Befreite Schöpfung. Leonardo Boff

Befreite Schöpfung - Leonardo Boff


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linear (direkte Beziehung von Ursache und Wirkung) sind. Shiva sagt über diese herrschenden Wahrnehmungsweisen:

      „Die herrschenden Wahrnehmungsweisen, die allesamt auf Reduktionismus, Dualität und Linearität abgestellt sind, können mit der Gleichwertigkeit in der Vielfalt nicht zurechtkommen, auch nicht mit Formen des Lebens und Handelns, die jeweils sinnvoll und rechtens sind und sich dennoch voneinander unterscheiden. Der reduktionistische Verstand nötigt den Frauen, allen nicht zum Westen zählenden Völkern und der Natur Rollen und Machtformen westlicher Männer-Begrifflichkeit auf und stuft sie damit gleichzeitig als ‚unzulänglich‘ und ‚entwicklungsbedürftig‘ ein. Vielfalt, Einheit und Harmonie in der Vielfalt können in diesem Kontext des westlichen Modells von Fehlentwicklung wissenschaftstheoretisch gar nicht mehr begriffen werden. Daher wird dieser Kontext selbst zum Synonym für die Unterentwicklung der Frauen (d. h. den Ausbau sexistischer Herrschaft) und für die Demontage der Natur (d. h. die Verschärfung der ökologischen Krise).“ (Shiva 1989 a 16–17)

      Letztlich, so Shiva, verwandelte diese Art zu denken und die davon inspirierte industrielle Revolution die Wirtschaft

      „vom klugen Management von Ressourcen für den Lebenserhalt und die Befriedigung der Grundbedürfnisse in einen Prozess der Warenproduktion um der Profitmaximierung willen. Der Industrialismus schafft eine grenzenlose Gier nach Ausbeutung von Ressourcen, und die moderne Wissenschaft liefert die ethische und kognitive Erlaubnis dafür, die eine solche Ausbeutung ermöglicht, Akzeptanz für sie herstellt und sie als wünschenswert erscheinen lässt. Das neue Verhältnis der Herrschaft und Kontrolle des Menschen/Mannes über die Natur war auf diese Weise mit neuen Mustern von Herrschaft und Kontrolle über die Frau und deren Ausschluss von der partnerschaftlichen Teilhabe an Wissenschaft und Entwicklung verbunden.“ (1989 b, XVII)

      Kapitalismus und Ausbeutung

      Der Kapitalismus entstand also in einem Kontext, in dem der Androzentrismus im Bewusstsein der Intellektuellen und herrschenden Eliten Europas neue Triumphe feierte. Der „Mensch“ (bzw. der „Mann“) wurde als rationales, autonomes Wesen definiert („Ich denke, also bin ich“) und als die Spitze einer hierarchischen Ordnung betrachtet, deren Basis die „wilde“, ungezähmte Natur bildete, während Frauen, Indigenas, Farbige und Bauern die Mitte der Pyramide bildeten. Das Patriarchat im Sinne eines einheitlichen Systems von Herrschaft und Ausbeutung bildete das Fundament, auf dem der Kapitalismus errichtet werden konnte.

      Maria Mies vertritt denn auch tatsächlich die Meinung, dass der Kapitalismus ohne das Patriarchat nicht existieren kann. Die kapitalistische Akkumulation hat ihre Grundlage in der Aneignung von Reichtum, der von der Natur und den Armen dieser Welt (besonders außerhalb Europas) produziert wird. Mit anderen Worten: Sein Zentrum bildet die „räuberische“ (oder parasitäre) Produktionsweise, die durch das Patriarchat gerechtfertigt und am Leben gehalten wird. Der Kapitalismus ist auf die unbezahlte Arbeit der Frauen, auf die Ausplünderung der Ressourcen des Planeten und die äußerst schlecht entlohnte Arbeit der ausgebeuteten Klassen und Rassen angewiesen. Dieser Prozess endloser Akkumulation leblosen Kapitals saugt das Leben aus der Erde und all ihren Lebewesen. Diejenigen, die die Produktion unter Kontrolle haben und von ihr profitieren, sind hingegen nicht selbst Produzenten, sondern Usurpatoren. Dies wird in besonderer Weise im Fall der modernen „Finanzwirtschaft“ deutlich.

      Wie alle Formen räuberischer Produktion ist der Kapitalismus auf Gewalt angewiesen. Manchmal nimmt diese Gewalt direkte Formen im tatsächlichen Gebrauch oder der Drohung mit Waffen an. Während der gesamten Epoche des Kolonialismus bis hi­nein in unsere Gegenwart wandte man die „Kanonenboot-Diplomatie“ an, um die herrschende weltweite (Un-)Ordnung aufrechtzuerhalten. Das kann man noch am Fallbeispiel der beiden Irakkriege und der Sanktionen gegen dieses Land sehen: Millionen unschuldiger Menschen wurden getötet, um die Ölversorgung des Westens sicherzustellen. Heute ist dagegen die Anwendung von Mechanismen der Repression innerhalb einzelner Länder noch üblicher. So lassen zum Beispiel Regierungen, die das Diktat der Strukturanpassungsmaßnahmen umsetzen wollen, das Militär und die Polizei auf die eigene Bevölkerung los, um deren berechtigte Proteste zum Schweigen zu bringen.

      Die am meisten verbreitete Form der Gewalt im Kapitalismus ist jedoch die strukturelle Gewalt, die von ökonomischem Zwang ausgeht. Einerseits sind die Verschuldungskrise und die Strukturanpassungsmaßnahmen hervorragende Beispiele für einen solchen Zwang, den man auf ganze Völker und Staaten ausübt. In einem allgemeineren Sinn macht sich der Kapitalismus die ungleiche Arbeitsteilung als eine Struktur zunutze, um sich Reichtum anzueignen. Die Entlohnung der Arbeiter ist geringer als der Wert, den sie produzieren, was die Kapitalakkumulation ermöglicht. Die Ausbeutung der Frauen und der Ökosysteme ist sogar noch größer, denn ihr Beitrag zur Wirtschaft wird ganz einfach nicht als solcher anerkannt (er wird etwa durch Indikatoren wie das Bruttoinlandsprodukt verschleiert).

      „Dies setzt jedoch das Verständnis voraus, dass die Frauenunterdrückung heute ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen (oder sozialistischen) patriarchalischen Produktionsverhältnisse ist. Sie ist Bestandteil des Paradigmas ewigen Wachstums, stetig sich vergrößernder Produktivkräfte, einer unbeschränkten Ausbeutung der Natur, einer unbeschränkten Warenproduktion, stetig sich ausbreitender Märkte und unendlicher Akkumulation des fixen Kapitals …“ (1989, 36)

      „[Es wurde mir klar], dass die Frauen in ihrem Kampf um die Wiedergewinnung ihrer Menschlichkeit nichts aus der Fortschreibung dieses Paradigmas gewinnen können. Überall würden Feministinnen gut daran tun, den vom wissenschaftlichen Sozialismus formulierten Glauben aufzugeben, dass der Kapitalismus durch seine Gier nach unaufhörlicher Akkumulation oder ‚ewigem Wachstum‘ die Voraussetzung für die Frauenbefreiung geschaffen hat, die dann unter dem Sozialismus verwirklicht werden kann. Heute ist mehr denn offenbar, dass der Akkumulationsprozess selbst überall das Innerste des menschlichen Wesens zerstört, weil er auf der Zerstörung der Souveränität der Frauen über ihr Leben und ihre Körper aufbaut. Da Frauen für ihr Menschsein nichts aus der Fortsetzung des Wachstumsmodells gewinnen können, sind sie in der Lage, die Perspektive einer Gesellschaft zu entwickeln, die nicht auf Ausbeutung von Natur, Frauen und fremden Völkern beruht.“ (Mies 1989, 8–9)

      Es ist daher einfach nicht möglich, dass Frauen die Ausbeutung und Unterdrückung im Kontext des herrschenden ökonomischen Paradigmas abschaffen. Ebenso ist es unmöglich, die Unversehrtheit der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft innerhalb dieses Rahmens zu schützen. Aus ökofeministischer Sicht ist ein umfassender Kampf erforderlich, der die Beziehung zwischen Männern und Frauen, zwischen Mensch und Natur und zwischen Nord und Süd verändert.

      Jenseits des Kapitalismus: Ökofeministische Perspektiven

      Welche Art von Alternative könnte der Ökofeminismus


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