Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

Befreite Schöpfung - Leonardo Boff


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und mehr eine Teilung hinsichtlich Klassen, Geschlechtern und Rassen.

      Mies schlussfolgert, dass die räuberische Form der Aneignung damals zum Paradigma aller historischen ausbeuterischen Beziehungen zwischen Menschen wurde ‒ und wir möchten hinzufügen, auch zwischen den Menschen und der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft. Im Verlauf dieses Prozesses wurden bestimmte Gruppen von Menschen (sowie die Erde selbst) als bloße „Naturressource“ für die Bereicherung anderer betrachtet. Die Ausbeutung, die von dieser „räuberischen Produktion“ geschaffen wurde, beinhaltete mehr als die einseitige Aneignung des Mehrwertes, der über das hinaus produziert wurde, was den Bedürfnissen und Erfordernissen einer Gemeinschaft entsprach; Darüber hinaus erstreckte sie sich auf „Raub und Erbeutung der für andere Gesellschafen notwendigen Lebensmittel. Dieser Begriff von Ausbeutung impliziert darum immer auch Verhältnisse, die in letzter Instanz durch Gewalt geschaffen und aufrechterhalten werden“ (Mies 1989, 81–82).

      Die Vertiefung des Anthropozentrismus

      Derselbe Prozess, der nach und nach zur Verfestigung der Macht des Patriarchats führte, trug auch zu einer Vertiefung des Anthropozentrismus bei. In den meisten Gesellschaften von Jägern und Sammlern ist die Beziehung zwischen den Menschen und der außermenschlichen Welt eng und unmittelbar. Von Zeit zu Zeit kann man bestimmt ein gewisses Maß von Angst vor der Natur beobachten, doch im Großen und Ganzen existiert schlicht keine strikte Trennung zwischen den Menschen und der umfassenderen Gemeinschaft des Lebens. Die Produktionsweise selbst beruht nicht auf einer Kontrolle über die Natur, sondern vielmehr auf Einklang mit ihr.

      Sobald die Gesellschaft eine Gartenpflege entwickelt, wird ein Element der Kontrolle eingeführt, doch diese Veränderung ist noch relativ geringfügig. Die Menschen leben weiterhin erdverbunden, und das Niveau menschlicher Eingriffe ist noch recht niedrig. In Hirtengesellschaften führt die Zähmung von Tieren wahrscheinlich zu einem ausgeprägteren Sinn für Kontrolle und Herrschaft. Dieser nimmt in Agrargesellschaften noch weiter zu, da sie die Arbeitskraft von Tieren zum Pflügen nutzen, und noch mehr, als große Bewässerungsanlagen entstehen.

      Als innerhalb der Agrargesellschaften Städte und Stadtstaaten entstehen, tritt die Hinwendung zum Anthropozentrismus noch deutlicher hervor. Bereits in den neolithischen Siedlungen muss – besonders, als sie mit Mauern und Befestigungsanlagen versehen wurden ‒ eine psychologische Trennung von der außermenschlichen Welt eingesetzt haben. Doch mit der Entstehung der Städte beschleunigte sich dieser Prozess enorm. Eine Stadt ist weitgehend die Schöpfung von Menschen, ein künstlicher Lebensraum, in dem die Natur unter Kontrolle gehalten wird und die Bauten von Menschen immer zentralere Bedeutung bekommen.

      Duane Elgin (1993) schreibt auch, dass Stadtstaaten hierarchischer verfasst waren als kleine Siedlungen. Die Gesellschaft ist zunehmend in Klassen und Kasten gespalten, und es gibt eine klare Arbeitsteilung zwischen Herrschern, Priestern, Kriegern, Handwerkern und Kaufleuten. Gleichzeitig tragen Stadtstaaten zum Wachstum der „räuberischen“ Formen der Aneignung bei. Es gibt immer mehr Reichtum, der verteidigt werden muss, und immer ausgefeiltere Methoden der Kriegsführung. Gleichzeitig vollzieht sich ein soziopsychologischer Wandel, da der Reichtum systematisch erfasst und angehäuft wird und eine neue Weltsicht auf der Grundlage der „mathematischen Ordnung der Himmel“ entsteht. Parallel dazu wandern die Gottheiten von der Erde in den Himmel aus, was vielleicht der symbolische Ausdruck des Schrittes der Menschheit weg von der direkten Verbindung mit der natürlichen Welt ist.

      An einem Punkt dieses Prozesses scheint die Idee des Privateigentums aufgekommen zu sein. Mit dem Wachstum der Stadtstaaten und der Aufspaltung der Gesellschaf in Klassen wurden große Grundstücke oftmals als eine Quelle des Reichtums für die mächtigeren Teile der Gesellschaft reserviert (Herrscher, Priester …). Oft wurden diese Grundstücke mithilfe von Sklavenarbeit kultiviert. In der Folge davon wurde das gemeinsame Land einer Siedlung verkleinert, was zur Verarmung des Bauernstandes führte. Im Verlauf dieses Prozesses wurde Land mehr und mehr als persönlicher Besitz und nicht so sehr als ein gemeinsamer Reichtum, der geteilt werden soll, betrachtet. (Dieser Wandel hat sich jedoch früher nicht vollständig vollzogen, und tatsächlich hat sich das Gemeineigentum von Land in vielen Kulturen bis heute gehalten). Dieser Wandel zeigt eine bedeutende Veränderung des Bewusstseins an: Land wird nun als eine Ressource betrachtet, als Privateigentum unter der Kontrolle von Menschen – in den meisten Fällen von Männern. Zuvor war Land – wie dies auch heute noch in vielen ursprünglichen Kulturen der Fall ist – etwas, was man nicht besitzen, sondern nur miteinander teilen konnte. Das Land gehörte den Menschen nicht. Eher gehörten die Menschen dem Land und – in Konsequenz davon – der Erde.

      Der Aufstieg der Stadtstaaten ging oftmals mit ökologisch zerstörerischem Verhalten einher. John Perlin (2005) stellt eine Verbindung zwischen der Abholzung der Wälder in den alten Kulturen Mesopotamiens, Kretas, Griechenlands und Roms und dem Niedergang ihrer Zivilisationen her. In ähnlicher Weise schreiben viele das Verlassen der Dschungelstädte der Mayas den Folgen der Entwaldung zu. Oftmals war die Abholzung das Ergebnis einer exzessiven Nachfrage nach Holz für Bauvorhaben (und auch für den Schiffbau), zum Befeuern von Öfen und für die Metallverarbeitung. In anderen Fällen war Abholzung die Folge der Landgewinnung für den Ackerbau. In beiden Fällen jedoch ging dies mit einer Veränderung der Weltsicht einher, welche die Beherrschung und Ausbeutung menschlicher und natürlicher „Ressourcen“ zum Zweck der Anhäufung von Reichtum rechtfertigte.

      Einige Konsequenzen für die Gegenwart

      Was können wir daraus lernen? Die Entwicklung von Patriarchat und Anthropozentrismus ist sicherlich komplex, doch es ist klar, dass irgendwie alle Formen von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung gemeinsame Wurzeln haben. Gleichzeitig ist es hilfreich, über die Ebene der historischen Entwicklung hinauszugehen und die psychologischen Prozesse wahrzunehmen, die hier im Spiel sind.

      So legt zum Beispiel Rosemary Radford Ruether (1994) nahe, dass die frühen matrizentrischen Gesellschaften möglicherweise bereits den Keim ihrer eigenen Zerstörung in sich trugen. Im Gegensatz zur weiblichen Rolle, die von Natur aus auf die Reproduktion und Erhaltung des Lebens hingeordnet ist, muss die männliche Rolle gesellschaftlich konstruiert werden.

      In den Gesellschaften der Jäger und Sammler gegen Ende der Eiszeit spielten männliche Jäger noch eine wichtige Rolle bei der Nahrungsbeschaffung wegen der großen Mammuts, die gejagt werden mussten. Die gesellschaftlich konstruierte Rolle des Mannes als Jäger war immer noch mit einem großen Maß an Bedeutung verbunden und gab den Männern das Gefühl der Sicherheit hinsichtlich ihres Beitrags zur Gesellschaft. Doch als die Eiszeit zu Ende ging, verlor die Jagd nach und nach an Bedeutung, und die Rolle der Frauen, die das Hauptkontingent der Sammler ausmachten, wurde gestärkt.

      In der Jungsteinzeit waren Frauen oftmals sowohl die hauptsächlichen Nahrungsproduzentinnen als auch der wichtigere Elternteil. In solchen Gesellschaften – diesen des alten Europa und Anatoliens zum Beispiel – scheiterten Männer möglicherweise daran, eine Rolle zu entwickeln, die affirmativ und bedeutend genug gewesen wäre. Dies beförderte das Aufkommen eines männlichen Ressentiments gegenüber dem Ansehen der Frauen. Mary Gomes und Allen Kanner (1995) betonen, dass Herrschaft eine Möglichkeit sein kann, Abhängigkeit zu verleugnen. In einer solchen Situation begannen Männer ihre Männlichkeit in der Weise der Feindschaft gegenüber der Frau zu definieren, und die Grundlagen für das Patriarchat waren geschaffen. Solange man sich nicht mit dem zugrunde liegenden Ressentiment konfrontiert, ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Patriarchat in seiner gegenwärtigen Gestalt überwunden werden kann.

      Ruether meint, dass eine konkrete Konsequenz aus dieser Analyse die Notwendigkeit ist, neue Formen der Geschlechterparität zu schaffen und Abhängigkeit durch Verwiesenheit aufeinander zu ersetzen. Insbesondere ist es dringend an der Zeit, dass in den heutigen Gesellschaften der Mann in einer neuen Rolle voll und ganz in die Elternschaft und die häusliche Arbeit einbezogen wird, die der Lebenserhaltung dient. Insgesamt müssen Geschlechterrollen durchlässiger und flexibler werden und es so beiden Geschlechtern ermöglichen, auf sinnvolle Weise an Leben hervorbringenden anstelle von Leben zerstörenden Tätigkeiten teilzuhaben. Sie führt die traditionelle balinesische Gesellschaft

      als nachahmenswertes Beispiel dafür an, wie eine stabile, nicht auf Ausbeutung beruhende Beziehung zwischen den Geschlechtern erreicht werden kann.


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