen ihre Macht dazu, von dem zu nehmen, was zur Neige geht,

      und von denen, die zu wenig haben,

      um denen geben zu können, die zu viel haben.

      Die Weisen, die dem Tao folgen, können immerfort geben,

      denn sie bringen ohne Mühe Frucht.

      Sie handeln, ohne etwas zu erwarten,

      sie haben Erfolg, ohne das Verdienst für sich in Anspruch zu nehmen,

      und sie haben es nicht nötig, irgendjemandem ihren Wert zu beweisen.

      (Tao Te King, § 77)

      Diejenigen, die andere in Einklang mit dem Tao leiten,

      wenden keinen Zwang an, um andere zu unterwerfen,

      und sie versuchen nicht, die Welt mit Waffengewalt zu beherrschen.

      Denn jede Kraft hat ihre Gegenkraft,

      Gewalt, selbst wenn in guter Absicht angewandt,

      fällt auf einen selbst zurück.

      (Tao Te King § 30)

      Wie konnte ein System, das so irrational und zerstörerisch ist wie unsere gegenwärtige krankhafte (Un-)Ordnung, überhaupt entstehen? Der Ökopsychologe Theodore Roszak meint, dass unsere derzeitige ökologische und soziale Krise als „mehr als eine Anzahl von Irrtümern, Fehlkalkulationen und Fehlentscheidungen“ angesehen werden muss, „die durch etwas mehr Sachkenntnis am richtigen Ort leicht wieder ausgebügelt werden könnten“. Wie wir gesehen haben, sind die Werte, Grundüberzeugungen und Grundannahmen, die das innere Wesen der Herrschaftssysteme bilden, bereits in sich verkehrt: Sie gebären aus sich heraus eine Gewalt, die das Leben attackiert. Deshalb „ist nichts Geringeres notwendig als ein verändertes Bewusstsein, ein radikal neuer Begriff von Vernunft und geistig-seelischer Gesundheit, der die wissenschaftliche Rationalität entthront und die zentralen Paradigmen des industriellen Lebens [wir fügen hinzu: auch die Globalisierung unter der Herrschaft der Konzerne] an der Wurzel ausreißt“ (Roszak 1994, 319–320).

      In diesem Abschnitt möchten wir die Perspektiven der Tiefenökologie und des Ökofeminismus erkunden; sie können uns helfen, die Grundüberzeugungen infrage zu stellen, die dem zugrunde liegen, was wir die „Ideologie der Herrschaft“ nennen können. Dann wollen wir von diesem Blickwinkel her die historische Entstehung dieser Ideologie betrachten und näher prüfen, wie sie innerhalb des derzeitigen globalen Kapitalismus Gestalt angenommen hat. Schließlich wollen wir die gewonnenen Einsichten dazu nutzen, um den Begriff der Macht selbst zu analysieren und ihn einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

      Die Tiefenökologie beschäftigt sich wie andere ökologische Denkansätze auch mit der gegenwärtigen Zerstörung der Biosphäre der Erde und mit den Möglichkeiten einer Wiederherstellung der Lebenssysteme des Planeten. Doch sie geht deutlich über manche „oberflächlichen“ Formen ökologischen Denkens hinaus, welche die Leute dazu motivieren wollen, die „Umwelt“ zu retten, weil diese irgendwie nützlich für den Menschen sei. In der Sichtweise der Tiefenökologie haben andere Arten oder Ökosysteme einen Wert in sich, unabhängig vom Nutzen oder ästhetischen Wert für die Menschen. Die Tiefenökologie meint in der Tat, dass viele Arten des Engagements für die Umwelt insofern anthropozentrisch, d. h. auf den Menschen als Mittelpunkt ausgerichtet, sind, als sie die Welt immer noch so betrachten, als wären die Menschen der Maßstab aller Werte, die Spitze einer hierarchisch vorgestellten Schöpfung. Der Psychologe Warwick Fox bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck: „Selbst viele von denen, die sehr direkt mit Umweltthemen zu tun haben, verfestigen weiterhin, wenn auch unwissentlich, die überhebliche Haltung, dass wir Menschen im Zentrum des kosmischen Dramas stünden, dass die Welt im Wesentlichen für uns gemacht wurde.“ (1990, 10–11)

      Die Tiefenökologie stellt tatsächlich bereits die Vorstellung von einer „Umwelt“ unabhängig von der Menschheit infrage. Die Menschheit wird als ein Teil der Welt der Natur betrachtet, als ein Teil des umfassenderen „Netzes des Lebens“. Dies gilt sowohl für eine physikalische als auch für eine eher spirituelle oder psychologische Ebene. Wenn wir die Luft, das Wasser und den Boden vergiften, dann vergiften wir uns selbst. Wenn wir die Schönheit und Vielfalt der planetarischen Gemeinschaft verkommen lassen, dann machen wir auch


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